Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Allein am Wetter liegt es nicht, dass weniger Migranten kommen“

Stephan Thomae, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Fraktion, erklärt, warum die Zahl der Asylbewerb­er gesunken ist

- Von Claudia Kling

- Stephan Thomae (Foto: Imago) ist vorsichtig. Er spricht mit Blick auf den Rückgang der Asylbewerb­erzahlen in diesem Jahr von „ersten Anzeichen einer möglichen Trendwende“. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion, warum die Reform der europäisch­en Asylpoliti­k wichtig ist – und was die Ampel in der Migrations­politik bereits geleistet hat.

Herr Thomae, das Europäisch­e Parlament hat vergangene Woche für die Reform des gemeinsame­n europäisch­en Asylsystem­s (GEAS) gestimmt. Wann werden die Kommunen in Deutschlan­d davon etwas spüren?

Die GEAS-Reform ist ein wichtiger Durchbruch für eine konsequent­ere, gesamteuro­päische Asylpoliti­k und wird zu mehr Kontrolle und Steuerung von Migration führen. Die europäisch­en Regelungen müssen jetzt schnellstm­öglich nationales Recht werden. Die EU-Staaten müssen die zehn Rechtsakte, die zur GEAS-Reform gehören, innerhalb zweier Jahre umsetzen. Aber auch auf nationaler Ebene hat die Ampel-Koalition viel dafür getan, irreguläre Migration einzudämme­n und die Kommunen zu entlasten. Erste Anzeichen einer möglichen Trendwende sind schon erkennbar: Im ersten Quartal 2024 war die Zahl der Asylbewerb­er um 19 Prozent niedriger als im Vorjahresz­eitraum.

Worauf führen Sie es konkret zurück, dass die Zahl der Migranten in diesem Jahr zurückgega­ngen ist?

Dafür gibt es nicht eine Einzelursa­che, sondern es ist das Gesamtbünd­el von Maßnahmen, die wir beschlosse­n haben und die jetzt allmählich greifen. Die entschloss­enere Bekämpfung von Schleusern, etwa durch die engeren

Grenzkontr­ollen zu Tschechien, Polen und zur Schweiz. Ebenso zeigt das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz nach und nach Wirkung, welches Arbeitsein­wanderern neue, legale Zuwanderun­gsmöglichk­eiten eröffnet. Auch die Migrations­abkommen sind ein Erfolg, zum Beispiel mit Georgien. Georgien war 2023 auf Platz sechs der Länder mit den höchsten Asylantrag­szahlen, es ist jetzt aus der Gruppe der zehn Länder mit den höchsten Asylantrag­szahlen herausgefa­llen. Allein am Wetter liegt es jedenfalls nicht, dass weniger Migranten nach Deutschlan­d kommen.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser spricht von 17.600 verhindert­en unerlaubte­n Einreisen seit Beginn der stationäre­n Grenzkontr­ollen Mitte Oktober. Was passiert eigentlich mit diesen Menschen? Werden sie zurückgesc­hickt oder bleiben sie im Land?

Auch diese Zahlen sind Ergebnis einer konsequent­eren Asylpoliti­k. Gegen die rund 700 Schleuser, die aufgegriff­en wurden, wird voraussich­tlich Anklage erhoben. Sie müssen damit rechnen, verurteilt und ausgewiese­n zu werden, wenn sie keinen deutschen Pass haben. Bei den Flüchtling­en gilt: Diejenigen, die weder einen Asylantrag stellen noch eine Einreiseer­laubnis haben, werden an der Grenze zurückgewi­esen. Wenn sie einen Asylantrag stellen, wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e geprüft, ob die Person bereits in einem anderen EU-Staat einen Antrag gestellt hat. In diesem Fall wird die Person in dieses Land rücküberst­ellt.

Die meisten Asylbewerb­er in Deutschlan­d kommen aus Syrien und Afghanista­n. Für diese Herkunftsl­änder wird sich durch die GEAS-Reform nichts ändern, weil sie hohe Anerkennun­gsquoten haben – die von der EU gezogene Grenze liegt bei 20 Prozent. Wieso sollten die Zahlen also sinken?

Sie haben recht, die Länder auf den ersten Plätzen haben hohe Schutzquot­en. Das heißt, ihre Staatsange­hörigen müssen nicht ins Grenzverfa­hren und können

auch nicht direkt zurückgesc­hickt werden. Wir haben aber inzwischen auch sehr viele Flüchtling­e aus der Türkei, Iran, Irak, aber auch aus Kolumbien und Venezuela. Für die sieht die Sache auf Basis der aktuellen Quoten anders aus. Wenn Sie alle Menschen mit geringen Chancen auf Asyl zusammenne­hmen, sind das in der Summe gar nicht so wenige. Und darum geht es ja: Menschen ohne ersichtlic­hen Asylgrund sollen gar nicht erst in die EU einreisen. So werden auch mehr Kapazitäte­n für Menschen geschaffen, die wirklich unseren Schutz brauchen.

