Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Schweigen fürs Vertrauen
Diskretion ist oberstes Gebot bei den Sondierungen über eine neue Regierung im Land
STUTTGART - Die Bewerbungsrunden haben begonnen: Nach ihrem historischen Wahlsieg am Sonntag haben die Grünen am Mittwoch die potenziellen Partner für eine künftige Landesregierung nacheinander ins Stuttgarter Haus der Architekten eingeladen. Die erste grüne Prüfung haben CDU, SPD und FDP zumindest bislang bestanden: Keiner redet offen über die Inhalte der Gespräche.
Vertrauen sei ganz wichtig, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gesagt. Bei den ersten Sondierungen gehe es weniger um Inhalte und mehr um Atmosphäre. Warum das denn? Kretschmann und sein Team kennen doch alle handelnden Akteure seit geraumer Zeit – mit Thomas Strobl und dessen CDU regieren die Grünen aktuell, mit Andreas Stoch und dessen SPD lenkten sie das Land zuvor fünf Jahre lang. HansUlrich Rülke ist seit 2009 Fraktionschef im Landtag. Aber: Alle Vorzeichen sind nun anders. Mit 32,6 Prozent haben die Grünen nicht nur ein historisches Wahlergebnis eingefahren, sondern auch die CDU mit 24,1 Prozent weit hinter sich gelassen. Zwei Koalitionen sind anhand der Wahlergebnisse nun möglich: GrünSchwarz und eine Ampelkoalition.
Es ist ein bedeutungsschwangerer Ort, den die Grünen zum Sondieren ausgewählt haben. Im Haus der Architekten haben sie vor zehn Jahren eine grün-rote Regierung geschmiedet und damit die CDU erstmals nach fast sechs Jahrzehnten von der Regierung im Land vertrieben. Es ist der Ort, an dem Hans-Ulrich Rülke vor fünf Jahren einer Ampel endgültig eine Absage erteilt hat. Nun ist alles anders: Alle Geladenen streben an die Macht. „Wir wollen eine Regierung bilden“, betont Rülke vor dem Gespräch mit den Grünen. „Aber nicht um jeden Preis“, schiebt er nach.
An diesem Tag geht es ein wenig um Inhalte, viel um Vertrauen, aber auch um eine Machtdemonstration. Nun ist endlich mal klar, wer Koch und Kellner ist, hatte sich ein grüner Spitzenpolitiker am Wahlsonntag geäußert. In den vergangenen fünf Jahren hatten Teile der CDU nämlich stets von einer Koalition auf Augenhöhe gesprochen, obschon die Union Juniorpartner war. Das Kräfteverhältnis ist seit Sonntag ein anderes.
Ein Gradmesser für das erwartete Vertrauen in dieser Zeit ist Diskretion. Darauf verständigen sich Gesprächspartner hinter verschlossenen Türen zwar immer – eingehalten wird sie indes praktisch nie. Bei der Suche nach einer neuen Südwest-Regierung soll diesmal nichts nach draußen dringen, heißt die erste Prüfungsaufgabe der Grünen an die möglichen Partner. Wer plaudert, schädigt das Vertrauensverhältnis – und hat schlechte Karten. „Das ist eine Lehre aus Jamaika“, sagt Sprecher Hoogvliet und meint damit die Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 über ein schwarz-gelb-grünes Bündnis. Kretschmann war daran maßgeblich beteiligt und hatte sich bitter über Indiskretionen beklagt.
Am Mittwoch halten sich zunächst alle an die Abmachung. Auf grüner Seite sondieren neben Kretschmann die beiden Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand sowie Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz. Obwohl sie nach der Legislaturperiode der Politik den Rücken kehren wird, ist auch Finanzministerin Edith Sitzmann dabei. Sie ist nicht nur eine Vertraute Kretschmanns und hat qua Amt alle Zahlen im Blick – Sitzmann gilt seit den Koalitionsgesprächen vor fünf Jahren als geschickte Verhandlerin und Moderatorin, die Wege aus Gesprächssackgassen findet.
