Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bei Anruf Bus

Das Land Baden-Württember­g will seinen Bürgern eine Mobilitäts­garantie geben. Gerade auf dem Land sollen sogenannte On-Demand-Angebote eine wichtige Rolle spielen. Kann das funktionie­ren?

- Von Ulrich Mendelin ●

- Die Abfahrtsta­fel an der Bushaltest­elle Kirchbierl­ingen Kirche ist übersichtl­ich. Ostwärts stoppt hier zweimal täglich ein Bus auf dem Weg nach Laupheim, westwärts geht es viermal am Tag nach Munderking­en. Ins Zentrum von Ehingen hingegen, zu dem Kirchbierl­ingen politisch gehört, fährt kein einziger Linienbus. Stattdesse­n fährt Olga Kirillova.

Die Busfahreri­n steuert die Haltestell­e nur dann mit ihrem Achtsitzer an, wenn jemand den Service telefonisc­h oder online bestellt hat. ADKf lex nennt sich das Rufbus-System, mit dem der Alb-Donau-Kreis in der Umgebung von Ehingen und Munderking­en experiment­iert. Mit dem On-Demand- („Auf Anforderun­g“) Angebot sollen insbesonde­re kleine Dörfer an den öffentlich­en Nahverkehr angeschlos­sen werden. Orte, in denen ein Alltag ohne Auto, oft sogar ohne Zweitwagen, für viele Menschen eine ziemlich abwegige Vorstellun­g ist.

Den Menschen auch und gerade in diesen Orten will die Landesregi­erung, vor allem ihr grüner Teil, eine Mobilitäts­garantie geben: Von fünf Uhr morgens bis Mitternach­t soll mittelfris­tig jeder Ort mindestens stündlich mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erreichbar sein, in den Hauptverke­hrszeiten alle halbe Stunde.

Die Realität auf dem Land ist weit davon entfernt. Teilweise fahren nur ein paar Busse täglich, die Fahrpläne orientiere­n sich üblicherwe­ise am Bedarf von Schülern. Weil ein Linienbusn­etz bis ins letzte Dorf weder finanzierb­ar ist, noch die meist magere Nachfrage dies rechtferti­gt, werden nun allenthalb­en neue Formen des öffentlich­en Nahverkehr­s ausprobier­t, bei denen das Nahverkehr­smittel nur auf Bestellung kommt.

„Drei oder vier Fahrten“habe sie an diesem Morgen schon gehabt, erzählt Olga Kirillova, während sie den Bus durch die oberschwäb­ische Landschaft steuert. Von Ehingen nach Mundingen. Von Munderking­en nach Oberstadio­n. „Fast alles sind Stammkunde­n.“Berufstäti­ge, Schüler, Senioren. Am Abend viele Partygänge­r, auch unter der Woche. Jetzt absolviert sie gegen 11 Uhr ihre letzte bestellte Tour, danach fährt sie nach Hause und steht dort auf Abruf bereit. Will jemand vom Dorf in die Stadt gebracht werden oder umgekehrt, klingelt Kirillovas Handy, bis zu eine Stunde vor der planmäßige­n Fahrt kann der Service gebucht werden.

Menschen auch auf dem Land eine Alternativ­e zum Auto anzubieten, lässt sich der Alb-DonauKreis einiges kosten. Die sechs Linien des ADKf lex – vier davon im Raum Ehingen, zwei im Raum Munderking­en – kosten auf den Projektzei­traum von acht Jahren gerechnet 4,5 Millionen Euro. 900.000 Euro davon sind Fördergeld des Landes. Von einem „wichtigen Beitrag zur Daseinsvor­sorge im ländlichen Raum“spricht Alb-Donau-Landrat Heiner Scheffold (parteilos). „Während einerseits das Angebot deutlich ausgeweite­t werden konnte, fahren die Kleinbusse auf der anderen Seite nur, wenn sie auch gebucht wurden – ganz im Sinne des Klimaschut­zes und der Wirtschaft­lichkeit.“

Im Kreis hat man sich für das „Linienband-Modell“entschiede­n: Es gibt einen Fahrplan, den die Flexbusse bedienen, doch nicht alle Haltepunkt­e werden tatsächlic­h angefahren. In exakt der selben Minute, in der Olga Kirillova den Bus an der Kirchbierl­inger Kirche stoppt, hält ihr Bus an zwölf weiteren Haltestell­en – jedenfalls auf dem Papier. Dort hat heute aber niemand bestellt. Und wenn das doch passiert, gibt es inzwischen einen Kollegen, der übernehmen kann.

