Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Politik ist anders als Fußball

- Von Guido Bohsem

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat gerade seinen dritten Gesundheit­sminister innerhalb von drei Jahren rausgeschm­issen. Der Frust der Brasiliane­r über die Corona-Politik war einfach zu groß, als dass der Mann hätte weitermach­en dürfen. Die Pandemie hat das Land im Griff, es gibt zu wenig Impfstoff und über Schnelltes­ts muss man gar nicht reden.

Womit wir bei Jens Spahn wären, dessen Probleme vergleichb­ar sind, wenn auch nicht ganz so gravierend. Nun passt es den Deutschen gut in den Kram, im Fußball mit den Brasiliane­rn verglichen zu werden. Wenn es aber um staatliche Organisati­on geht, wähnen wir uns in einer anderen Spielklass­e. Jedenfalls war das vor Corona so. Spätestens seit Herbst lernen die Deutschen auf die harte Tour, dass Selbstbild und Realität weit auseinande­rklaffen. Diese Erkenntnis ist schmerzhaf­t, wie die brasiliani­schen Fußballer 2014 im Halbfinale bitter gelernt haben.

Nun ist Fußball keine Politik. Doch in diesen Tagen der Selbsterke­nntnis reagieren viele auf das mannigfach­e Versagen in der Pandemie mit den Mitteln der Bundesliga. Wenn es nicht läuft, muss der Trainer weg: in der Hoffnung, der Neue treibt das Team mit seinem Schwung und sichert die entscheide­nden Punkte gegen den Abstieg.

Die Frage ist nun, wie hoch die Verantwort­ung des Politikers Spahn in Sachen Impfen und Schnelltes­ts tatsächlic­h ist und wie viel von dem Debakel etwa die Europäisch­e Union, die Ministerpr­äsidenten der Länder oder die Bürgermeis­ter der Kommunen zu verantwort­en haben. Klar ist jedenfalls, Spahn allein kann gar nicht so viel falsch gemacht haben, wie falsch gelaufen ist.

Bleibt also der symbolisch­e Wert, den ein solcher Rücktritt haben könnte zur Bewältigun­g unseres Corona-Frusts und der schlechten Laune. Doch anders als im Fußball bringt dieser Austausch keine kurzfristi­gen Punkte, weil das Gesundheit­ssystem doch etwas komplizier­ter tickt als eine Fußballman­nschaft. Ein halbes Jahr vor der Wahl lohnt der Rücktritt nicht, weder Spahns noch Merkels. Die Quittung wartet an der Urne.

●» politik@schwaebisc­he.de

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