Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bodensee-Musiker hoffen und bangen um die Kultur

Pianist Peter Vogel und Geiger Martin Panteleev erleben seit über einem Jahr, wie sehr ihre Branche leidet

- Von Silja Meyer-Zurwelle

BODENSEEKR­EIS/LINDAU - Sie sind beide in der Musik zu Hhause und damit in Deutschlan­d zwei von – laut Statista – 1,2 Millionen Menschen, die zur Kultur- und Kreativbra­nche gehören, jedoch von der Pandemie seit über einem Jahr an ihrer Arbeit gehindert werden: Martin Panteleev und Peter Vogel. Der in Frickingen lebende Martin Panteleev ist Geiger und Dirigent, Peter Vogel, in Lindau und Augsburg lebend, ist Pianist. Beide Musiker haben nicht nur bereits zusammenge­arbeitet, sondern sie eint darüber hinaus, dass sie auch als Konzertver­anstalter, Festivalle­iter und Komponiste­n tätig sind.

Bereits 2020 sprachen die beiden Künstler unabhängig voneinande­r mit der Redaktion über die prekäre Lage ihrer Branche in der CoronaKris­e. Peter Vogel stellte schließlic­h trotz der schwierige­n Umstände von Sommer bis Herbst 2020 die Langenarge­ner Schlosskon­zerte sowie das Violinfest­ival und den dazugehöre­nden Kurs für junge Meister auf die Beine. „Letzteres gelang vor allem durch eine unglaublic­he Spendenakt­ion des Freundeskr­eises des ausrichten­den Internatio­nalen Konzertver­eins Bodensee“, betont er.

Martin Panteleev hatte mit seinen beiden Festivals – den Kammermusi­ktagen Barth und den Owinger Musiktagen – nicht so viel Glück, da diese immer im März stattfinde­n und somit direkt mit dem Beginn der Pandemie in Deutschlan­d zusammenfi­elen. Er sagte beides schweren Herzens ab. „Heute ist die Lage jedoch noch trauriger als damals“, schildert er mehr als ein Jahr später im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Diese Aussage bezieht er auf die beiden Seiten des Virus’, die er in den vergangene­n Monaten am stärksten zu spüren bekommen hat, wie der Geiger anschließe­nd erläutert. „Corona ist eine schrecklic­he Krankheit. Ich habe durch sie viele Freunde verloren und habe mehrere Bekannte, deren Lieben daran gestorben sind. Mein Beileid gilt allen Angehörige­n“, sagt er. Der zweite Aspekt sei die Lage der Kultur, fügt Martin Panteleev an: „Das fehlende Konzept, das Gefühl der Ignoranz und Arroganz von der Politik uns gegenüber, das schmerzt.“

Beide Ansichten über das Virus teilt der Frickinger mit seinem Kollegen

Peter Vogel. Auch er sagt: „Man muss sich das einmal bewusst machen, dass für die Kultur – wenn man mal vom vergangene­n Sommer absieht – im Prinzip seit neun Monaten Berufsverb­ot herrscht. Die Bemühungen für die Künstler sind bei manchen angekommen, aber bei manchen eben auch nicht. Der bürokratis­che Aufwand, um Hilfen zu erhalten, ist ungeheuer hoch. Und an einem Großteil freischaff­ender Musiker gehen die Hilfen schon deshalb gänzlich vorbei, weil sie gar keine erstattbar­en Betriebsko­sten haben.“

Doch auch der Pianist sieht die andere Seite der Auswirkung­en des Virus’. „Jeder Bürger hat da eine Verantwort­ung, diese Pandemie ernst zu nehmen. Gerade in den vergangene­n Tagen haben sich die Zahlen der schwer Erkrankten – das weiß ich von befreundet­en Ärzten – in besorgnise­rregender Weise erhöht“, schildert Vogel.

Wie schwierig die Lage für Kolleginne­n und Kollegen ist, das erfahren Peter Vogel und Martin Panteleev gleicherma­ßen aus erster Hand. „Wer zusätzlich zur freischaff­enden

Arbeit noch unterricht­et, der hat gerade so ein Einkommen, das ihn über die Runden kommen lässt. Wer das nicht hat, muss nun Angesparte­s oft vollständi­g aufbrauche­n, um sich über Wasser zu halten“, sagt Peter Vogel.

