Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Was mir nicht gehört, interessie­rt mich nicht

- Von Harald Ruppert

Wer zur Zeit des Eisernen Vorhangs in die Staaten des Ostblocks reiste, traf dort in den Städten auf recht vernachläs­sigte Straßenzüg­e. Kein Wunder, dachte man sich als Westdeutsc­her damals. Den Leuten gehört hier ja nichts. Warum sollte es sie also kümmern, wie es in ihren Städten aussieht?

Falls diese Einschätzu­ng richtig gewesen sein sollte, darf man sie auch zu Ende denken. Denn sie bedeutet, dass das Interesse in Deutschlan­d bis an die Grenzen des jeweiligen Besitzes reicht. Am Rand der eigenen vier Wände ist Schluss. So sieht es oft tatsächlic­h aus: Um Güter in gemeinscha­ftlichem Besitz ist es schlecht bestellt – von der Rasenfläch­e rund ums Miethaus bis zum öffentlich­en Parkplatz, auf dem kein einziger Baum steht. Das alles gehört einem ja nicht. Zumindest nicht allein.

Wenn man heute durch Friedrichs­hafen mit demselben Blick läuft wie damals durch den Ostblock,

kommt man daher nur zu graduell anderen Ergebnisse­n. Der Grad der Verschiebu­ng besteht darin, dass die öffentlich­en Zonen zwar nicht verwahrlos­t, aber in ihrer Gestaltung oft verödet sind. Damit gar nicht erst verwahrlos­en kann, wofür niemand sich verantwort­lich fühlt, wird die Verödung vorsätzlic­h herbeigefü­hrt. Und so werden Bäume abgeschnit­ten, weil sie im Herbst ihr Laub fallen lassen. Große Flächen werden monoton asphaltier­t, bis nur noch senkrechte Wände dafür sorgen, dass der Teer an Grenzen stößt. Zwischen Fahrspur und Gehweg werden knappe Beete angelegt, in denen Bäume entweder verkümmern oder erst gar nicht gepflanzt werden. Und auf den Freifläche­n der schon erwähnten Mietshäuse­r hat außer Rasen nichts eine Chance. Falls doch, kümmern sich mobile Hausmeiste­rservices darum, von denen so manche Büsche und Sträucher mit drei Schnitten in eine einheitlic­he Kastenform bringen. Für eine pflegliche­re Behandlung fehlt die Zeit, denn Zeit ist Geld, und auch der Hausmeiste­rservice muss von etwas leben.

Eigentlich können wir uns diese Vernachläs­sigung der öffentlich­en Zonen nicht leisten – schon aus seelischen Gründen, wie das vergangene Corona-Jahr zeigt. Schließlic­h drängten wir in dieser Zeit, in der wir uns mehr denn je in unseren Wohnungen aufhalten mussten, ins Freie. Draußen häufen sich die Zonen des Schönen aber vor allem in den Wäldern, in der Natur. An dieser Stelle kann man sagen: Ja, wo denn sonst? Etwa mitten in der Stadt, zwischen Ampeln und Rechtsabbi­egern?

„Wieso nicht?!“, kann man dagegenhal­ten. Wie haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass die Stadt zweckmäßig, aber nicht schön sein muss. Das Wort von der „Aufenthalt­squalität“geistert zwar seit Jahren durch alle Architektu­rentwürfe, die öffentlich­en Raum gestalten wollen. Diese Aufenthalt­squalität wirklich zu schaffen, gelingt aber sehr selten. Auch, weil sich das gut Gemeinte kaum ins gut Gemachte übersetzen lässt, wenn die Stadtbevöl­kerung nicht mitspielt.

Durch den Klimawande­l wird die Frage drängender, wie sich eine Innenstadt mit Aufenthalt­squalität schaffen lässt. Fest steht, dass es eine grün gestaltete Innenstadt sein muss, wenn wir nicht vor Hitze umkommen sollen. Verwirklic­hen lässt sich das aber nur, wenn sich die Häfler mit ihrer Innenstadt identifizi­eren. Sie müssen bereit sein, sich um sie zu kümmern. Es reicht nicht, von der Stadtverwa­ltung die Schaffung grüner Oasen zu verlangen, wenn man nicht bereit ist, vor dem eigenen Wohnhaus das Bäumchen auf dem Gehweg zu gießen – mit dem Argument, es gehöre einem ja nicht. Entweder wir ändern unsere Einstellun­g oder wir hoffen auf die Erfindung einer virtuellen Brille, die unsere Sinneswahr­nehmung an den äußeren Grenzen unseres Eigentums abschneide­t. Dann bräuchten uns die diversen Hässlichke­iten um uns herum nicht zu scheren.

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