Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wegen Kriegswaffenkaufs ins Gefängnis
Landgericht Ravensburg: Syrer kämpft während des Bürgerkriegs gegen Assads Truppen und den IS
RAVENSBURG - Kann ein deutsches Gericht einen Syrer verurteilen, der während des syrischen Bürgerkriegs gegen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad und gegen den IS gekämpft hat? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Ravensburg. Das Amtsgericht hatte den 38-jährigen Mann in erster Instanz im Juni 2020 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die Urteilsbegründung lautete: „Unerlaubte Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe.“Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft war mit dem Urteil nicht einverstanden und legte Berufung
ein. Wegen weiterer Straftaten wie Diebstahl, Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung war der Mann im gleichen Prozess zusätzlich zu einer Haft von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden. Dagegen wiederum hatten sowohl der Angeklagte als auch die Ravensburger Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.
Den Fall ins Rollen gebracht hatte der Syrer selbst. Nach der Flucht aus seinem Land gab er bei der Ankunft in der Erstaufnahmeeinrichtung in Sigmaringen zu Protokoll, dass er bewaffneten Widerstand gegen das Assad-Regime geleistet habe. Er erzählte, dass seine vier Brüder im Kampf gefallen seien. Daraufhin habe er eines seiner Häuser verkauft und mit dem Geld Waffen beschafft, darunter circa 20 Kalaschnikows, Handgranaten und Panzerfäuste. Er habe sich einer Gruppierung der freien Syrischen Armee angeschlossen und in mehreren Einsätzen gegen Assads Truppen und später auch gegen den IS gekämpft und dabei auch mehrere feindliche Soldaten getötet. Nach einer Verwundung habe er sich zuerst in die Türkei und von dort aus nach Deutschland begeben. Im Prozess sagte der Mann, der im Kreis Ravensburg wohnt, dass er kämpfen habe müssen, um zu überleben: „Wir waren gezwungen, uns zu verteidigen.“Sein Anwalt, Richard Glaubach, forderte eine Verwerfung der Berufung. „Die Bundeswehr fliegt über Syrien und bekämpft den IS und wenn dieser Mann vom Boden aus kämpft, wird er verurteilt. Das kann nicht sein“, so Glaubach.
Nach zweistündiger Beratung verkündete der Vorsitzende Richter Martin Hussels-Eichhorn das Urteil: Die Gerichtsentscheidung des Amtsgerichtes Ravensburg wird abgeändert. Der Angeklagte wird wegen des unerlaubten Erwerbs von Kriegswaffen schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. In seiner Urteilsbegründung sah er die Zuständigkeit des deutschen Gerichts als gegeben an, wegen der sogenannten stellvertretenden Strafrechtspflege. Ein Urteil wäre dann nicht möglich, wenn eine voraussichtliche Auslieferung unzulässig sei. Ausgeliefert
wird zum Beispiel nicht bei politischen Straftaten. In diesem Fall handele es sich aber um einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und damit nicht um eine politische Straftat. Mitentscheidend für das mildere Urteil sei das umfassende Geständnis des Angeklagten gewesen, ohne das eine Anklage unmöglich gewesen wäre. Die Kammer wertete die Tat somit als minderschweren Fall. Die anderen Straftaten, die vom Amtsgericht abgeurteilt worden waren, änderte die Strafkammer in eine Gesamtstrafe von zusätzlichen zwei Monaten um. Dabei wurde auch die lange Untersuchungshaft berücksichtigt. Der Syrer sitzt seit Februar 2020 in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg ein.