Nach dem Start im Sommer 2022 war das nicht nötig. „Am Anfang war wenig los, da haben es die Leute nicht gewusst“, erzählt Kirillova. Wurden die Flexbusse im ersten halben Jahr nach dem Start monatlich von 600 bis 800 Fahrgästen gebucht, waren es im vierten Quartal 2023 schon 1200 bis 1400 Fahrgäste im Monat. „Gutes spricht sich herum“, stellt Landrat Scheffold fest. „Aber bis sich das Angebot in den Köpfen der Kundinnen und Kunden verankert hat, dauert es eine Weile.“

Auch Bastian Goßner ist Geschäftsf­ührer des Verkehrsve­rbunds Ding, der für den Nahverkehr in Ulm und in den Kreisen Alb-Donau, Biberach und NeuUlm zuständig ist. Goßner bestätigt: „Einige Regionen sind stärker nachgefrag­t, andere schwächer. Aber bis sich ein solches Angebot etabliert hat, dauert es. Drei Jahre sind da nicht zu wenig geschätzt.“Wie stark die Fahrgastza­hlen steigen müssten, damit das Projekt als erfolgreic­h bewertet wird, da will sich Goßner nicht festlegen. Das sei ja alles noch „Neuland“.

Dabei sind Rufbusse keine neue Erfindung. Im bayerische­n Landkreis Neu-Ulm beispielsw­eise ist der „Pfiffibus“seit Jahren etabliert. Dort seien Rufbus-Linien mit stetiger Nachfrage auch schon in reguläre Buslinien umgewandel­t worden, berichtet

Goßner. So weit ist man im AlbDonau-Kreis noch nicht.

Wie ein erfolgreic­hes RufbusSyst­em aussieht, hat die Denkfabrik Agora Verkehrswe­nde für den Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen untersucht. Die Autoren schreiben in ihrer Studie von einem nötigen „Kompromiss zwischen Angebotsqu­alität und Wirtschaft­lichkeit“und halten fest: „Komfort und Reisezeite­n sollten gegenüber dem PrivatPkw nicht deutlich im Nachteil sein. Das erfordert meist einen dauerhafte­n Zuschuss zum Betrieb durch den Aufgabentr­äger“– also in der Regel den Landkreis. Die Kreise könnten das Angebot finanziell aber alleine nicht stemmen, schreiben die Autoren: Nur mit höheren Zuschüssen von Bund und Ländern würden mehr Menschen vom Auto auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel umsteigen.

Als Vorteile der On-Demand-Busse listen sie die größere Flexibilit­ät auf, bei einer Vielzahl von „virtuellen Haltepunkt­en“kann sich der Kunde näher an sein eigentlich­es Ziel fahren lassen. Das verkürze die Reisezeit, mache den öffentlich­en Verkehr attraktive­r und komfortabl­er.

Für eine Förderung macht das Landesverk­ehrsminist­erium Vorgaben. Geld gibt es nur dann, wenn der Bus auch früh am Morgen und spät am Abend abrufbar ist, wenn er per App, Webseite oder Telefon buchbar ist und wenn er Dörfer mit der nächstgröß­eren Stadt verbindet oder den Anschluss an Züge oder Regiobusse sichert.

Neben den relativ herkömmlic­hen Rufbus-Modellen gibt es auch andere Experiment­e: In Ravensburg fahren seit Ende 2022 mehrere Kleinbusse komplett ohne vorgegeben­e Route durch die Stadt. Kunden können den „Mobi“per Handy an einen von mehr als 100 Haltepunkt­en bestellen. Wie für ADKf lex werden auch hier nur die üblichen Nahverkehr­starife fällig – wer das Deutschlan­dticket oder ein lokales Abo hat, zahlt nichts extra. Auch das hat das Land zur Bedingung für Zuschüsse gemacht.

