Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Ich hab‘ nichts zu verlieren, ich knall‘ dich ab“
37-Jähriger muss sich dem Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen schweren Raubs stellen
LANGENARGEN/RAVENSBURG - Im Landgericht Ravensbugr hat ein auf vier Tage angesetzter Prozess begonnen, in dem einem 37-Jährigen gemeinschaftlich begangener schwerer Raub vorgeworfen wird. Der im Raum Friedrichshafen aufgewachsene Mann soll im September 2012 in Langenargen einen Mittäter zu einem von ihm zuvor ausgespähten Haus im Wohngebiet „Gräbenen“gefahren und seinen Komplizen instruiert haben, die Bewohnerin mit einer Pistole zu bedrohen, sie zu fesseln und zu knebeln. Die Beute von rund 4000 Euro sollte geteilt werden.
Die Anklage lautet wie folgt: Das Opfer des Überfalls, eine selbständige Gastronomin aus Langenargen, befand sich auf dem Nachhauseweg, als sie gegen 22 Uhr im Bereich des Schlossparks und ihres geparkten Autos einen jungen Mann mit Kapuzenjacke beobachtete, dem aber keine Bedeutung beimaß. Sie stieg in ihr Auto und fuhr nach Hause. Dort angekommen, stand diese Person plötzlich seitlich hinter ihrem Auto und starrte sie an. Im ersten Moment nahm sie ihn noch nicht ernst, erst als er den Namen ihrer Tochter sagte und von sich gab: „Ich weiß, wo deine Tochter ist“, nämlich in einem
Häfler Ortsteil, was stimmte, überkam sie Angst. Erst recht, als ihr der Mann eine Pistole an den Kopf hielt und bedeutete: „Ich hab‘ nichts zu verlieren, ich knall dich ab.“Mit der Waffe drohend drängte er sie in ihr Haus, durchsuchte die Zimmer bis zum Keller, warf Bilder von der Wand und suchte nach Geld, das er schließlich im Schlafzimmer fand. Anschließend beorderte er sein Opfer
ins obere Badezimmer des Hauses, fesselte und knebelte es. Dann verließ er das Haus. Das Opfer konnte sich von ihren Fesseln befreien und die Polizei sowie ihre Tochter verständigen.
Der Angeklagte machte am ersten Verhandlungstag keine Angaben zum Tatvorwurf, schilderte aber ausführlich seine Kindheit und Jugend, die unter den Spannungen zwischen den Eltern gelitten hat, wie er sagte. Er verließ aufgrund der Streitigkeiten früh die elterliche Wohnung und schloss sich einer Wohngruppe an. Weil er sich nicht an deren Regeln hielt, war auch dieser Aufenthalt nur von kurzer Dauer. Er zog bei der Freundin ein und kurzzeitig wieder bei den Eltern, kam dann aufgrund diverser Straftaten in Jugendhaft. Zuvor hatte er die Schule ebenso verlassen müssen wie ein Berufsvorbereitungsjahr Metall. Wegen mangelnder Leistungen war auch eine Ausbildung vorzeitig beendet.
Im Vollzug setzte er diese Ausbildung fort, konnte sie jedoch nicht abschließen, da seine Haftzeit zu kurz war. Neun Jahre lang arbeitete er schließlich in einem großen Unternehmen in Friedrichshafen, verdiente gutes Geld und kaufte sich eine Wohnung. Die Wirtschaftskrise und Kurzarbeit waren Schuld, dass er seine Kredite nicht mehr bedienen konnte. Deshalb musste er die Wohnung verkaufen. Wegen seiner Drogenprobleme folgten mehrere Therapien. Er wurde arbeitslos. Wegen Schulden um die 100 000 Euro ist aktuell eine Privatinsolvenz angedacht.
Seit Mai 2019 befindet er sich erneut in Therapie, in der er sich, wie er berichtet, mit seinen Straftaten auseinandergesetzt hat. Er habe jetzt
Ziele, will sich um seine Freundin und seinen kleinen Sohn kümmern. „Ich will Vater sein“, beteuert er, sich überzeugt gebend, ein Leben ohne Drogen schaffen zu können. Und zwar in Deutschland. Im Auslang zu leben sei für ihn unvorstellbar, weshalb er gegen seine Abschiebung Berufung eingelegt habe.
Die Verteidigung – eine Pflichtverteidigerin und ein Wahlanwalt – beantragten eine Unterbrechung des ersten Verhandlungstags, der Kammer und Staatsanwaltschaft zustimmten. Die Verteidiger wollen vor einer Fortsetzung Akteneinsicht zu früheren strafrechtlichen Vorgängen, unter anderem in Österreich sowie Aussagen von Zeugen.
Sie habe Angst um ihr Leben gehabt, berichtet die überfallene Frau am Ende im Zeugenstand. Sie konnte nach der Tat tagelang nicht arbeiten, suchte Hilfe bei einer Psychologin. Wochenlang traute sie sich nicht allein aus dem Haus, das sie mittlerweile verkauft hat. Sie wohnt zur Miete, weil sie jedes Mal an den Überfall erinnert wurde, wenn sie auf ihr Haus zuging.
„Ich kenne den Mann“, sagt sie, als sie sich nach ihrer letzten Aussage den rechts von ihr sitzenden Angeklagten anschaut. Woher, weiß sie nicht.