Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Bodensee hat viele Probleme
Förderverein Seenforschung tauscht sich beim „2. Ökologieforum Bodensee“aus
- Mit dem Zustand des Bodensees und den nicht weniger werdenden Problemen hat sich das „2. Ökologieforum Bodensee“in Langenargen befasst. Die Bandbreite war groß und reichte vom Projekt „Seewandel“über die Fischerei bis zum Kormoran. Als der Vorsitzende des Fördervereins Seenforschung Bodensee, Michael Bussek, die Veranstaltung beendete, war klar, dass der Gesprächsbedarf für die Suche nach Lösungen groß ist.
Wie gesund ist der See?
„Der Bodensee ist in vieler Hinsicht gesund“, sagt Privatdozent Piet Spaak vom Eawag Wasserforschungsinstitut in der Schweiz. Er sei wieder nährstoffarm wie früher, habe sauberes, gutes Trinkwasser. Das Bodenseewasser lasse sich auch zum Kühlen und Heizen nutzen, die Menge, die dafür derzeit entnommen werde, beeinflusse die Wassertemperatur nicht oder kaum. Das Ökosystem sei aber auch gefährdet durch invasive Arten und den Klimawandel. „Für einen gesunden See muss man sich kontinuierlich einsetzen.“
Welche Rolle spielt der Klimawandel?
Der See wird immer wärmer, sagt Piet Spaak. Er hat sich im Projekt „Seewandel“von 2018 bis 2023 mit Nährstoffeintrag, Klimaänderung und gebietsfremden Arten beschäftigt. Jetzt läuft das Nachfolgeprojekt „Seewandelklima“, in dem es um den Klimawandel und weiter um Arten geht, die sich durch menschlichen Einfluss etabliert haben. „2022 hatten wir ein Allzeithoch“, sagt Spaak. „Noch nie war das Wasser im Bodensee so warm.“Für den See bedeute immer mehr Wärme, dass es im Winter immer mehr Kälte brauche, um das warme Wasser oben so abzukühlen, dass die oberen und die unteren Schichten die gleiche Temperatur haben. Erst dann könne sich der See durchmischen. Das passiere allerdings immer weniger. „Wenn der See sich nicht mischt, kommt kein Sauerstoff in die Tiefe“, erläuterte er. Denn dieser werde von Algen in der oberen Schicht produziert. Das bedeute weniger Nährstoffe, deshalb auch weniger Wasserflöhe und anderes Plankton und letztlich weniger Fische.
Wie sieht es mit der QuaggaMuschel aus?
Sie wird den See den Aussagen von Wissenschaftlern zufolge nie wieder verlassen. Ursprünglich im Schwarzmeerraum beheimatet, ist die Quaggamuschel wahrscheinlich über Schiffe, Wanderboote, Angler oder Taucher eingeschleppt worden. Spaak sagt, dass man im Bodensee in einer Tiefe von 20 Metern mittlerweile bis zu 20.000 Muscheln pro Quadratmeter finde. Und es werden mehr. Auch wenn in Fischmägen Quagga-Muscheln gefunden worden seien, bedeute das keinesfalls, dass die Fische dem Eindringling stoppen könnten, so Alexander Brinker, Leiter der Fischereiforschungsstelle Langenargen. Die Forscher gehen von einer „höchstwahrscheinlich massiven Zunahme des Muschelbestands“aus. Quaggamuscheln in technischen Anlagen, beispielsweise der Bodensee-Wasserversorgung ziehen einen großen Reinigungsaufwand mit hohen Kosten nach sich.
Piet Spaak fordert eine Reinigungspflicht mit Nachweis für „Boote, die zwischen Seen transportiert werden“. Diese und auch Ausrüstungen müssten vollständig mindestens vier Tage trocknen, bevor man sie in einem anderen Gewässer einsetze.
Ist das Bakterium Burgunderblutalge eine Bedrohung für den See?
Vor rund acht Jahren hat es im See eine Blüte des Bakteriums gegeben. Mittlerweile gibt Piet Spaak Entwarnung: Die Chance, dass es am Bodensee keine so schlimme Blüte wie am Zürichsee gebe, sei gut, weil sich der See noch relativ gut durchmische. In großer Tiefe sterbe das Bakterium durch den hohen Druck.
Was macht der Stichling?