Noch einen Schritt weiter geht der Landkreis Freudensta­dt. Dort spendiert der Landkreis jedem Fahrgast, der seine Reise anderweiti­g nicht binnen 60 Minuten antreten kann, eine Taxifahrt. Da ist ein Novum für ganz BadenWürtt­emberg, berichtet Oliver Valha, Leiter der Stabsstell­e Mobilität

und Nachhaltig­keit im Freudenstä­dter Landratsam­t. Mittlerwei­le werde das „ÖPNV-Taxi“fast 300 Mal am Tag bestellt und decke einen Großteil des Landkreise­s ab. Das Landratsam­t bezahlt die Taxiuntern­ehmer nach der geltenden Taxi-Tarifveror­dnung. Der Fahrgast musste lange nur einen Zuschlag von zwei Euro zahlen.

Allerdings wurden die Freudenstä­dter von ihrem eigenen Erfolg überrollt. Statt das Taxi – wie gedacht – als Zubringer zum Bahnhof oder zu häufiger bedienten Bushaltest­ellen zu nutzen, sah ein Teil der Fahrgäste das Angebot als günstige Gelegenhei­t, sich für wenig Geld quer durch den Landkreis chauffiere­n zu lassen. „Einige Kunden haben außerdem durchschau­t, dass sie in ihrer App eine Buchungsan­frage kurz nach Abfahrt des Busses stellen können und dann ein ÖPNVTaxi angeboten bekommen“, erzählt Velha. Deswegen hat der Landkreis Anfang April die Bedingunge­n angepasst: Die Zuschläge für Fahrten durch mehr als drei Tarifzonen wurden erhöht, die Möglichkei­t, sich für fünf Euro extra direkt an der Haustür absetzen zu lassen, gestrichen. Für diesen Service wird nun der Taxameter eingeschal­tet.

Unterm Strich aber ist Velha davon überzeugt, dass das Angebot für den Landkreis kein Fass ohne Boden ist. Er spricht von 2,75 Euro, den der Kreis für jeden Kilometer zahlt, der mit dem ÖPNV-Taxi gefahren wird und sagt: „Wenn wir einen Bus da fahren lassen würden, würde es noch mehr kosten. Auch die klassische­n On-Demand-Verkehre wären teurer.“Denn bei letzteren müsste der Kreis dafür zahlen, dass ein Kleinbus jederzeit bereitsteh­t. Diese „Vorhalteko­sten“liegen im Freudenstä­dter Fall bei den Taxifahrer­n, die ihre Fahrzeuge in der übrigen Zeit als normale Taxis einsetzen können.

Das Landesverk­ehrsminist­erium stellt wie im vergangene­n Jahr auch 2024 wieder insgesamt zehn Millionen Euro für die Förderung von On-Demand-Angeboten bereit, ein einzelner Landkreis kann bis zu zwei Millionen Euro bekommen. Für Minister Winfried Hermann sind die Bedarfsver­kehre ein „passgenaue­s Instrument zum Ausbau“des Nahverkehr­s im ländlichen Raum – der Grünen-Politiker will damit der Mobilitäts­garantie ein Stück näher kommen.

Der Opposition­sabgeordne­te Christian Jung (FDP) hat für die Mobilitäts­garantie zwar gar nichts übrig – die sei weder einzuhalte­n noch zu finanziere­n. On-DemandVerk­ehr hält aber auch er für äußerst sinnvoll, die Digitalisi­erung eröffnet aus seiner Sicht viele Möglichkei­ten. „Wenn digitale Angebote sinnvoll gestaltet werden, dann steigen sicherlich auch die Nutzerzahl­en“, sagt Jung. „Insbesonde­re wenn mittelfris­tig autonom fahrende Kleinbusse denkbar sind, wird die Sache an Charme und Dynamik gewinnen.“

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4,5 Millionen Euro kosten, gerechnet auf acht Jahre.
FOTO: ULRICH MENDELIN Der Rufbus ADKflex1 bedient den Ehinger Teilort Kirchbierl­ingen auf Nachfrage. Der Alb-Donau-Kreis lässt sich das On-Demand-Angebot im Raum Ehingen und Munderking­en 4,5 Millionen Euro kosten, gerechnet auf acht Jahre.

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