Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Falsche Angst vor Zahnarzt in der Pandemie

Markus Steybe erklärt, warum Kontrollte­rmine während Corona wichtiger denn je sind

- Von Silja Meyer-Zurwelle

FRIEDRICHS­HAFEN - Bohrer, Speichelsa­uger, Watterolle: Viele Menschen verbinden mit dem Besuch beim Zahnarzt vor allem die Angst vor Schmerzen im empfindlic­hen Mundraum. Seit Beginn der CoronaKris­e und mit Anbruch der Zeiten vom Mundschutz im Alltag ist für viele jedoch noch eine weitere dazugekomm­en: nämlich die vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus. Doch gerade in Zeiten der Pandemie ist der Zahnarztbe­such wichtig, wie der Häfler Zahnarzt und Kreisvorsi­tzende der Zahnärztin­nen und Zahnärzte im Bodenseekr­eis Dr. Markus Steybe betont.

Vor allem im Zusammenha­ng mit der sogenannte­n Parodontit­is, einer bakteriell­en Entzündung des Zahnbettes, warnt Steybe davor, die Kontrollte­rmine beim Zahnarzt allzu lang hinauszusc­hieben. „Ist man einmal Parodontit­is-Patient, so bleibt man es und muss auch regelmäßig zur Parodontit­is-Therapie. Wenn ein Patient einmal nicht kommt, dann geht es noch, aber wenn er es noch länger aufschiebt, dann fördert derjenige nicht nur die Parodontit­is, sondern auch das Covid-19-Risiko“, sagt der Experte. Seine Warnung untermauer­t auch eine aktuelle Studie, über die jüngst die Fachzeitsc­hrift „Die Zahnarzt-Woche“(DZW) schrieb. Demnach soll es einen Zusammenha­ng zwischen Parodontit­is und einem schweren Covid-19-Verlauf geben.

Weiter heißt es in der DZW, dass die Studie ergeben habe, dass nach Berücksich­tigung von Alter, Geschlecht, Nikotinkon­sum und BodyMass-Index, Covid-19-Patienten mit Parodontit­is dreieinhal­bmal häufiger auf die Intensivst­ation eingewiese­n wurden, viereinhal­bmal häufiger ein Beatmungsg­erät benötigten und fast neunmal häufiger sterben als diejenigen ohne Zahnfleisc­herkrankun­gen. Mariano Sanz, einer der Autoren der Studie, stellte laut DZW fest, dass orale Bakterien bei Patienten mit Parodontit­is eingeatmet werden und die Lunge infizieren können, insbesonde­re bei Patienten, die ein Beatmungsg­erät verwenden. Dies könne zur Verschlech­terung von Patienten

mit Covid-19 beitragen und das Todesrisik­o erhöhen, sagte er der Fachzeitsc­hrift und empfiehlt, dass das Krankenhau­spersonal Covid-19Patiente­n mit Parodontit­is identifizi­eren und bei ihnen orale Antiseptik­a verwenden sollte, um die Übertragun­g von Bakterien zu verringern.

Markus Steybe bekräftigt auch deshalb: „Die Leute sollen sich trauen, zu kommen. Die Zahngesund­heit ist ja nicht nur wegen eines erhöhten Covid-Risikos wichtig, sondern auch für die Allgemeing­esundheit. Parodontit­is verstärkt schließlic­h erwiesener­maßen auch das Diabetes- und Herzinfark­trisiko.“Alle Zahnarztpr­axen im Land zählten bereits vor der Krise seinen Worten zufolge naturgemäß wegen der Arbeit im Mundraum zu solchen mit sehr hohen Hygienesta­ndards. „Während am Anfang der Pandemie zunächst aerosolbil­dende Behandlung­en – also solche mit Salz-Wasser-LuftStrahl­geräten – vermieden wurden, gibt es auch da mittlerwei­le komplett Entwarnung. Erstens saugen wir die Aerosole ja immer sofort wieder ab und zweitens bekommen die Patienten heute zuerst eine desinfizie­rende Mundspüllö­sung, die vorhandene Keime eliminiert“, erläutert der Zahnarzt.

Würden die Patienten damit eine Minute den Mund ausspülen, so sei die Virenlast über 90 Prozent reduziert, fügt er an. „Hinzu kommt, dass auch wir natürlich geeignete Atemschutz­masken und Handschuhe tragen und außerdem keine Patienten mit Krankheits­symptomen behandeln. Für diese gibt es dann spezielle Schwerpunk­tpraxen“, sagt Markus Steybe. 15 Mitarbeite­r seien in seiner Praxis be- schäftigt. „Bisher sind wir unbeschade­t durch die Pandemie gekommen“, sagt der Zahnarzt.

Wie sehr sein Team und er sich dafür und für die Patienteng­esundheit anstrengen, macht er zudem an einer Anekdote deutlich. „Ich bin normalerwe­ise das gesamte Jahr kurzärmeli­g in der Praxis unterwegs. Diesen Winter habe ich zum ersten Mal einen Pullover anziehen müssen, weil wir die ganze Zeit nur am Lüften waren“, meint er und lacht. Worauf der Zahnarzt bei allen, die jetzt noch Sorgen haben, sich wieder in die Praxen zu trauen am Ende noch verweist? „Der alte Spruch ,Gesund beginnt im Mund’ gilt immer noch. Ein Grund mehr, die Zahngesund­heit nicht zu vernachläs­sigen.“

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SYMBOLFOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA Höchste Hygienesta­ndards galten vor allem in Zahnarztpr­axen durch die Behandlung im Mundraum der Patienten auch schon vor Corona-Zeiten, wie Markus Steybe betont.
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FOTO: SMZ Dr. Markus Steybe

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