Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Revolutionsführer hat sich verzockt
Geburtstagsfeiern seien Zeitverschwendung, sagte Ali Chamenei einmal. An seinem 85. Geburtstag am Mittwoch hatte Irans Revolutionsführer anderes zu tun, als Gratulanten zu empfangen. Zuletzt hat Chamenei seinen Grundsatz, den Iran aus der direkten Konfrontation mit Israel herauszuhalten, aufgegeben und sein Land an die Schwelle eines Krieges mit dem Erzfeind geführt. Es könnte ihn teuer zu stehen kommen.
Seit er 1989 nach dem Tod von Staatsgründer Ajatollah Khomeini das Amt des Revolutionsführers übernahm, schützte sich Chamenei lange mit einem Kniff vor Kritik. Er kultiviere das Image des unparteiischen und großzügigen Staatsoberhauptes. Wenn etwas schiefging, feuerte er Minister oder Bürokraten. Erfolge verbuchte er für sich. Auch damit hat Chamenei nun gebrochen. Den Abschuss von gut 300 Drohnen und Raketen auf Israel kann nur er selbst angeordnet haben. Damit begrub er seine Strategie der „strategischen Geduld“, die darin bestand, auf Israels Angriffe nicht oder nur über Hilfstruppen zu reagieren. Dies sollte sicherstellen, dass man nicht ins Visier der modernen Streitkräfte Israels oder der USA geriet.
Nun hat Chamenei Israel direkt angegriffen. Die „strategische Geduld“wich fast über Nacht einer taktischen Eile, mit der Chamenei die Initiative dem Gegner überließ: Teheran will nach wie vor keinen neuen Nahost-Krieg, doch nun muss Chamenei abwarten, was Israel unternimmt. Und der jüdische Staat hat schon häufiger bewiesen, dass er Irans Verteidigungslinien nach Belieben überwinden kann: Israel griff iranische Atomanlagen an, schickte Computerviren in iranische Netze und ermordete iranische Atomwissenschaftler.
Wenn es mit dem erwarteten Gegenschlag nun wieder gelingt, den Iran schwach aussehen zu lassen, hätte sich Chamenei nach 40 Jahren an der Macht verzockt: Der Prestigegewinn durch den Angriff vom Sonntag wäre dahin. Bereits vor zwei Jahren gingen Millionen Iranerinnen und Iraner gegen das Regime auf die Straße und forderten in Sprechchören ein Ende von Chameneis Herrschaft. Ein Krieg gegen Israel könnte das Überleben der Islamischen Republik gefährden.