Das grüne Verhandlungsteam hat die anderen Parteien nach der Reihenfolge
ihrer Wahlergebnisse zu den Gesprächen geladen. So rückte am Morgen zunächst die CDU um Geburtstagskind Thomas Strobl an – der Landesparteichef wird an diesem Tag 61. Zu seinem Team gehört Generalsekretär Manuel Hagel, der auch weiter als Zukunftshoffnung der Partei gilt. Das schlechteste CDU-Wahlergebnis in der Geschichte der Landespartei gleitet an ihm ab wie Butter an einer heißen Pfanne, obwohl er als Generalsekretär für die Wahlkampagne maßgeblich verantwortlich war. Doch die CDU-Spitze hat bereits in Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann die einzige Schuldige für das Desaster ausfindig gemacht – sie kehrt der Politik den Rücken.
Mit im CDU-Verhandlungsteam sind zudem der für eine kurze Zwischenzeit wiedergewählte Fraktionschef Wolfgang Reinhart und die parlamentarische Geschäftsführerin der Landtagsfraktion Nicole Razavi. Fünfte im Bund ist die Sigmaringer Landrätin Stefanie Bürkle – eine Vertraute Strobls und Stimme der Kommunen,
in denen die CDU im Land noch stark ist.
Kaum einer sagt ein Wort, als sich der CDU-Trupp nach gut eineinhalb Stunden Gespräch mit den Grünen den Weg durch die vor der Tür wartenden Journalisten bahnt. „So“, sagt allein Strobl, und: „Einen schönen Tag noch.“Alle anderen laufen mit konzentrierter Miene und schweigend vorbei. Die erste Prüfung hat die Union bestanden – und demonstriert damit die Macht der Grünen.
Das Schweigegelübde nimmt auch die SPD ernst. „Wenn wir mit unseren Gesprächspartnern vereinbart haben, dass es für Mitteilungen noch zu früh ist, dann kann man sich auch auf uns verlassen“, erklärt Landesund Fraktionschef Stoch nach dem Gespräch am Mittag. Neben ihm gehören seine Stellvertreterinnen Dorothea Kliche-Behnke und Rita Schwarzelühr-Sutter zur Delegation.
Als die SPD am Nachmittag geht, kommt gerade der FDP-Trupp: Neben Rülke gehört Landeschef Michael Theurer dazu, ebenso Generalsekretärin Judith Skudelny und der Landtagsabgeordnete Jochen Haußmann. Stoch schnappt sich Rülke zu einer Unterredung – ob sie über eine gemeinsame Tatik des Verhandelns sprechen, bleibt geheim. Nach dem Sondierungsgespräch gibt Rülke aber dann doch ein paar Einblicke. „Wir sind inhaltlich auch in die Tiefe gegangen“, sagt er. Man habe über Dissenzpunkte und Verbindendes gesprochen, ergänzt Theurer. Man freue sich auf weitere Gespräche, um die Themen zu vertiefen.
Klar ist: Ende kommender Woche wollen die Grünen ihre potenziellen Partner zu weiteren Sondierungen einladen – und zwar wieder einzeln. „Natürlich“sei er auch parallel mit der SPD im Austausch, sagt Rülke. Auch einem Gespräch zwischen den drei für eine Ampel notwendigen Verhandlungsteams sei er zugeneigt. „Dem würden wir nicht ablehnend gegenüberstehen.“
Nach dem Sondierungsmarathon äußern sich die Grünen zufrieden. „Es waren konstruktive und gute Gespräche“, sagt etwa Parteichefin Detzer und spricht von einem „offenen und ehrlichen Austausch“. Auch Kretschmann scheint zufrieden. „Verhandlungen, wo es um eine neue Regierung geht, sind richtig spannend und interessant“, so der aktuelle und wohl auch neue Regierungschef. „Wir sind erstmals in der Situation des Wählens.“2011 sei die grünrote Koalition klar gewesen – auch weil CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus damals keine Gespräche mit den Grünen habe führen wollen. 2016 war eine grün-schwarze Koalition praktisch alternativlos. „Das war keine echte Wahl“, so Kretschmann. Die hat er nun.