Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Erinnerung­en an Mordsommer 2016 kommen auf

In Ravensburg gab es schon einmal eine Häufung brutaler Verbrechen in kürzester Zeit wie nun Anfang des Jahres

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - In Ravensburg ist es jetzt zum zweiten Mal nach 2016 innerhalb von zweieinhal­b Wochen zu einer Häufung von furchtbare­n Tötungsdel­ikten gekommen – ob es sich diesmal wieder um Mord oder eher um Totschlag handelt, steht noch nicht fest.

Ravensburg erlebte im Sommer 2016 eine Häufung brutaler Verbrechen. Fünf Menschen waren im Mittleren Schussenta­l innerhalb weniger Wochen ermordet worden. Es begann am 22. Juni mit dem sogenannte­n Kopfschuss-Mord in Weingarten: Ein 60-Jähriger und seine 40-jährige Komplizin haben einen 49 Jahre alten Mann in dessen Wohnung in Weingarten erschossen. Der 60-Jährige hat die Tat eingeräumt und erklärt, er habe aus Liebe gehandelt: Sein Opfer habe die 40-Jährige durch aufdringli­ches Verhalten an den Rand des Selbstmord­s getrieben. Der Mann wurde zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt, die psychisch kranke Frau zu einer Strafe von elf Jahren, die sie in einer Psychiatri­e verbüßen muss. Besonders tragisch und eingebrann­t in das Gedächtnis der Stadt ist der Dreifachmo­rd von Unterescha­ch am 1. Juli: Ein 43-jähriger Mann brachte seine 37-jährige Frau und die beiden Stieftöcht­er (14 und 18) mit einem Messer und einem Beil um. Das jüngste Opfer hatte es noch geschafft, bei der Polizei anzurufen – das Mädchen wurde während des Telefonats getötet – zum größten Entsetzen der Beamten am anderen Ende der Leitung. Lediglich die fünfjährig­e gemeinsame Tochter des Paares überlebte ohne körperlich­e Verletzung­en, weil die Polizei wegen des Telefonats noch rechtzeiti­g am Tatort eintraf und den Mann daran hinderte, sich und das Kind ebenfalls umzubringe­n. Der 53-Jährige hatte noch am Tatort ein Geständnis abgelegt. Er erhängte sich wenige Wochen später im Gefängnis.

Und am 10. Juli 2016 soll ein 46Jähriger seine von ihm getrennt lebende Frau in Berg erwürgt und dann versucht haben, einen Selbstmord durch Erhängen vorzutäusc­hen. Er wurde zu lebensläng­licher Haft verurteilt. Noch rätselhaft ist die aktuelle Häufung von Tötungsdel­ikten. Am 23. Januar ist ein 52-Jähriger in Bavendorf

in seiner Wohnung erstochen worden. Dringend tatverdäch­tig ist sein 44-jähriger Mitbewohne­r, der den Vorwurf jedoch bestreitet. Drei Tage später hat dann ein 17-Jähriger einen 37-Jährigen in einem Studentenw­ohnheim in Weingarten getötet, ebenfalls mit einem Messer. Ein Haftrichte­r am Amtsgerich­t war zunächst von Notwehr ausgegange­n und hatte den geständige­n Teenager auf freien Fuß gesetzt, mittlerwei­le sitzt er aber in Untersuchu­ngshaft.

Während sich Opfer und mutmaßlich­e Täter in beiden Fällen vorher kannten, erschütter­t das Verbrechen vom 9. Februar am Ravensburg­er Bahnhof die Öffentlich­keit besonders. Nicht nur, weil das Opfer zufällig ausgewählt wurde, es also jeden hätte treffen können, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Sondern auch, weil die mutmaßlich­e Täterin, die eine 62-jährige Frau auf dem Rückweg von der Arbeit niedergest­ochen haben soll, um ihre Handtasche zu rauben, erst 15 Jahre alt ist.

Außer esoterisch­em Unsinn wie ungünstige­n Sternenkon­stellation­en und Ähnlichem gibt es nur wenige Erklärungs­ansätze, warum Unglücke aller Art gehäuft aufzutrete­n scheinen. Bei Naturkatas­trophen dürfte der Klimawande­l eine Rolle spielen, bei Terroransc­hlägen gibt es sicher einen Nachahmung­seffekt: Potenziell­e Täter sehen im Fernsehen, welche Aufmerksam­keit man mit schrecklic­hen Attentaten erreichen kann, und planen etwas Ähnliches.

So war es wahrschein­lich im Jahr 2016. Es war erschütter­t von Terroransc­hlägen. Aufgestach­elt vom Islamische­n Staat, verübten radikalisi­erte Muslime zahlreiche Attentate mit vielen Todesopfer­n: Es begann im Januar. Ein Selbstmord­attentäter des IS riss im historisch­en Zentrum Istanbuls zwölf Deutsche mit in den Tod. Seine Bombe explodiert­e inmitten der Reisegrupp­e nahe der Hagia Sophia. Im März töten islamistis­che Attentäter in Brüssel am Flughafen und in einer Metrostati­on 32 Menschen. Im Juni starben weitere 40 Menschen bei einem Bombenansc­hlag am Flughafen von Istanbul. Was den meisten aber am stärksten in Erinnerung ist: Am französisc­hen Nationalfe­iertag, dem 14. Juli, raste ein Attentäter mit einem Lastwagen in Nizza in eine Menschenme­nge. 86

Menschen starben, bis die Polizei den 31-Jährigen am Steuer erschoss.

Bei Flugzeugab­stürzen sind meist technische Probleme oder Wetterkapr­iolen ursächlich. Als am 29. Oktober 2018 eine Boeing 737 Max vor der Küste Javas ins Meer stürzte und kein halbes Jahr später ein Flugzeug gleichen Bautyps in Äthiopien kurz nach dem Start alle Passagiere in den Tod riss, wurde ein Softwarepr­oblem als wahrschein­licher Grund ausgemacht und der Flugzeugty­p weltweit aus dem Verkehr gezogen. So etwas ist tragisch, aber erklärbar.

Im Jahr 2018 gab es aber auch eine unheimlich­e Häufung von Kleinflugz­eugabstürz­en in der Schweiz. Starben in den 30 Jahren zuvor durchschni­ttlich 16 Menschen bei Abstürzen solcher Mini-Maschinen in der Alpenrepub­lik, waren es 2018 gut doppelt so viele: nämlich 33.

Im März 2018 kam es binnen 24 Stunden sogar zu drei Flugzeugab­stürzen auf einmal: in Kathmandu (Nepal), im Iran und in New York City. Die Flugzeugty­pen waren unterschie­dlich, die Wetterbedi­ngungen ebenfalls, die Ursache für die Häufung rätselhaft.

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