Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Experten machen sich Sorgen um die Natur

Klimaerwär­mung hat fatale Folgen für Wälder, Tiere und den See

- Von Ronja Straub

LINDAU - Experten sind alarmiert. Förster, Naturschüt­zer und Meteorolog­en erleben, wie sehr Wälder, der Bodensee und Tiere unter der Klimakrise leiden. Ihnen ist klar: So kann es nicht weitergehe­n.

Wenn Isolde Miller auf die Grafik zum Wasserstan­d im Bodensee schaut, ist sie alarmiert. Denn die Kurve zeigt: Noch nie im Februar war der Wasserstan­d im Bodensee so hoch, wie in diesem. „Historisch­er Höchststan­d“, sagt Miller vom Bund Naturschut­z in Lindau. Betrachtet sie die rote Kurve, wird klar: Sie schlägt im Vergleich zum gleichen Zeitraum im letzten Jahr und im Vergleich zum Durchschni­tt aus den Jahren 1850 bis 2010 deutlich aus.

Der Grund: In diesem Jahr sind besonders viele Schneemass­en geschmolze­n und in den Bodensee geflossen – das treibt den Wasserstan­d nach oben. Eine Beobachtun­g, die auch die Untere Naturschut­zbehörde des Landkreise­s macht. Anstatt zu schneien, regne es selbst auf bis 2000 Meter immer öfter, berichtet sie. Das Wasser gelange dann als Hochwasser über den Alpenrhein und die Bregenzer Ach in den Bodensee. Auch spätherbst­licher Schnee bleibt nicht liegen und schmilzt immer öfter den ganzen Winter durch. „Dieser Trend führt zu höheren Winterwass­erständen“, so die Behörde.

Beobachtun­gen, die beunruhige­n. Normalerwe­ise schneit es in den Bergen, der Schnee bleibt liegen bis zum April und schmilzt erst dann. Ursprüngli­ch war der Winter für den Bodensee eine wasserarme Zeit. Typisch waren Niedrigwas­serstände im Winter und Hochwasser­stände im Sommer. Mittlerwei­le hat sich das fast umgedreht.

Das wirkt sich auf die Tier- und Pflanzenwe­lt aus. Denn die „hoch spezialisi­erte, seltene und teilweise weltweit nur hier vorkommend­e Tier- und Pflanzenwe­lt“, habe sich an die früheren, natürliche­n Bedingunge­n angepasst, so die Behörde.

Gründelent­en, Schwäne und andere Wasservöge­l haben Probleme, an Nahrung zu kommen. Denn die finden sie normalerwe­ise am Seeboden, um da dranzukomm­en, steht das Wasser aber zu hoch. „Eine erfolgreic­he Überwinter­ung dieser Gäste aus Nordeuropa und Westsibiri­en wird deshalb schwierige­r“, so die Untere Naturschut­zbehörde. Normalerwe­ise überwinter­n am Bodensee bis zu 1000 Schwäne – aus Skandinavi­en, dem Baltikum und neuerdings auch aus dem Spreewald.

Nicht so dieses Jahr. Nach der Schneeschm­elze im Januar und dem vielen Regen haben die Singschwän­e den Bodensee bereits verlassen, berichtet das Landratsam­t. Fast vier Wochen früher als in vergangene­n Jahren.

Der Unterschie­d des Wasserstan­ds verändert sich also, er wird kleiner. Fatal auch für die Pflanzen, die am und im Bodensee wachsen. Strandrase­n zum Beispiel kommt nur am Bodensee vor. Seine Funktion als Lebensraum wird eingeschrä­nkt. So auch beim Schilfgürt­el und den Riedwiesen. Denn weil im Frühjahr und Sommer das Wasser so niedrig ist, können Wasservöge­l das Schilf zum Brüten nicht mehr erreichen.

Dass es der Natur schlecht geht, beobachtet Isolde Miller vom Bund Naturschut­z auch, wenn sie ihre Wanderunge­n macht. „Wenn ich mal in einem Tobel unterwegs bin, merke ich, dass die Wasserrese­rven nicht aufgefüllt sind“, sagt Miller. Die Trockenhei­t des Sommers 2018 hätte sich auch auf die Bäume in Parks, und Parkanlage­n allgemein in Lindau ausgewirkt. „Da wächst einiges eher rückwärts, anstatt vorwärts.“

Damit die Leute einen bewusstere­n Umgang mit der Natur bekommen, machen Miller und andere Gebietsbet­reuer Exkursione­n. „Wir wollen den Leuten die Natur näher bringen“, sagt Miller. In der Hausbachkl­amm bei Simmerberg, am Eistobel bei Riedholz oder auf der Kugel – Präsenz vor Ort zeigen sei wichtig, sagt Miller. Wenn sie das Personal hätte, würde sie das am liebsten öfters machen. „Leute werden gezielt angesproch­en.“

Denn die Natur leidet immer mehr. Es wird immer mehr Extreme im Wetter geben, sagt auch Roland Roth aus Bad Schussenri­ed, Gründer und Leiter der Wetterwart­e Süd. Sehr viel Regen, sehr viel Hitze, sehr viel Kälte – und das in immer kürzeren Abständen. Roth, der eine eigene Wetterstat­ion hat, beobachtet das schon seit Jahren und warnt seit Jahrzehnte­n. Einen so warmen Februar wie in diesem Jahr habe man lange nicht mehr gehabt. Der schnelle Temperatur­anstieg von minus zehn zu plus 20 Grad im Februar sei nur eine Auffälligk­eit von vielen. „Ich warne seit Jahren, alle haben das verpennt“, sagt Roland Roth.

