Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Steinchen für Steinchen Sizilien entdecken
Die italienische Mittelmeerinsel steckt voller Geschichte und Kultur
Valentina reckt die Hände zum Himmel. „Ich halte es nicht mehr aus. Wir müssen deine Wohnung verkaufen. Wir müssen hier weg“, insitiert sie bei ihrem Mann. Die groß gewachsene Sizilianerin mit langem hellbraunem Haar muss es wissen. Fünf Jahre hat sie in Palermo, der Geburtsstadt ihres Mannes, gelebt. Jetzt hat die Signora, die in drei Zimmern Gäste beherbergt, zwar Stress: Für viele Gegenstände muss sie in ihrem neuen Heim in Agrigento in Südsizilien einen Platz finden. „Aber das ist nichts gegen den Stress in Palermo.“
Erst einmal gibt man ihr recht. Doch im Rückblick macht sich auch Erleichterung breit, beispielsweise die Kathedrale Maria Santissima Assunta in Palermo gesehen zu haben, in der die Sarkophage von Stauferkaiser Friedrich II., seines Vaters Heinrich VI. sowie von Konstanze von Aragón, der Ehefrau Friedrichs II., aufgebahrt sind. Und die Kapelle mit prachtvollen, um 1150 nach Christus entstandenen Mosaiken im Normannenpalast in Palermo.
Sizilien außerhalb der Hauptreisezeit. Es ist warm, Palmen wiegen sich im Wind. Dazu gibt es Kirchen, die von Handwerkern mit einer unglaublichen Fertigkeit gestaltet wurden, Tempel und Festungen beispielsweise aus der Zeit Friedrichs II. wie das Castello Ursino in Catania oder die Kastelle von Syrakus und Enna. Griechen, Karthager, Römer, Normannen, Araber und Spanier haben ihre Spuren auf der 25.426 Quadratkilometer großen Insel im Mittelmeer hinterlassen.
Sizilien, das ist Kultur pur mit gastfreundlichen Insulanern.
Kenner empfehlen Sizilien-Reisenden gleich mehrere Orte: die Kathedrale Santa Maria Nuova in Monreale mit ihrem normannisch-arabisch-byzantischen Baustil, wie die Kathedrale von Cefalù seit 2015 Unesco-Weltkulturerbe, die Villa Romana del Casale und das Tal der Tempel, beide seit 1997 Unesco-Weltkulturerbe. Einheimische und Künstler aus Konstantinopel haben die prächtigen Mosaike in der Kathedrale in Monreale auf einer Fläche von 6340 Quadratmetern zwischen 1179 und 1182 geschaffen. Auf Goldgrund sind Szenen aus dem Buch Genesis dargestellt. Auch Szenen aus dem Leben Jesu Christi und die von ihm vollbrachten Wunder sind in Bilder umgesetzt. Restauratoren kümmern sich um
die Pracht, wer auf den Turm geht, kann ihnen durch Fenster zuschauen. Der Kreuzgang in Monreale, letztes Überbleibsel des dortigen, einst zur Kathedrale gehörenden Benediktinerklosters, zieht die Besucher in seinen Bann. 47 auf 47 Meter misst er. Wer Bildhauerkunst liebt, kommt aus dem Staunen nicht heraus: Spitzbogen werden von Säulen getragen, die entweder glatt sind oder schrauben- oder zickzackförmige Kanneluren haben. Szenen aus der Bibel oder auch symbolische christliche und islamische Darstellungen sind auf den Kapitellen zu sehen.
Auch in der Villa Romana del Casale in der Nähe der Stadt Piazza Armerina gibt es Handwerkskunst vom Feinsten: Etwa 120
Millionen Steinchen sollen dort zu den Bodenmosaiken zusammengefügt worden sein. Mehr als 40 Räume der Villa, die Experten zufolge zwischen 310 und 325 nach Christus entstanden sein könnte, sind noch erhalten. Szenen aus dem täglichen Leben sind in Mosaike umgesetzt.
Tempel an Tempel gibt es in den archäologischen Stätten von Agrigent auf Sizilien. Schon Johann Wolfgang von Goethe besuchte die Überreste, seit 1997 gehören sie zum Unesco-Weltkulturerbe. Griechische Kolonisatoren hatten die Stadt 582 vor Christus gegründet. Schnell gewann sie an Bedeutung. Während des fünften Jahrhunderts vor Christus wurden auf dem Höhenzug monumentale Tempel gebaut. Insbesondere der um 440 vor Christus erbaute Concordiatempel, einer der besterhaltenen Tempel der griechischen Antike, erregt Aufsehen – 597 hatte Bischof Gregorius von Agrigentum aus ihm eine christliche, den Aposteln Petrus und Paulus geweihte Basilika gemacht. 1748 wurde die Kirche weitgehend in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Der monumentale „Gefallene Ikarus“, eine Bronzeplastik des 2014 verstorbenen polnischen Künstlers Igor Mitoraj vor diesem Tempel, dient vielen als Fotomotiv. 2011 hatte es im Tal der Tempel eine Kunstausstellung gegeben. Mitoraj hatte seinen „Gefallenen Ikarus“als Geschenk zurückgelassen.
Ein anderes Fotomotiv, das Touristen auf Sizilien immer wieder vor ihre Linse nehmen, ist der „Testa di moro“, der Kopf eines dunkelhäutigen Mannes und der einer hellhäutigen Frau. Die Geschichte dahinter soll sich laut einer alten Legende um 1100 zugetragen haben: Während der Herrschaft der Mauren verliebte sich ein schönes Mädchen mit heller Haut in einen dunkelhäutigen Mann. Als sie herausfand, dass ihr Geliebter bald in den Osten zu Frau und zwei Kindern zurückkehren wollte, tötete sie ihn und mache aus dem Kopf eine Vase, in der sie dann Basilikum anpf lanzte. Mit ihren Tränen soll sie das Kraut begossen haben, das den Erzählungen zufolge bald ganz hervorragend gedieh. Nachbarn sollen daraufhin ähnliche Töpfe aus Terrakotta in Auftrag gegeben haben.