Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wenn das Pflegeheim arm macht
Träger beklagen steigende Kosten – Warum sie von Minister Spahn enttäuscht sind
STUTTGART - Mehr als 2000 Euro zahlt ein Deutscher im Schnitt für seine Unterbringung in einem Pflegeheim. Besonders teuer ist es in Bayern und Baden-Württemberg – Tendenz steigend. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte deshalb angekündigt, den Eigenanteil von Pflegebedürftigen in Heimen zu deckeln. Inzwischen scheint klar: Die Reform wird so nicht kommen. Träger von Altenheimen sind enttäuscht. Sie hatten sich von der Reform auch erhofft, ihre Pflegekräfte besser bezahlen zu können und fordern jetzt eine Rückkehr zu den ursprünglichen Plänen.
Eigentlich hatte sich Minister Spahn in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister vor allem ein Thema vorgenommen: die Reform der Pflege. Doch mit dem Beginn der Corona-Pandemie hatte Spahn plötzlich anderes zu tun. Gleichzeitig wurde deutlich, wie schlecht die Lage vieler Pflegekräfte in deutschen Altenheimen und Krankenhäusern ist. Im vergangenen Herbst kündigte er schließlich an, Pflegekräfte besser bezahlen und die Pflege zugleich bezahlbarer machen zu wollen. In einem Entwurf zu einer Reform des Pflegegesetzes schlug er unter anderem vor, die Eigenanteile bei den Pflegekosten für die Bewohner von Pflegeheimen auf 700 Euro pro Monat und auf einen Zeitraum von 36 Monaten zu begrenzen. In Summe müsste ein Pflegebedürftiger dann maximal 25 000 Euro für seine stationäre Pflege zahlen. Dazu kommen Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen.
400 000 Pflegebedürftige leben in Baden-Württemberg. Bis 2050 wird die Zahl nach Angaben der Caritas um 93 Prozent steigen. Auch die Kosten für die Pflege steigen rasant. Wer etwa in einem baden-württembergischen Pflegeheim lebt, zahlt im Schnitt dafür monatlich 2450 Euro. Dieser Eigenanteil steigt jedes Jahr um rund 150 Euro. Bei Trägern der Altenhilfe stieß Spahn mit seinem Vorschlag deshalb zunächst auf Freude. „Wenn keine Reform kommt, werden wir in Baden-Württemberg bei der Pflege spätestens in fünf Jahren einen Eigenanteil haben, der in Richtung 4000 Euro geht“, sagt Alfons Maurer von der Paul-Wilhelmvon-Keppler-Stiftung in Sindelfingen, der gleichzeitig Sprecher des Netzwerks „Alter und Pflege“der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist. „Wer soll sich das noch leisten können?“Das Netzwerk, zu dem sich rund 70 katholische Träger der Altenhilfe in
Württemberg zusammengeschlossen haben, kämpft deshalb dafür, Pflegekosten in Heimen bezahlbar und berechenbar zu machen. „Wir brauchen unbedingt eine finanzielle Entlastung der Pflegebedürftigen“, sagt Maurer. „Das ist die Voraussetzung für alle weiteren Reformen.“
Umso größer war für die Träger die Enttäuschung, als im März die aktuelle Version von Spahns Reformplänen auftauchte. Nun heißt es darin, dass Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen erst dann finanziell entlastet werden, wenn sie dort länger als zwölf Monate unterkommen. Konkret soll der Eigenanteil, der für die reine Pflege anfällt, nach mehr als einem Jahr im Pflegeheim um 25 Prozent abgesenkt werden, nach mehr als zwei Jahren um die Hälfte und nach mehr als drei Jahren um 75 Prozent.
Aus Sicht des Netzwerks reicht das nicht aus, um pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen die Sorge vor finanzieller Überlastung zu nehmen. Aus ihrer Perspektive muss deshalb zumindest der Eigenanteil für die Pflege im Heim vom ersten Tag an begrenzt werden – so wie es noch im ersten Entwurf des Gesetzes vorgesehen war.
Auch Thomas Kalwitzki, Gerontologe der Universität Bremen, kritisiert die neuen Pläne des Gesundheitsministers. „Pflegebedürftige sollen ab dem vierten Jahr der Pflegebedürftigkeit ein Viertel des Eigenanteils selbst zahlen. Dadurch ist der Betrag unbestimmt hoch und er läuft unbestimmt lang“, erklärt er. „Wenn es so kommt und gleichzeitig das Mehrpersonal, das nötig ist, kommt, haben wir in drei Jahren wieder so viele Sozialhilfeempfänger unter den Pflegebedürftigen wie heute. Dann sind wir keinen Schritt weiter.“
Aus Bayern kommen ähnliche Töne. Es brauche eine Deckelung des Eigenanteils, damit ordentliche Pflege nicht zum Luxusgut wird, sagt Tobias Utters vom Caritas-Landesverband Bayern. Er weist außerdem darauf hin, dass die Pflegereform möglichst schnell umgesetzt werden soll. Eigentlich wollte Spahn die Reform noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Daraus scheint jedoch nichts mehr zu werden. „Um einen Kollaps des Pflegesystems zu verhindern, muss das in der nächsten Regierung Priorität haben“, sagt Utters.
Anders sieht das Frank Höfle, Geschäftsführer des Altenhilfezentrums Isny. Zwar findet auch er, dass Spahns Vorschlag vom vergangenen Herbst, einen kalkulierbaren Eigenanteil einzuführen „richtig und wichtig“gewesen wäre, inzwischen habe er die Hoffnung auf eine zufriedenstellende Pflegereform in dieser Legislaturperiode jedoch aufgegeben. „Am besten warten wir die Bundestagswahl ab. Wenn dann eine Baden-Württemberg-Koalition kommt, sehe ich bessere Chancen, dass eine Reform zustandekommt, die der Pflege wirklich dient.“
Bisher seien vor allem Hoffnungen geschürt worden, sagt er: In der Bevölkerung, dass Pflege endlich wieder bezahlbar wird und bei Trägern, dass sie aus dem Dilemma herauskommen, ihre Mitarbeiter besser bezahlen und mehr Personal stellen können, ohne die Bewohner über Gebühr zu belasten. „Wir hatten große Hoffnung und dann kam der Stinkefinger hinterher“, sagt er. „So kann Politik nicht funktionieren.“