Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Reißverschluss, Zunge und „Brown Sugar“
Vor 50 Jahren erschien „Sticky Fingers“, ein aus mehreren Gründen ganz besonderes Album der Rolling Stones
BONN (KNA) - Die Musik ist zeitlos, die Themen der Songs sind vielfältig, das Plattencover gehört zu den bekanntesten aller Zeiten. Mit „Sticky Fingers“stellten sich die Rolling Stones nach der ersten großen Krise ihrer Bandgeschichte musikalisch neu auf. In Sachen Design und Marketing läuteten sie ebenfalls eine neue Ära ein: Das eigens entworfene Logo, das heute untrennbar zu den Briten gehört, tauchte auf dieser Platte erstmals auf. Am Freitag liegt ihre Veröffentlichung ein halbes Jahrhundert zurück.
Nach ihrem Durchbruch Anfang der 1960er-Jahre sollte es für die Musiker eine Zeit lang durchwachsen laufen. Streitigkeiten innerhalb der Gruppe, Drogenkonsum, der Rauswurf und kurz darauf der Tod ihres Gründers Brian Jones im Sommer 1969 – diese Schwierigkeiten ließen die Musik in den Hintergrund treten. Wenige Tage nach dem Todesfall begannen in Australien die Dreharbeiten zum Spielfilm „Kelly, der Bandit“über Ned Kelly, der als eine Art australischer Robin Hood gilt. In der Titelrolle: Stones-Sänger Mick Jagger.
Fernab der britischen Heimat spielt Jagger viel Gitarre – und schreibt mehrere Songs für das kommende Album. Seine damalige
Freundin Marianne Faithfull liefert die Inspiration für den CountrySong „Wild Horses“, als sie morgens nach dem Aufwachen erklärt, nicht einmal wilde Pferde könnten sie von hier wegtreiben. „Wild horses couldn’t drag me away“, heißt es im Lied. Den Text zu „Sister Morphine“, einer melancholisch-düsteren Suchtgeschichte, schreibt Faithfull selbst.
Die Platte, die anderthalb Jahre später erscheint, beginnt indes mit einem Hit, der bis heute bei kaum einem Konzert der Band fehlt: „Brown Sugar“. Den Text würde angesichts von Debatten über politische Korrektheit inzwischen wohl kaum noch jemand so verfassen. Jagger hat in den Folgejahren manche Stellen abgewandelt oder singt bei Konzerten auch mal über einen „boy“– statt eines „girls“–, dessen oder deren Liebe an den Genuss von „Brown Sugar“(eine Chiffre für Heroin) erinnere.
Ähnlich pikant, zumal für die damalige Zeit, kommt das Plattencover daher. Es zeigt den Unterkörper eines Mannes in einer knallengen Jeans. Mit der Gestaltung war Andy Warhol beauftragt, ursprünglich wohl für eine Art Best-of-Album. Nachdem die Stones jedoch ihr eigenes Plattenlabel gegründet hatten, nutzten sie das Cover des Pop-Art-Künstlers nun für „Sticky Fingers“. In manchen Ländern wurde der Verkauf wegen dieser Aufmachung nicht erlaubt.
Zur Rarität wurden schon bald die ersten Pressungen mit eingearbeitetem echten Reißverschluss. Legenden besagen einerseits, dass die Frauen, die diesen Reißverschluss in einer deutschen Druckerei einnähen sollten, aufgrund der riesigen Nachfrage nicht hinterherkamen und die Produktion daher maschinell erfolgen musste. Andererseits kursieren Berichte von Plattenläden, die die LP aus Sorge vor Kratzern durch den Reißverschluss nicht in ihr Sortiment aufnehmen wollten. Ungeklärt bleibt indes, wer in der fotografierten Jeans steckte. „Jagger war es auf jeden Fall nicht“, schreibt das Musikmagazin „eclipsed“.
Auf dem Album taucht zudem erstmals das Logo aus Lippen und Zunge auf, das von Designer John Pasche stammt. Es wurde 2008 zum besten Band-Logo aller Zeiten gewählt und ziert unzählige T-Shirts. Der Startschuss für die professionelle Marketingund Merchandise-Maschinerie der Band war gefallen. Musikalisch setzte die LP Maßstäbe, auch mit Perlen, die eher in der zweiten Reihe der Bekanntheit stehen, etwa „Can’t You Hear Me Knocking“, „Dead Flowers“oder „Bitch“. Es sind zudem die ersten Aufnahmen mit dem neuen StonesGitarristen Mick Taylor. Er sollte die Gruppe nach wenigen Jahren verlassen, sie jedoch auf weiteren Alben und auch bei manchen Konzerten begleiten, zuletzt etwa bei den Auftritten im Londoner Hyde Park, mit denen die Band 2015 ihr 50-JahresBühnenjubiläum feierte.
Seitdem sind auch verschiedene „Deluxe“-Ausführungen von „Sticky Fingers“erhältlich.
„Jagger war es auf jeden Fall nicht.“
Das Musikmagazin „eclipsed“zur Frage, wer in den Jeans auf dem Plattencover stecke.