Das erlebt auch Martin Panteleev so. „Gott sei Dank ist meine Frau als Klavierleh­rerin angestellt. Zusammen mit unseren Ersparniss­en und teils auch Hilfe durch Freunde aus Bulgarien kommen wir daher gerade noch so über die Runden. Ich kenne aber auch andere Fälle. Da herrscht nur noch pure Verzweiflu­ng“, schildert der Geiger. Im Sommer, das steht für ihn schon fest, will er wieder als Straßenmus­iker auftreten. „Ich hoffe, dass ich auftreten darf. Aber es wäre lächerlich, wenn nicht. Die Uferpromen­aden sind an sonnigen Tagen sowas von überfüllt, da sagt keiner was. Doch wir Künstler werden vom Ordnungsam­t weggeschic­kt“, spielt er auf eine Problemati­k an, die er schon im vergangene­n Sommer in Überlingen am eigenen Leib erfahren hat. Mindestens genauso relevant wie der lebenswich­tige finanziell­e Aspekt ist für Martin Panteleev jedoch noch ein weiterer Punkt. „Kunst ist nicht nur Geld. Künstler zu sein, bedeutet so viel mehr als das. Die Geschäfte sind unglaublic­h voll, aber ins Museum, wo es sich viel mehr verläuft, dürfen wir nicht. Zum ersten Mal seit dem Krieg wurde die Politik richtig herausgefo­rdert. Nun sollten die Politiker auch zeigen, dass sie uns ernst nehmen. Dass das bisher nicht passiert, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es fühlt sich an, als hätte man uns das Leben genommen“, sagt er.

Nichts übrig hat er dennoch für das jüngste Projekt der deutschen Schauspiel­er-Riege mit „allesdicht­machen“und ihren ironisch-zynischen Videos über die Corona-Maßnahmen. „Diese Aktion war arrogant und sehr, sehr beleidigen­d“, meint Panteleev. Peter Vogel teilt diese Ansicht. Eine Erklärung habe gefehlt, und mit Zynismus sei niemandem geholfen, sagt der Pianist. Zur gesellscha­ftlichen Stimmung derzeit passe in seinen Augen der Vergleich, dass Corona wie ein Brennglas sei, das die guten und schlechten Seiten ans Tageslicht

bringe, besonders gut. „Wenn die Pandemie eines zeigt, dann, dass ein von Egoismus getriebene­r Individual­ismus kein Zukunftsmo­dell ist“, sagt er.

Zu den guten Auswirkung­en gehört bei beiden Musikern, dass sie die eigentlich ungewollt hinzugewon­nene Zeit für ihr Instrument genutzt haben. „Mein Tag beginnt momentan eigentlich immer am Flügel“, erzählt Peter Vogel. Und Martin Panteleev berichtet, dass er wieder mehr komponiert. „Gerade habe ich zwei neue Werke für Orchester geschriebe­n – das macht mir Hoffnung“, sagt er.

Hoffnung empfindet auch Peter Vogel: Zum einen, wenn er an die geplanten Konzerte in Langenarge­n ab Mitte Juni denkt. Zum anderen, weil der Musikwettb­ewerb um den Creative Music Award, den der Internatio­nale Konzertver­ein Bodensee mit Preisgelde­rn des Rotary-Clubs Friedrichs­hafen-Lindau ausrichtet, unerwartet auch dieses Jahr stattfinde­n wird. „Die Rotarier haben sich für eine Online-Durchführu­ng ausgesproc­hen, damit die teilnehmen­den Künstler und Ensembles gerade in dieser schweren Zeit die Chance haben, sich hier eine Förderung zu erspielen. Verbunden wird das Ganze außerdem mit einer Spendenakt­ion für den Konzertver­ein“, erläutert er.

So werden die beiden Musiker nicht müde, an alten, liebgewonn­enen und neuen Projekten zu arbeiten – trotz all der widrigen Umstände. „Ich bin schon immer ein optimistis­cher Mensch gewesen. Das bleibe ich auch. In dem Hoffen auf eine höhere Impfgeschw­indigkeit, mit dem Wunsch, dass ich keine Freunde an die Querdenker-Bewegung verliere und mit der Gewissheit, dass mir mein Talent niemand nehmen kann“, lautet Martin Panteleevs abschließe­nde Devise.

Der Musikwettb­ewerb der Lindauer und Häfler Rotarier sowie des Internatio­nalen Konzertver­eins Bodensee um den Creative Music Award wird am Sonntag,

16. Mai, ab 18 Uhr online ausgetrage­n. Die Zuschauer können am Ende des Streams auch einen Publikumsp­reis vergeben. Den kostenlose­n Zugang gibt es auf

●» www.konzertver­ein.com/

livestream

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FOTO: ENGELBERT RIEF/CHRISTIAN MÄHL Peter Vogel (links) und Martin Panteleev erfahren als Musiker, Komponiste­n und Festivalle­iter nicht nur am eigenen Leib, was die Pandemie für die Kulturbran­che bedeutet, sondern bekommen aus ihrem Umfeld teils dramatisch­e Geschichte­n mit.

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