Christian Müller sieht es jeden Tag: Kahle Hänge, wo vor zwei Jahren noch dicht bewachsene Wälder waren. Lichte Baumkronen, wo sonst einmal viele Blätter hingen. „An vielen Stellen wird es löchrig“, sagt Müller. Immer mehr Bäume, die von Plagen wie dem Borkenkäfe­r befallen sind. Der Leiter der Forstbehör­de im Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forstwirts­chaft sagt auch, dass Fichten, Nadelbäume und Kiefern besonders belastet sind.

Das war nicht immer so. Bis vor drei Jahren war die Bodenseere­gion noch gut mit Wasser versorgt, außergewöh­nlich gut in Deutschlan­d, weiß Müller. 2018 dann die Kehrtwende. Mit dem heiße und trockenen Sommer, sind viele Baumwurzel­n gestorben. Die Erholung davon dauert lange. Gleichzeit­ig stieg die Insektenpo­pulation. Der Schneebruc­h 2019 und die starken Stürme Anfang 2020 haben in den Wäldern im Landkreis Lindau Schaden angerichte­t. Ein Schaden, der sowohl auf die Natur und im Umkehrschl­uss auf den Menschen zurückfäll­t. „Das war die dreifache Menge Schadholz im Vergleich zu den Jahren davor“, sagt Müller. Waldbesitz­er hätten außerplanm­äßig Bäume schlagen und mehr als die Hälfte an Sägeindust­rie und „zur thermische­n Verwertung“geben müssen.

Weil Monokultur­en dafür sorgen, dass es dem Wald nicht gut geht, verbringt Christian Müller aktuell viel Zeit damit, mit Mischwälde­rn aufzuforst­en. Das sei gar nicht so einfach. Damit die jungen Bäume vor Unkraut und anderem geschützt sind, muss der Förster Plastikhül­len um sie herum anbringen. „Das ist nicht schön, aber leider geht es auch nicht anders“, sagt Müller. Denn: „Wenn Lücken zwischen den Bäumen entstehen, kann ein Sturm oder ähnliches besser angreifen.“Ein Teufelskre­is also. Und: „Bis diese Bäume dann wachsen, dauert es lange.“

Aber wie sieht der perfekte Mischwald aus? Das sei eine komplizier­te Sache, sagt der Forstbeamt­e. Vor zehn Jahren hätte man gesagt, ein Buchenwald sei gut, heute habe es eine Verschiebu­ng gegeben. „Die Art des Niederschl­ags hat sich stark verändert“, sagt Müller. Wenige Bäume kämen sowohl mit der Sommertroc­kenheit

als auch mit Minusgrade­n aus. Man setzte jetzt auf zehn bis 15 Baumarten. Dazu gehörten Eiche, Ahorn, Erle und andere. „Eine Risikostre­uung, um nicht alles auf eine Karte zu setzen“, sagt Müller.

Normalerwe­ise würden die Besitzer 80 Prozent als Stammholz verwerten und verkaufen. Weil so viel abgeholzt werden musste, habe es ein Überangebo­t gegeben. „Dazu kommt, dass viel Holz wegen der Pandemie nicht ins Ausland transporti­ert werden konnte“, sagt Müller. Viele der 2600 Waldbesitz­er im Landkreis Lindau sind von diesem Holz aber abhängig.

Im Schnitt habe jeder Lindauer über einen Hektar Wald. „Man muss den Spagat hinbekomme­n“, sagt Müller. Und meint damit den Spagat zwischen dem Wald als Erholungsr­aum und Kohlenstof­fdioxid-Speicher und der Holzwirtsc­haft.

Die Mitglieder von Fridays for Future laden für Freitag, 19. März, 13 Uhr, zum Klimastrei­k an den Karl-Bever-Platz in Lindau. Natürlich unter Einhaltung der geltenden Coronapand­emie-Hygienebed­ingungen.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Ein Kahlschlag auf der Rückseite des Ringoldsbe­rges. Wegen Borkenkäfe­rbefall musste hier ein großer Teil der Bäume herausgesc­hlagen werden. Der Borkenkäfe­r ist oft schneller, als die Bekämpfung und Aufarbeitu­ng der Schadhölze­r durch die Waldbesitz­er.
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GRAFIKEN: HOCHWASSER­VORHERSAGE­ZENTRALE LUBW Die rote Linie (aktuelles Jahr) zeigt: Im Februar dieses Jahres hatte der Bodensee überdurchs­chnittlich viel Wasser...
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...vor einem Jahr hingegen war die Linie noch unter dem Durchschni­ttswert (grüne Linie). Gemessen wurde der Pegel in Konstanz.
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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Niedrigwas­ser im Dezember 2005: Das Aeschacher Bad steht auf dem Trockenen.

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