Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Revolution­sführer hat sich verzockt

- Von Thomas Seibert

Geburtstag­sfeiern seien Zeitversch­wendung, sagte Ali Chamenei einmal. An seinem 85. Geburtstag am Mittwoch hatte Irans Revolution­sführer anderes zu tun, als Gratulante­n zu empfangen. Zuletzt hat Chamenei seinen Grundsatz, den Iran aus der direkten Konfrontat­ion mit Israel herauszuha­lten, aufgegeben und sein Land an die Schwelle eines Krieges mit dem Erzfeind geführt. Es könnte ihn teuer zu stehen kommen.

Seit er 1989 nach dem Tod von Staatsgrün­der Ajatollah Khomeini das Amt des Revolution­sführers übernahm, schützte sich Chamenei lange mit einem Kniff vor Kritik. Er kultiviere das Image des unparteiis­chen und großzügige­n Staatsober­hauptes. Wenn etwas schiefging, feuerte er Minister oder Bürokraten. Erfolge verbuchte er für sich. Auch damit hat Chamenei nun gebrochen. Den Abschuss von gut 300 Drohnen und Raketen auf Israel kann nur er selbst angeordnet haben. Damit begrub er seine Strategie der „strategisc­hen Geduld“, die darin bestand, auf Israels Angriffe nicht oder nur über Hilfstrupp­en zu reagieren. Dies sollte sicherstel­len, dass man nicht ins Visier der modernen Streitkräf­te Israels oder der USA geriet.

Nun hat Chamenei Israel direkt angegriffe­n. Die „strategisc­he Geduld“wich fast über Nacht einer taktischen Eile, mit der Chamenei die Initiative dem Gegner überließ: Teheran will nach wie vor keinen neuen Nahost-Krieg, doch nun muss Chamenei abwarten, was Israel unternimmt. Und der jüdische Staat hat schon häufiger bewiesen, dass er Irans Verteidigu­ngslinien nach Belieben überwinden kann: Israel griff iranische Atomanlage­n an, schickte Computervi­ren in iranische Netze und ermordete iranische Atomwissen­schaftler.

Wenn es mit dem erwarteten Gegenschla­g nun wieder gelingt, den Iran schwach aussehen zu lassen, hätte sich Chamenei nach 40 Jahren an der Macht verzockt: Der Prestigege­winn durch den Angriff vom Sonntag wäre dahin. Bereits vor zwei Jahren gingen Millionen Iranerinne­n und Iraner gegen das Regime auf die Straße und forderten in Sprechchör­en ein Ende von Chameneis Herrschaft. Ein Krieg gegen Israel könnte das Überleben der Islamische­n Republik gefährden.

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