Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Corona bringt Intensivpflege an Grenzen
Pflegerin und Pfleger des Häfler Klinikums berichten, wie sich ihre Arbeit verändert hat
FRIEDRICHSHAFEN - Steigende Infektionszahlen, immer wieder Diskussionen über den Lockdown: Die sogenannte dritte Welle ist das große Thema dieser Tage. Zwei, die die direkten Auswirkungen der Pandemie und ihrer Entwicklung mit am direktesten zu spüren bekommen, sind Nadja Dottermann und Lars Wieser, Intensivpflegerin und Intensivpfleger im Klinikum Friedrichshafen.
Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“blicken die beiden auf das vergangene Jahr zurück. Was hat die erste, die zweite und die gerade erst beginnende dritte Welle aus ihrer Sicht bisher unterschieden? „In der ersten Welle hatten wir zwar deutlich weniger Patienten als in der zweiten, aber dafür war es noch sehr chaotisch, weil es für uns alle eine neue Situation war. Da waren unglaublich viele Fragezeichen. In der zweiten ging es dann schon strukturierter zu und von der dritten kann man noch nicht viel sagen, denn sie beginnt gerade erst. Aber wir merken schon langsam, dass es wieder anzieht“, resümiert Nadja Dottermann. Lars Wieser ergänzt: „Im Herbst hatten wir viele ältere, über 80-jährige Patienten – das hat sich verändert. Unsere Patienten im Januar waren merklich jünger, da waren dann auch zwischen 40- und 50-Jährige dabei.“Das habe noch einmal neuen Respekt vor der Wucht des Virus geschaffen, sagt Nadja Dottermann.
Der 31-jährige Wieser und seine 24-jährige Kollegin haben, da sind sie sich einig, ein besonders hartes Jahr hinter sich. „Vor allem im Dezember wurde die Mehrbelastung durch Corona zwischenzeitlich schon zu einem moralischen Problem für mich, weil wir wenig Erfolgserlebnisse hatten“, gibt Nadja Dottermann offen zu. Ihren Beruf hat sie allerdings voller Leidenschaft ergriffen. Und die hat sie letztlich bisher auch durch diese schwierigen Stunden getragen. „Nach meinem Schulabschluss habe ich ein Praktikum hier im Klinikum gemacht. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich geblieben bin“, erinnert sie sich zurück. Das sei jetzt acht Jahre her und sie würde sich wieder so entscheiden, meint sie.
Dass der Pflegeberuf ganz klar auch Berufung ist, wird im Gespräch mit ihr und Lars Wieser schnell deutlich. „Kein Tag ist wie der andere, das macht sicher einen großen Reiz aus. Und natürlich, dass man Menschen helfen kann“, ergänzt Wieser, der seit über zehn Jahren als Pfleger arbeitet. Er ist über den Zivildienst das erste Mal mit dieser Tätigkeit in Berührung gekommen. „Einmal angefangen, hat es mich nicht mehr losgelassen“, sagt er und lächelt.
Nicht so schnell los lassen ihn und Nadja Dottermann allerdings auch die Erlebnisse mit den Intensivpatienten, die mit Covid-19 in ihrer Obhut sind. „Akutes Lungenversagen beziehungsweise ARDS, was fachsprachlich für Acute Respiratory Distress Syndrome steht, gibt es ja auch im Zusammenhang mit anderen Krankheiten. Aber das Ausmaß ist bei Covid-19 ein anderes. Wer bisher zu uns kam, hatte das in einer sehr starken Form“, erläutert Nadja Dottermann. Ihr Kollege nickt. „Ja, der Krankheitsverlauf war vor allem unglaublich schnell“, fügt er an.
