Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Was darf ich hoffen?
Das ist nach Immanuel Kant eine der vier großen Menschheitsfragen. Auf dem Friedhof bleibt sie nicht philosophisch abstrakt. Wenn ein nahe stehender Mensch stirbt, färbt sich diese Frage persönlich ein. Die Abbruchkante des Lebens ist der Ernstfall für unsere Hoffnung.
Viele Traueranzeigen und weltliche Trauerfeiern beschwören die Erinnerungen als Quelle von Trost und Hoffnung. Sie seien das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Ausgerechnet die Erinnerungen? Sie sind doch auch ein Prozess des Verblassens und Vergehens. Erinnerungen, die uns so narren können, die uns Bilder vorgaukeln und andere Bilder ausblenden. Wenn unsere Toten allein in der Erinnerung weiterleben, dann haben wir nicht viel zu hoffen.
Andere setzen darauf, dass die eigene Lebensleistung uns überdauert. Traueransprachen haben dann nur ein Thema: das vorbildliche Wirken des Verstorbenen. Unter diesem Druck musste schon manche säkulare Heiligsprechung vollzogen werden. Ein ehrlich-befreiender Blick auf Biografien sieht anders aus. Was aber wäre, wenn dieses kurze Leben nicht alles wäre? Wenn Gott auch noch für den verstorbenen Menschen Zukunft eröffnen kann? Dann bekäme unser Leben Weite. Es müsste nicht mehr angstvoll alles erraffen an Geld, Genüssen, Machtgefühl. Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten bringt diese gewaltige Hoffnung ins Spiel. Wir feiern an Ostern den Anfang vom Ende des Todes. Wir feiern den Anbruch der neuen Welt Gottes – einer Welt ohne Pandemie und Krebs, ohne Diktatur und Todesangst. Und diese Hoffnung kann uns helfen, wenn wir an unseren Gräbern stehen. Dann muss ich nicht nur denken: „Hier ist unsere gemeinsame Geschichte begraben“. Nein, ich darf mir auch sagen lassen: „Gottes Geschichte mit ihm, mit ihr geht weiter“. Dass das eigene Herz der großen Osterhoffnung oft nicht ganz nachkommt, ist nicht schlimm. Wir Christen setzen darauf, dass Gott selbst sie einlöst.
Gottfried Claß
ist Pfarrer an der Schlosskirche und Codekan im Kirchenbezirk Ravensburg