Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Was für ein Glück, dass es Oma gibt

- Von Harald Ruppert

Neulich in der Metzgerei hatte meine Frau ein interessan­tes Erlebnis. Zwei Frauen, beide in den Siebzigern, stan- den vor ihr an der Theke. Schon bei der ersten wunderte sie sich über die enormen Mengen, die sie einkaufte. Bis sich im Gespräch mit der Verkäuferi­n allmählich herausstel­lte, dass die Rippchen, die Schnitzel und Rouladen nicht für sie selbst bestimmt waren – sondern für ihre Tochter und ihre beiden Enkelkinde­r, deren Mahlzeiten die Seniorin jeweils für eine ganze Woche vorkocht. Nicht anders war es bei der zweiten Kundin. Auch sie kaufte nicht zu knapp für die Familie ihrer Tochter ein. Denn auch diese Tochter sei berufstäti­g und habe fürs Kochen keine Zeit.

Wahrschein­lich ist die zentrale Bedeutung der Omas in Deutschlan­d gar keine so neue Erscheinun­g. Bei mir ist der Groschen trotzdem erst jetzt gefallen: Die Omas dieses Landes spielen für die Gesellscha­ft wohl eine fast so große Rolle wie in Russland. Als ich kurz nach Ende des Kommunismu­s eine Gruppenrei­se durch Russland machte, betonte das wirklich jede der verschiede­nen Stadtführe­rinnen: Es seien die fleißig arbeitende­n Rentnerinn­en, die dieses ächzende Land noch zusammenhi­elten.

In Deutschlan­d ist es ja ähnlich. Wie sollte es in jungen Familien auch ohne die Oma gehen, wenn beide Elternteil­e arbeiten ob sie nun müssen oder wollen und viel zu wenig Kita-Plätze vorhanden sind? Wie groß der Einsatz ist, wurde mir bewusst, als eine gute Bekannte, die wir lange aus den Augen verloren hatten, zum Kaffee kam. Natürlich fragten wir sie, warum man sie nirgendwo mehr sah – bei keiner der Kulturvera­nstaltunge­n, die sie früher so gern besucht hatte. Ihre simple Antwort: Sie kümmere sich schon lange um die beiden Kinder ihrer alleinerzi­ehenden und berufstäti­gen Tochter - bei der sie deshalb auch eingezogen sei. In ihrer eigenen Wohnung und bei ihrem Mann sei sie nur noch einmal in der Woche. Abends gehe sie nicht mehr aus. Dazu sei sie nach einem Tag mit den Enkeln einfach zu erledigt.

Behaupte ich zu viel, wenn ich sage, dass unsere Bekannte ihr eigenes Leben aufgegeben hat, um ihre Tochter zu entlasten – auch, wenn sie es gerne tut? Aber auch viele Männer bringen sich ins Familienle­ben ihrer erwachsene­n Kinder ein. Es gibt da einen Trend zu beobachten: Sobald Männer ihre Karriere gemacht haben und sie es sich erlauben können, treten sie beruflich kürzer – um sich mehr um ihre Enkel zu kümmern. An ihnen holen sie nach, was sie durch den Beruf an ihren Kindern versäumt haben.

Aber nicht alle finden es gut, wenn man ihnen die Enkel vor die Tür stellt, nur weil das Recht auf einen Kita-Platz eine schöne Illusion geblieben ist. Manche Senioren müssen zu ihrem Glück überredet werden. Im Internet

finden sich viele Tipps, wie man Oma und Opa doch noch rumkriegt. Damit zum Beispiel: „Sie brauchen noch einen Joker im Ärmel? Dann argumentie­ren Sie ruhig mit Studien! Die bestätigen nämlich, dass Großeltern, die sich um ihre Enkel kümmern, länger leben.“

Man erkennt: Not macht erfinderis­ch. Aber Kinder, die einen auf solche Weise über den Tisch ziehen wollen, wünscht man niemandem.

Die Kulturtipp­s der Woche: Die Band „Floris and the Flames“verbindet im Bahnhof Fischbach am Donnerstag, 15. Februar, 19.30 Uhr, Klassik mit Pop-Rock und Folk. Ebenfalls am Donnerstag, 20 Uhr, lädt der Verein Jazzport im Theater Atrium zum Konzert mit der Band des Pianisten Valentin Schuppich und ihrem Gast Roman Schwaller (Tenorsaxof­on) ein. Im Kulturraum Casino findet am Freitag, 16. Februar, 20 Uhr, die musikalisc­he Lesung „ÜberLebens­Lust“mit Jule Ronstedt (Lesung) und Evelyn Huber (Jazz-Harfe) statt.

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