Der Fisch steht nicht nur in Nahrungskonkurrenz zu den Felchen, „sondern greift in deren Vermehrung ein“, so Alexander Brinker. In den produktiven Monaten der Felchen fressen die Stichlinge die gleiche Menge oder mehr als die Felchen, und auch im Winter hören sie damit nicht auf. Die Felchen dagegen stellen den Planktonfraß in dieser Zeit weitgehend ein. Manchmal seien die Stichlingsmägen „genagelt voll mit Felchenlarven oder -eiern“.
Jetzt will man in zwei Pilotprojekten der Dominanz der Stichlinge Herr werden: Auf Schweizer Seite mit Kleinreusen im Flachwasser, in Bayern mit Schleppnetzfängen im Freiwasser. Die
wenigen vorhandenen FelchenLaichtiere werden seit Januar für drei Jahre geschont. Bei den Barschen ist laut Brinker nicht der Stichling das Problem – den könne der Barsch fressen. Es gebe aber einen „relativ hohen Fraßdruck“durch Kormorane. Felchen seien dagegen so gut wie keine in in den Kormoranmägen gefunden worden.
Wie ist die aktuelle Entwicklung beim Kormoran?
Brinker geht bei seiner Einschätzung vom Fischbestand im Uferbereich aus, der dem Kormoran zur Verfügung steht. Der Leiter der Fischereiforschungsstelle macht folgende Rechnung auf: Wenn von 2000 Vögeln am Bodensee über das Jahr, was „ultrakonservativ“gerechnet sei, jeder täglich eine etwa 400 Gramm Fisch fresse, seien 70 Prozent davon Flussbarsche, was 300 Tonnen entspreche. Für das Rotauge, das Platz 3 einnehme, „kommen wir auch auf eine relevante Entnahme von 38 Tonnen“.
Stefan Werner von der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach betonte, dass er eine Empathie für die Situation der Fischerei habe, aber die ornithologischen Fakten darstellen wolle. Der Bodensee
sei ein Magnet für bis zu 40.000 Wasservögel. Der Kormoran sei „nur mit einem Prozent der nord- und zentraleuropäischen Population vertreten“, spiele also „eine untergeordnete Rolle“. Auf rund 7000 Kormorane wird der Bestand derzeit geschätzt. 95 Prozent aller Vögel in Baden-Württemberg seien an Fließgewässern aktiv, nur fünf Prozent davon am Bodensee. Werner zog Parallelen zwischen der Einwanderung des Stichlings und „der rasanten Entwicklung beim Kormoran“. Aktuell gebe es am Bodensee 1600 Brutpaare, das seien sechs Prozent des deutschen Brutbestands. Im Uferbereich sei der Flussbarsch mit 75 Prozent aller Fische, im Freiwasser der Stichling mit rund 90 Prozent vertreten. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass der Kormoran diese beiden Arten nutze. Stefan Werner: „Der Kormoran wird zumindest beim Felchen nicht der entscheidende Faktor sein.“
Wie geht es den Berufsfischern?
„1999 war der Bodensee eine der bedeutendsten Binnenfischereien in Europa“, sagt Brinker. „Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen.“Die Erträge des Hauptfisches Felchen seien am Obersee „dramatisch rückläufig“. Zuerst sei die Phosphorreduzierung Grund gewesen. In den vergangenen Jahren habe es einen „weiteren dramatischen Rückgang“gegeben, der sich nicht mehr durch weniger Nährstoffe erklären lasse. Auch bei den Fischeiern sei die Lage „dramatisch“. Beim Rückgang von Felchen sowie Flussbarsch/Kretzer spielt offenbar der Stichling eine wichtige Rolle: 2014 gab es eine Inventur des Fischbestands im Ober- und Untersee. Damals war das Freiwasser mit über 90 Prozent von Stichlingen dominiert. Die Maßnahmen der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei, wie Felchen drei Jahre lang zu schonen, seien „schmerzhaft, aber alternativlos. „Relativ schnell und effizient“würde ein seeweites KormoranManagement greifen.
Elke Dilger, Vorsitzende des Verbands Badischer Berufsfischer am Bodensee, sprach über die Not der Fischer. Sie betonte, es gehe nicht nur um den Beruf, sondern auch um ein Nahrungsmittel. Jungen Leuten könne man nicht raten, Berufsfischer zu werden – es gebe ohnehin keinen Nachwuchs.