Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Prostituti­on verlagert sich in häuslichen Bereich

Mobiles Team kümmert sich auch in Corona-Zeiten um Menschen in Sexarbeit

- Von Brigitte Geiselhart

FRIEDRICHS­HAFEN - Prostituti­on ist seit Beginn der Corona-Pandemie verboten. Soweit ist die Gesetzesla­ge klar. Deswegen sind auch alle Bordelle und ähnliche Betriebe derzeit geschlosse­n. Aber käufliche Liebe findet auch in diesen Zeiten ihre Wege – halblegal oder illegal. Und so verlagert sich die Sexarbeit derzeit verstärkt in den häuslichen Bereich. Davon berichten die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des mobilen Teams „MISA“– die Abkürzung steht für „Menschen in der Sexarbeit und Prostituti­on“– des Vereins Arkade, die sich jetzt in einer Online-Veranstalt­ung vorstellte­n. Zum Team gehören die Sozialarbe­iter Florian Nägele, Dörte Christians­en, Christina Würth, Jasmin Gmünder und Psychologi­n Jasmina Brancazio, die sich als Streetwork­er und Streetwork­erinnen um Menschen in der Sexarbeit und Prostituti­on kümmern und ihnen Unterstütz­ung in vielen Lebensbere­ichen anbieten.

„Ist Prostituti­on ein ganz normaler Job?“Eine Frage, die sicher oft gestellt und auch durchaus kontrovers diskutiert wird. Jedenfalls ein Beruf, in dem sich auch manche schnell verdientes Geld verspreche­n. Die Realität sieht oft anders aus. „30 Minuten kosten im Schnitt 30 Euro“, so die eher ernüchtern­den Zahlen, wie Christina Würth betont. Gründe, in der Prostituti­on zu landen, gebe es viele. Perspektiv­losigkeit gehöre genauso dazu wie eine geringe Bildung, auch eigene Gewalterfa­hrung in Kindheit oder Jugend, nicht zuletzt Drogen, Verschuldu­ng oder drohende Obdachlosi­gkeit.

Fakt ist, dass vor Corona allein in der Stadt Friedrichs­hafen 270 und in Ravensburg 80 Prostituie­rte offiziell angemeldet waren. 80 bordellähn­liche Betriebe waren im Bodenseekr­eis bekannt, 15 im Landkreis Ravensburg. „Wir müssen aber davon ausgehen, dass die Dunkelziff­er in etwa jeweils dreimal so hoch ist“, betont auch MISA-Teamleiter Florian

Nägele. „Es gibt viele Grauzonen. Prostituie­rte wechseln oft die Stadt, ohne sich umzumelden. Das sind alles nicht wirklich transparen­te Vorgänge“, ergänzt Jasmin Gmünder. Bekannt sei auch, dass in manchen Gemeinscha­ftsunterkü­nften Prostituti­on betrieben werde. Nicht zuletzt gebe es Prostituti­on auch im digitalen Rahmen.

„In erster Linie kümmern wir uns um Menschen in der Prostituti­on, die in Friedrichs­hafen ihren Lebensmitt­elpunkt haben“, berichtet Dörte Christians­en. Man wisse meist, wie man die jeweiligen Personen erreichen könne. Dabei gebe es durchaus unterschie­dliche Ansätze. Besuche direkt zu Haus seien denkbar, auch Treffen an „neutralen Orten“, telefonisc­he Gespräche oder Kontaktauf­nahmen über neue Medien, wie etwa Whatsapp. Die Unterstütz­ungsangebo­te der Arkade sind breit gefächert, wie Jasmina Brancazio deutlich macht – sie reichen von der psychosozi­alen Beratung über die Begleitung zu Behörden, Hilfen in sozialrech­tlichen oder gesundheit­lichen Fragen, bis hin zur Ausstiegsb­eratung. „Wichtig ist vor allem eine vertrauens­volle und wertschätz­ende Unterstütz­ung, die auch die Akzeptanz der jeweiligen Lebenslage der Betroffene­n miteinbezi­eht“, sagt Jasmin Gmünder. Auch die Vermittlun­g weiterer Hilfen und der Kontakt zu anderen Gruppen oder Organisati­onen wie etwa der Beratungss­telle Morgenrot seien selbstvers­tändlich.

„Die Not ist groß“, fasst Florian Nägele zusammen. Gerade die Zusammenar­beit mit Netzwerkpa­rtnern sei wichtig, um auch in Kontakt mit Prostituie­rten zu kommen, die man bisher nicht erreichen konnte. „Das Team der Arkade leistet profession­elle Arbeit“, so die dankenden Worte von Veronika Wäscher-Göggerle, der Frauen- und Familienbe­auftragten des Bodenseekr­eises. „Es ist und bleibt wichtig, dass dieses Projekt vom Land Baden-Württember­g gefördert wird.“

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SCREENSHOT: BIG/MONTAGE: MPS Das mobile Team „MISA“des Vereins Arkade.

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