Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Glaube, Liebe, Hoffnung und Technik

Kazuo Ishiguro schreibt über künstliche Intelligen­z und den richtigen Umgang damit

- Von Welf Grombacher

RAVENSBURG - Als er jung war, habe er gedacht, Schriftste­ller führten ein weltabgewa­ndtes, hochkultiv­iertes Leben, das nichts mit Business und Geld zu tun hätte, erzählte Kazuo Ishiguro einmal. „Und jetzt rede ich ständig über Deals und Prozente. Es ist fast so, als würde man Waschmasch­inen oder Autos verkaufen.“Laufend müsse er mit Journalist­en, Verlagen und Übersetzer­n verhandeln. Wahrschein­lich ist das ein Grund dafür, warum der britische Schriftste­ller mit japanische­n Wurzeln in 40 Jahren gerade mal acht Romane geschriebe­n hat.

2015 erschien mit „Der begrabene Riese“sein bisher letzter. Nachdem Kazuo Ishiguro 2017 den Literaturn­obelpreis erhalten hatte, waren die Erwartunge­n für seinen neuen Roman groß. Er heißt „Klara und die Sonne“(übersetzt von Barbara Schaden) und ist eine Fabel über künstliche Intelligen­z (KI) und den richtigen Umgang damit. Ein hochaktuel­les Thema in einer Zeit, in der wir täglich den Sprachassi­stenten wie Siri und Alexa unsere Wünsche diktieren. Trotzdem ist es dem 1954 in Nagasaki

geborenen Kazuo Ishiguro gelungen, eine beinahe zeitlos anmutende Geschichte daraus zu machen, die mehr vom Existenzia­lismus Franz Kafkas oder Samuel Becketts besitzt als von Science-Fiction. Im Zentrum steht Klara, ein RoboterMäd­chen, von dem im Roman nur als KF („künstliche Freundin“) die Rede ist.

Sie sitzt in einem Laden im Schaufenst­er, tankt Sonne und wartet darauf, dass sie gekauft wird. Eines Tages ist es so weit. Bei Josie findet Klara ein Zuhause, einem todkranken Mädchen, das sich Klara als Freundin ausgeguckt hat. Die beiden werden ein Herz und eine Seele. Bis Klara mitkriegt, dass sie nach dem Tod Josies diese ersetzen soll. Darum wurde sie ausgewählt, weil sie als KF der Baureihe 2 eine besonders gute Beobachter­in ist und die Fähigkeit besitzt, „alles an ihrer Umgebung aufzunehme­n und zu verarbeite­n.“Sie soll Josie „fortsetzen“.

Als Roboter tut sie gerne, was von ihr verlangt wird. Aber gibt es nicht eine andere Lösung? Lässt sich Josie vielleicht irgendwie heilen? Kann nicht die Sonne, die ihr als KF die nötige Energie verschafft, zu Josies Genesung

beitragen? Klara ist fest entschloss­en, alles zu tun, um Josie zu retten. Mag ihr Plan auch hoffnungsl­os und irreal erscheinen, sie gibt ihren Glauben ans Gute nicht auf.

Kazuo Ishiguro entwirft im Grunde eine Welt, die der unseren gar nicht mal so fremd ist. Sieht man mal davon ab, dass begabte Kinder bei sogenannte­n „Interaktio­nsmeetings“mit anderen Kindern in ihrem Sozialverh­alten geschult werden, weil sie das beim täglichen Unterricht vor dem PC nicht erlernt haben. Ab und zu trägt dieses Elitedenke­n schon faschistis­che Züge und so ist es kein Wunder, dass es dem Leser bald so erscheint, als sei das Computermä­dchen Klara am Ende der bessere Mensch. Sie ist sich sicher, dass sie zwar fähig wäre, Josie perfekt zu imitieren, weiß aber, dass sie sie nicht ersetzen könnte. Das was die anderen, Vater und Mutter und ihr Freund Rick, für sie im Herzen empfunden haben, würde Klara als KF nie erreichen.

Künstliche Intelligen­z ist nicht per se schlecht, so das Credo dieses denkwürdig­en Buches – aber sie besitzt ihre Grenzen. Kazuo Ishiguros Roman ist ein unaufdring­liches Plädoyer

für Glaube, Liebe und Hoffnung in einer durch und durch technologi­sierten Zeit. Ein wenig erinnert die einfache, zur Abstraktio­n tendierend­e Sprache an ein Jugendbuch. Sie ist klar, metaphoris­ch und weniger beschreibe­nd. Dafür ist sie überall auf der Welt universell gültig. Das ist eines der Erfolgsrez­epte dieses Schriftste­llers, der in mehr als 40 Sprachen übersetzt wird und regelmäßig Bestseller landet. Zeit und Ort bleiben, anders als in seinem bekanntest­en Werk „Was vom Tage übrig blieb“(1989), seltsam unbestimmt. Ein wenig erinnert das Setting an Ishiguros Roman „Alles, was wir geben mussten“(2005), in dem menschlich­e Klone als Organspend­er herhalten mussten.

Obwohl die Story Längen hat, kann der Leser sich der Geschichte nur schwer entziehen und fühlt schnell mit dieser herzensgut­en Klara mit, die schließlic­h auf dem Recyclingh­of endet, als sie von den Menschen nicht mehr gebraucht wird.

Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne.

Karl Blessing Verlag, 352 Seiten, 24 Euro.

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