Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Herr Dekan, ist Beichten noch zeitgemäß?

Ralf Gührer verrät auch, wie Gläubige das Sakrament in Zeiten von Corona empfangen können

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Herr Pfarrer Gührer, wem beichtet eigentlich ein Dekan seine Sünden?

Da gibt es keine Rangordnun­g. Jeder Priester, der die Beichtvoll­macht hat, kann die Lossprechu­ng geben. Die Hierarchie spielt keine Rolle. Auch der Papst kann bei einem Neugeweiht­en beichten.

Wie häufig sollte man beichten?

Grundsätzl­ich gibt es in der katholisch­en Kirche das Reglement, dass man einmal im Jahr beichten soll – am besten zu Ostern. Empfohlen wird die Beichte sogar alle vier Wochen. Letztlich muss man selbst sehen, was einem guttut. Zur täglichen Gewissense­rforschung und Reflexion rate ich aber jeder und jedem.

Finden im Moment überhaupt noch genügend Gläubige den Weg in den Beichtstuh­l?

Das ist von Pfarrei zu Pfarrei unterschie­dlich. Als ich Kaplan in Marktoberd­orf war, habe ich jede Woche einige Stunden im Beichtstuh­l verbracht – das war dort ein regelrecht­es Beichtzent­rum. Später, in meinen sechs Jahren als Wallfahrts­pfarrer in Elchingen in der Nähe von Ulm, kamen die Gläubigen vor allem an den hohen Feiertagen. Jetzt hier am Bodensee kommen vergleichs­weise wenige zur Beichte in die Pfarreien. Das liegt wahrschein­lich auch daran, dass wir andere Orte mit hohen Beichtzahl­en wie das Bregenzer Zisterzien­serkloster Mehrerau und das Kapuzinerk­loster dort oder die Gebetsstät­te Wigratzbad hier im Dekanat haben.

War das früher anders?

Die Zahl der Beichten war früher auf jeden Fall höher, da die Menschen von Kindesbein­en an eine ganz andere Art von Religiosit­ät mitbekomme­n haben. Den meisten älteren Gläubigen ist beispielsw­eise die Osterbeich­te noch in Mark und Bein. Früher gab es danach ja sogar einen Beichtzett­el als Nachweis, der bei der Osterkommu­nion einzulösen war. Für nicht wenige Menschen wuchs sich dieser Zwang zu einer

Aversion gegenüber Beichte und Glaube überhaupt aus.

Ist Beichten dann überhaupt noch zeitgemäß?

Ganz klar: ja. Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Leute nach vielen Jahren Beichtabst­inenz kommen und spüren, dass dieses Sakrament in ihrer individuel­len Lebenssitu­ation helfen kann. Es ist ein Gespräch, das über jedes Kaffeekrän­zchen oder sogar manche Psychother­apie hinausgeht. Manche Psychologi­n und mancher Psychologe verweist ihre Klienten sogar an einen Geistliche­n, zum Beispiel wenn es um Schuldgefü­hle geht oder eine tatsächlic­he Schulderfa­hrung etwas blockiert.

Welche Rolle spielt die Schuld?

Schuld ist eine menschlich­e Grunderfah­rung, um die niemand herumkommt. Sie gehört zum Leben, aber sie kann unser Leben traumatisc­h blockieren. Um sie zu überwinden, kann ich entweder mein Gewissen zum Schweigen bringen oder ich kann mich meiner Schuld stellen. Sich seinen Ängsten und seiner Schuld zu stellen, macht uns übrigens immer stärker. Die Möglichkei­t der Beichte ist ein hervorrage­ndes Mittel dazu. Ob allerdings die heutige Form noch zeitgemäß ist, darüber kann man sicherlich diskutiere­n. Es wäre nicht das erste Mal in der Kirchenges­chichte, dass dieses Sakrament neuen Input bekommen hat. Es gibt sogar die These, dass manches sterben muss, um neu wieder auferstehe­n zu können.

Muss eine Beichte immer persönlich sein? Oder geht das auch per EMail, Anruf oder Videokonfe­renz?

Die Beichte ist ein Sakrament – und dafür ist die körperlich­e Anwesenhei­t unabdingba­r. Die Stimme allein reicht nicht. Telefon oder Whatsapp sind zur Sündenverg­ebung nicht geeignet, zumal Dritte mithören oder mitlesen könnten. Das Beichtgehe­imnis wäre nicht gewahrt. Und dagegen zu verstoßen, ist mit das Schlimmste, was ein Geistliche­r tun kann.

Wie funktionie­rt die Beichte in Zeiten von Corona?

Der Beichtstuh­l geht im Moment nicht. Es gibt aber Beichtzimm­er, in denen die Abstände eingehalte­n werden können. Mundschutz ist Pflicht, es wird regelmäßig gelüftet und auch desinfizie­rt.

Was bringt mir die Beichte für das tägliche Leben?

Es sind drei Schritte, die schon jeder einzeln für sich allein wertvoll sind. Einmal denkt man über sich nach und hinterfrag­t sich. Das ist ganz wichtig. Indem ich mich selbst infrage stelle, bekomme ich einen besonderen Zugang zu mir. Selbstrefl­exion, Selbstwahr­nehmung macht es uns erst möglich, empathisch gegenüber anderen zu sein. Dann kommt der Moment, in dem ich das ausspreche, was ich auf dem Herzen habe. Durch die Worte ordnen sich meine Gedanken und Gefühle. Vieles wird mir dadurch schon klarer und bewusst, indem ich es jemandem sagen kann – das bestätigt uns die Psychologi­e. Das allein kann also schon heilsam sein, aber all das in Form der Beichte gibt die Gewissheit, dass Vergebung stattfinde­t. Im Auftrag Jesu spricht der Priester die Lossprechu­ng. Das kann ich nicht als Ralf Gührer, nicht als Doktor, Pfarrer und Dekan, sondern nur im Dienst Gottes und der Kirche. Das ist eine ganz andere Dimension.

Wie bereite ich mich auf die Beichte vor?

Eine Vorbereitu­ng ist gut und kann einem helfen. Aber wenn man sich überhaupt nicht mehr an den Ablauf erinnert, dann führt einen der Geistliche durch die Beichte schon hindurch. Sie helfen dem Priester, wenn Sie sagen, wie es Ihnen geht: „Ich weiß nicht mehr, wie Beichten geht, bitte helfen Sie mir.“

Welche Rolle spielt die Bereitscha­ft zur Besserung?

Der Wille zur Besserung ist Voraussetz­ung für eine gültige Beichte und noch mehr die Reue. Es kann keine Lossprechu­ng für etwas geben, was einem nicht leidtut.

Darf ich als Katholik auch beichten, wenn ich nicht regelmäßig in die Kirche gehe?

Ein Katholik hat nicht nur Pflichten, sondern auch viele Rechte. Dazu gehört das Recht auf Seelsorge und den Empfang der Sakramente und somit auch die Beichte. Das ist zunächst einmal unabhängig davon, wie häufig man einen Gottesdien­st besucht. Diese Rechte könnte man sogar beim Bischof in Augsburg einklagen. Allerdings ist mir noch kein Fall bekannt, wo jemand eine Beichte eingeklagt hätte.

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ARCHIVFOTO: SM Pfarrer Ralf Gührer ist seit Oktober 2020 Dekan.

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