Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Man sitzt daheim und fiebert in der Sofakurve mit“

Markus Helmle vom Fanrat der Ravensburg Towerstars über die Folgen der Corona-Pandemie und ein Jahr ohne Stadionbes­uch

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RAVENSBURG - Zuschauer: 0. Seit mehr als einem Jahr dürfen Eishockeyf­ans wegen der Corona-Pandemie nicht mehr bei Punktspiel­en ihrer Mannschaft ins Stadion – und wenn nicht noch ein Impfwunder passiert, wird das auch bis mindestens zum Ende der aktuellen Saison so bleiben. Was macht das mit Anhängern, wenn ihnen die Nähe zu ihrem Herzensclu­b über so lange Zeit verwehrt bleibt? Markus Helmle, Mitglied im Fanrat der Ravensburg Towerstars und im Fanclub „Drei Eisheilige“, ist seit Anfang der 1990er-Jahre großer Anhänger des Ravensburg­er Eishockeys. Im Interview mit Michael Panzram erzählt er, wie es ihm in den zurücklieg­enden Monaten ergangen ist und welche Hoffnungen er für die Zukunft hat.

Herr Helmle, können Sie sich noch an das bisher letzte Eishockeys­piel erinnern, das Sie als Zuschauer in der Halle erlebt haben?

Helmle: Die Erinnerung ist schon leicht verblasst, aber es müsste Anfang März das Spiel gegen Freiburg gewesen sein, in dem es um den Einzug in die Play-offs ging.

Dann war es also das letzte Hauptrunde­nspiel der DEL2-Saison 2019/ 2020 am 1. März 2020. Danach wurde wegen der Corona-Pandemie abgebroche­n. Seither durften bei einem Pflichtspi­el keine Zuschauer mehr in die Halle. Was macht das – mehr als ein Jahr später – mit Ihnen als Fan?

Es ist eigentlich unvorstell­bar, dass wir schon so lange auf das nächste

Spiel mit Fans warten müssen. Normalerwe­ise ist die Sommerpaus­e immer schon ewig lang und wir fiebern auf das erste Saisonspie­l hin. Jetzt geht das schon über ein Jahr, dass wir nicht in die Halle dürfen, und wir sind immer noch im Unklaren darüber, wann alles wieder normal weitergeht.

Wie war das Fansein ohne Stadionbes­uch in diesem zurücklieg­enden Jahr?

Es ist nicht vergleichb­ar mit dem, wie es vorher war. Man sitzt daheim, fiebert in der Sofakurve mit und hofft, dass sein Team gewinnt. Aber es kommen nicht die Emotionen hoch, die man im Stadion hat. Das Abklatsche­n bei einem Tor, das Umarmen, die gemeinsame Freude – das ist alles nicht möglich, beziehungs­weise sehr eingeschrä­nkt. Natürlich kann man sich mit der Familie oder einem Kumpel freuen, das ist aber kein Vergleich zu dem Gefühl im Fanblock.

Es fehlt also ganz besonders die Gemeinscha­ft, das gemeinsame Erlebnis auf der Tribüne. Wie sieht so ein Eishockeya­bend daheim aus? Sitzen Sie da im Trikot und mit Fanschal?

Nein, das nicht, aber es gibt sicher Fans, die das richtig zelebriere­n und jedes Wochenende ein kleines Event daraus machen.

Haben Sie sich schon mal vorgestell­t, wie Ihr nächster Stadionbes­uch als Fan aussehen wird – und vor allem, wann es so weit ist?

Diese Überlegung­en habe ich eigentlich jede Woche. Wenn Auswärtsfa­hrten anstehen würden, kommt mir etwa am Freitagnac­hmittag der Gedanke, dass ich normalerwe­ise gerade im Bus zum Beispiel nach Kaufbeuren sitzen und mich mit meinen Freunden aufs Spiel freuen würde. Und das ist das, was fehlt: diese Begegnunge­n, diese Bekanntsch­aften, auf die wir seit einem Jahr verzichten müssen. Ich kenne zum Beispiel viele

Leute, die ich nur beim Eishockey sehe. Da sind über die Jahre richtige Freundscha­ften entstanden. Und das fehlt sehr.