Dass nicht alle ihrer Patienten es schaffen, das kennen die Pfleger der Intensivstation ebenfalls von anderen Krankheiten. Dennoch sei auch dieser Umstand mit Corona etwas anderes, sagt Lars Wieser. „Das kommt auch durch die noch recht eingeschränkten Therapiemöglichkeiten. Die Patienten werden intubiert, also beatmet, und dann kann man eigentlich nicht mehr viel machen. Klar, man unterstützt noch, wo es geht, aber ansonsten schaut man eher zu, wie es bergab geht“, schildert er. Auch, dass die Covid-Intensivpatienten, die es nicht schaffen, oft alleine sterben, trage dazu bei, dass es sich anders als mit anderen Krankheiten verhalte. „Am Anfang durften ja gar keine Angehörigen kommen – seit
„Wir hoffen, dass die Menschheit es aushält, sich über Ostern nicht zu treffen.“
Mitte Januar geht es für eine Stunde. Aber davor waren wir dann die letzte Instanz. Wir haben versucht, da zu sein und uns danebenzusetzen so gut es ging, aber oft war die Zeit dafür gar nicht da“, macht Nadja Dottermann das Dilemma deutlich.
So seien sie und Kollegen oft nicht nur die wichtigsten Stützen für die Patienten, sondern auch für deren Familien. „Für die Angehörigen fehlt der Prozess, den sie unter normaleren Umständen stärker begleiten können. Sie bringen ihre Lieben ins Krankenhaus und erleben dann, wie er oder sie nicht wiederkommt. Das ist die größte psychische Belastung für alle Beteiligten“, meint die Pflegerin. Sie und ihre Kollegen sind dann oft diejenigen, die die Kommunikation am Telefon übernehmen. „Manchmal geht es auch nur um Kleinigkeiten, wie etwa, dass jemand ein kleines Radio für den Patienten vorbeibringen will“, sagt Lars Wieser. Seine Kollegin stimmt ihm zu: „Die Angehörigen werden da sehr kreativ, das ist wirklich schön.“
Doch wie geht es eigentlich ihr und ihrem Kollegen selbst damit, fast tagtäglich im engsten Umfeld von schwer an Covid-19-Erkrankten zu sein? Ist die Angst vor Ansteckung ein ständiger Begleiter? „Ja, schon immer wieder. Vor allem in Gedanken an die eigenen Angehörigen.
Nadja Dottermann und Lars Wieser
Und als die Patienten zuletzt auch immer jünger wurden, habe ich oft gedacht: ,Das könnten jetzt auch meine Eltern sein.’ Da macht man sich dann trotz Schutzmaßnahmen und regelmäßiger Tests schon Sorgen. Ich habe mich deshalb auch teils stark selbst isoliert“, sagt Nadja Dottermann. Sie bekommt ihre zweite Impfung im Mai. Lars Wieser ist indes schon vollständig geimpft. „Seitdem habe ich nicht mehr so große Sorge, mich anzustecken“, meint er. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, sei beim gesamten Personal sehr hoch, ergänzt später auch MedizinCampus-Bodensee-Sprecherin Susann Ganzert.
Für die kommende Zeit haben Nadja Dottermann und Lars Wieser einen klaren Wunsch. Vor allem an die Politik: „Applaus und eine Pauschale reichen bei Weitem nicht. Es muss sich strukturell wirklich etwas ändern für die Pflege. Ich wünsche mir, dass wir gehört werden und den großen Worten auch Umsetzungen folgen“, fasst Nadja Dottermann zusammen. Zu Bildern von Querdenker-Demos haben sie und Lars Wieser ebenso ein klares Statement. Was ihm dabei durch den Kopf geht? Lars Wieser macht es kurz und deutlich: „Völliges Unverständnis“, sagt er kopfschüttelnd. Und zu guter Letzt richten die beiden stellvertretend für ihr Team, das, wie sie sagen, durch einen großen und auch in schwierigen Lagen sehr starken Zusammenhalt geprägt ist, einen klaren Appell an die Bevölkerung. „Wir hoffen, dass die Menschheit es aushält, sich über Ostern nicht zu treffen.“