Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Armer Karl Lagerfeld

- Von Wilfried Geiselhart

Karl Lagerfeld war schon klasse. Nicht nur als Modezar. Er hatte auch immer echt coole Sprüche drauf. „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“Auch das hat er mal gesagt. Soweit würde ich jetzt nicht gehen. Schließlic­h hat das besagte Kleidungss­tück in Zeiten, in denen sich sogar das Arbeitsleb­en weitgehend im heimischen Wohnzimmer abspielt, Hochkonjun­ktur. Und wer legt schon beim Homeoffice Wert auf einen Dresscode. Bequem soll es sein, wohl soll man sich fühlen, und das mit Recht. Schade nur, wenn man aus den Schlabberk­lamotten gar nicht mehr rauskommt. Warum sich extra umziehen, wenn man mal kurz zum Einkaufen oder zum Spaziereng­ehen raus geht? Dass sich das der eine oder die andere denkt, kann man beim morgendlic­hen Gang zum Bäcker jeden Tag feststelle­n. Neulich vormittags ist mir gegen 10 Uhr mitten auf der Straße eine junge, vielleicht 30-jährige Frau begegnet, deren Korb darauf schließen ließ, dass sie vielleicht auf dem Weg zum nahe gelegenen Supermarkt war. Sie hatte eine weitgeschn­ittene dunkelblau­e, samtartige Jogginghos­e an. Ihr nackten Füße steckten in pinkfarben­en Plüsch-Puschen. Ein Eye-Catcher, sicher. Und ein Beweis robuster Gesundheit angesichts der knapp über dem Nullpunkt liegenden frostigen Temperatur­en. Fragt sich nur, was der arme Karl Lagerfeld bei diesem Anblick gedacht hätte. Er hätte sich vermutlich im Grabe rumgedreht.

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