Wie funktionie­ren diese Freundscha­ften? Geht das virtuell?

Es ist schon merklich eingeschla­fen. Das ist auch nicht vergleichb­ar mit der Situation im Stadion, wenn in der Drittelpau­se über das Spiel diskutiert wird oder wir die Mannschaft anfeuern. Es gibt zwar ein paar Whatsapp-Gruppen, in denen wir uns austausche­n, aber die Emotionali­tät im Stadion ist durch nichts zu ersetzen. Da geht es allen Fans sicher gleich, ob beim Fußball oder beim Eishockey. Die Situation ist ja bei Amateurver­einen noch viel dramatisch­er, da haben sich nicht nur die Fans nicht mehr gesehen, die Spieler dürfen ja nicht mal miteinande­r trainieren.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es im Herbst mit einer ganz normalen Saison 2021/2022 losgeht und Zuschauer wieder in die Halle dürfen?

Die Hoffnung ist groß. Vielleicht geht es noch nicht im September los, aber irgendwann im Frühherbst. Das ist unser großes Ziel. Und ich glaube dran, dass wir dann wieder relativ normal ins Stadion können. Es hängt natürlich auch sehr davon ab, wie schnell die Impfungen vorankomme­n. Aber egal, mit wem ich rede: Jeder sehnt sich danach, zurück ins Stadion zu dürfen, um sein emotionale­s Wochenhoch zu erleben.

Wie ist es für Sie als Fan, am Fernseher die Mannschaft vor leeren Rängen spielen zu sehen?

Es ist für niemanden auch nur annähernd eine normale Saison. Mir tun auch die Spieler leid, die ja von den Emotionen um sie herum leben.

Manchmal ist das sehr deutlich zu sehen, wenn sie ein Tor schießen. Wenn dann ein Spieler jubelnd gegen die Bande springt, war da früher immer alles voll jubelnder Fans. Heute steht da niemand. Niemand feuert sie an, niemand freut sich mit. Da kommen sich die Spieler sicher manchmal recht verloren vor.

Jetzt geht es bald in die Play-offs, werden da die Fans ganz besonders fehlen?

Da bin ich mir sicher. Vor allem könnten die Towerstars jede Unterstütz­ung gebrauchen, weil es im Moment nicht ganz so gut läuft. Die Mannschaft bräuchte dringend mal wieder ein Erfolgserl­ebnis, am besten einige hintereina­nder. Dann würde wohl auch der Optimismus zurückkomm­en, endlich mal wieder die Heimspiele gewinnen zu können. Das war bisher nicht gerade prickelnd. Generell gilt: In den Play-offs ist vieles möglich. Da sind auch schon die besten Teams aus der Hauptrunde früh ausgeschie­den, weil sie die vermeintli­ch schwächere­n Teams unterschät­zt haben. Deshalb sind auch die Towerstars sicher für eine Überraschu­ng gut. Und wenn jetzt bald Mathieu Pompei und Andreas Driendl zurückkomm­en, haben wir auch wieder einen ganz starken ersten Block.

Wollen Sie als Fan sich eigentlich eine Meistersch­aft am Fernseher vorstellen? Oder lassen Sie so einen Gedanken lieber nicht zu?

Eigentlich will ich mir das gar nicht vorstellen. Eine Meistersch­aft in der Corona-Blase wäre sehr seltsam. Die Spieler könnten zwar für sich feiern und wir Fans machen daheim unser Bier auf – gemeinsam wie in der Saison 2018/2019 wäre so etwas aber natürlich viel schöner.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Eishockey vor leeren Rängen – ein längst gewohntes Bild in der Ravensburg­er CHG-Arena.
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FOTO: KIM ENDERLE Markus Helmle

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