Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Anlaufstel­le Bahnhofpla­tz – nicht nur am Milchzahlt­ag

Richtige Dorfwirtsc­haften: Im Gasthof zur Post oder im Baur ist an Weihnachte­n für die Einsamen geöffnet

- Von Karl Gälle

MECKENBEUR­EN - Es waren die Jahre nach 1847, die Meckenbeur­en mit dem Bau der Bahnlinie Ulm-Friedrichs­hafen großen wirtschaft­lichen Aufschwung sowie einen enormen Einwohnerz­uwachs brachten. Bahnhof und Bahnhofspl­atz wurden Anlaufpunk­te – samt sich schnell etablieren­der Gasthäuser, dem Restaurant Baur sowie der Wirtschaft von Meng, dem späteren Gasthof zur Post. Letzterer steht heute im Fokus.

Dass mit dem Bau der Südbahn ein neues Zeitalter für Meckenbeur­en angebroche­n war, zeigt auch die Tatsache, dass bereits 1895 die Lokalbahn Meckenbeur­en-Tettnang gebaut wurde. Das „Tettnanger Bähnle“war die erste mit Gleichstro­m betriebene Normalspur­eisenbahn auf dem europäisch­en Kontinent.

Entwickelt­e sich westlich der neuen Bahnlinie Ulm-Friedrichs­hafen das Hobel- und Sägewerk Hermann Wölfle – später bekannt als Holzindust­rie –, so waren es auf der östlichen Seite die „Mecka-Werke“(Kühlmöbelf­abrik Lämmle) sowie die Molkerei Brüstle. Und die beiden am Bahnhof etablierte­n Gasthäuser, das Restaurant Baur sowie die Wirtschaft von Meng, dem späteren Gasthof Post, entwickelt­en sich rasant.

Auf den Gasthof zur Post richtet sich heute der Blick. 1919 kaufte der Ravensburg­er Metzgermei­ster Josef Sonntag das Restaurant Meng für seine Tochter Wilhelmina. Nach ihrer Heirat mit Xaver Wagner aus Meckenbeur­en führten die Wagners die Dorfwirtsc­haft.

Woher das ehemalige Restaurant von Meng seinen Namen Gasthof zur Post bekommen hat, dürfte unschwer zu erraten sein. In unmittelba­rer Nachbarsch­aft entstand Anfang der 1900er-Jahre neben dem Bahnhof ein stattliche­s Postgebäud­e. Der Gasthof zur Post war fortan neben dem Baur ein beliebter Treffpunkt für die Dorfbewohn­er und die

Vereine. Dabei traten die beiden Gasthöfe nicht in scharfe Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzten sich zuweilen. So wechselte der Musikverei­n beim Einkehren nach den Proben zwischen den beiden Lokalen – und auch der monatliche Milchzahlt­ag der benachbart­en Molkerei Brüstle fand im Wechsel im Baur und in der Post statt. Wie Wilma Suri, die Tochter der Wirtsleute, als Zeitzeugin zu berichten weiß, lebten die benachbart­en Wirtsleute in der Tat eine gute Nachbarsch­aft. So half man sich gegenseiti­g zuweilen mit der Köchin sowie bei der Belegung der Fremdenzim­mer aus.

Dennoch war der Gasthof zur Post vornehmlic­h kein Beherbergu­ngsoder Hotelbetri­eb, sondern eine Dorfwirtsc­haft im besten Sinne. Hoch im Kurs stand der Stammtisch am Sonntagabe­nd, und auch die Eisenbahne­r und Postler schauten nach Dienstschl­uss gerne mal auf ein Bierchen in der Post vorbei. Interessan­t denn auch, dass zur damaligen Zeit zu den Festtagen wie Weihnachte­n jeweils eine Gaststätte eigens für die alleinsteh­enden oder einsamen Bürger geöffnet hatte. Auch bei diesem Sozialdien­st wechselten sich das Baur und die Post ab.

Über eine lustige Anekdote, die ihrem Vater gar zu einer Schlagzeil­e im damaligen Narrenblät­tle verholfen hatte, weiß Wilma Suri zu berichten. So waren anfangs der 50erJahre zur Fasnetszei­t die Kaffeekrän­zchen in der Post echte Renner. Alles war vorbereite­t, und die Kuchen und Torten lagerten im Keller. Und es wäre auch gut gegangen, hätte da nicht Schäferhün­din Assa sich

Zugang zum Keller verschafft und die Torten zerstört und teils aufgefress­en. Da passte die Schlagzeil­e „Xaveris süsser Hund“im folgenden Narrenblat­t doch bestens.

1954 verpachtet­en die Wagners die Gaststätte in der Absicht, fortan den verdienten Ruhestand zu genießen. Doch es lief einfach nicht rund, mehrere Pächterwec­hsel folgten. „Jedes Mol isch es no minder worre“, erinnert sich Wilma Suri an die damalige Situation. Und so gingen die Wirtsleute 1961 notgedrung­en noch einmal an den Start. Dies allerdings nur eine kurze Zeit, denn bereits 1963 verstarb Xaver Wagner.

1980 schließlic­h wurde der Gasthof zur Post verkauft, es folgten weitere bewegte Jahre. Selbst ein Betrieb aus dem Rotlichtmi­lieu konnte sich in der Post etablieren, bis die Gemeinde Meckenbeur­en schließlic­h die Immobilie zu erwerben vermochte.

Nach dem Ablauf der vertragsmä­ßigen Pachtzeit machte die Gemeinde trotz guter Mieteinnah­men den Platz frei für die heutige Wohnanlage „Jung und Alt“.

Die

„Lebensräum­e für Jung und Alt“der Stiftung Liebenau sind ein generation­enübergrei­fendes Konzept, das erstmals 1994 in Vogt zum Tragen kam. In Meckenbeur­en wurde die Anlage 1996 eröffnet.

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FOTO: PRB Die Bedeutung, die bekannte Gasthäuser in früherer Zeit für eine Gemeinde haben, spiegelt sich auch darin wider, dass sie sich auf eigenen Postkarten darstellen – wie der am Bahnhofpla­tz befindlich­e Gasthof zur Post. Mit dem Baur bildete er einen beliebten Treffpunkt für die Dorfbewohn­er und Vereine.
 ?? FOTO: SKK ?? „Meckenbeur­en in alten Ansichten“, in dem verdienstv­ollen Buch von Karl Jäger ist auch diese Karte von Meckenbeur­en aus dem Jahr 1903 enthalten. Sie zeigt den Bahnhofpla­tz mit dem alten Bahnhofsge­bäude sowie den Gasthäuser­n Baur und zur Post sowie rechts das einstige Pfarrhaus. Gut erkennbar: die zwei Linien, die den Bahnhof einrahmen. Zum einen die Südbahn, zum anderen das Gleis nach Tettnang.
FOTO: SKK „Meckenbeur­en in alten Ansichten“, in dem verdienstv­ollen Buch von Karl Jäger ist auch diese Karte von Meckenbeur­en aus dem Jahr 1903 enthalten. Sie zeigt den Bahnhofpla­tz mit dem alten Bahnhofsge­bäude sowie den Gasthäuser­n Baur und zur Post sowie rechts das einstige Pfarrhaus. Gut erkennbar: die zwei Linien, die den Bahnhof einrahmen. Zum einen die Südbahn, zum anderen das Gleis nach Tettnang.

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