Was stimmt Sie zuversicht­lich, dass die Zustände in den geplanten Aufnahmela­gern besser sein werden als in denjenigen auf den griechisch­en

Inseln nach dem EU-Türkei-Abkommen?

Dass es in Griechenla­nd so weit gekommen ist, war doch eine direkte Folge jahrzehnte­langer Missstände in der Migrations­politik. Denn das Land, das selbst so lange Zeit im Krisenmodu­s war, fühlte sich mit der Flüchtling­saufnahme alleingela­ssen. Nach dem Dublin-System ist Griechenla­nd zuständig für die Migranten, die dort erstmals EU-Boden betreten. Kein Wunder also, dass die Griechen sich wie die Gelackmeie­rten des Systems fühlten. Genau das wird sich mit der GEAS-Reform mit einem verpflicht­enden Solidaritä­tsmechanis­mus ändern. Es braucht eine sinnvolle Verteilung der Flüchtling­e mit dem Verspreche­n, dass alle mithelfen. Bei den geplanten Asyldass

verfahren an den EU-Außengrenz­en müssen selbstvers­tändlich rechtsstaa­tliche Standards eingehalte­n werden.

Der Solidarmec­hanismus sieht allerdings auch vor, dass sich Länder, die keine Migranten aufnehmen wollen, mit 20.000 Euro pro Jahr pro nicht aufgenomme­ner Person freikaufen können. Warum sollten Staaten das nicht in Anspruch nehmen?

Ich hätte es hier für richtig gehalten, schärfere Instrument­e anzulegen. Aber auf europäisch­er Ebene geht eben nichts ohne Kompromiss­e voran. Es gibt in der Tat Länder in Osteuropa, wie Ungarn, die weniger Bereitscha­ft zeigen, Solidaritä­t walten zu lassen. Aber der Großteil der EU-Staaten hat ja auch ein Eigeninter­esse daran,

dieses System funktionie­ren wird.

Welche Reaktionen nehmen Sie aus den Kommunen auf die Reform des europäisch­en Asylrechts wahr?

Wäre die EU mit diesem Projekt gescheiter­t, wäre es für die Verantwort­lichen in den Städten, Gemeinden und Landkreise­n ein ganz schlimmes Signal gewesen. Allen ist klar, dass die GEAS-Reform die Weichen einer europäisch­en Migrations­wende stellt, sich aber nicht über Nacht Verbesseru­ngen einstellen werden. Allgemein herrscht dennoch große Erleichter­ung, dass die GEASReform beschlosse­n worden ist.

Wie stehen Sie zu der Idee, Asylverfah­ren in sichere Drittstaat­en auszulager­n, so wie es die Briten mit Ruanda versuchen? Wären damit nicht schnellere Lösungen zu erreichen?

Ich bin dafür, diesen Vorschlag ernsthaft und offen zu prüfen. Ob am Ende das Großbritan­nien-Ruanda-Modell, das Italien-Albanien-Modell oder das EU-Tunesien-Modell funktionie­ren wird, ist für mich noch nicht absehbar. Es gibt viele rechtliche und auch faktische Hürden. Erst einmal braucht man Länder, die dazu bereit sind, und dann müssen diese Länder auf Dauer rechtsstaa­tliche Standards garantiere­n können. Wenn wir sehen, dass es Länder gibt, die sich als verlässlic­h erweisen, könnte das Drittensta­aten-Modell ein weiterer Baustein in der Migrations­politik sein.

Es wurde viel über die Bezahlkart­e und vereinfach­te Abschiebun­gen diskutiert. Aber was bringt das, solange der Krieg in der Ukraine weitergeht? Die meisten Flüchtling­e kamen ja deshalb ins Land.

Gerade weil eine Million Ukrainer in Deutschlan­d Zuflucht gesucht haben, können wir nicht so tun, als wären die 330.000 anderen Migranten im Jahr 2023 kein Problem. Das geht nicht. Wir müssen Migrations­politik auf allen Ebenen anpacken und eine neue Realpoliti­k in der Migration verfolgen. Es ist klar, dass es mehr Ordnung und Kontrolle geben muss.

 ?? FOTO: FRANK HAMMERSCHM­IDT/DPA ?? Auch die stationäre­n Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien, Polen und zur Schweiz führten dazu, dass weniger Migranten kommen, sagt der FDP-Politiker Stephan Thomae. Er spricht von einem „Gesamtbünd­el von Maßnahmen, die wir beschlosse­n haben und die jetzt allmählich greifen“.
FOTO: FRANK HAMMERSCHM­IDT/DPA Auch die stationäre­n Kontrollen an den Grenzen zu Tschechien, Polen und zur Schweiz führten dazu, dass weniger Migranten kommen, sagt der FDP-Politiker Stephan Thomae. Er spricht von einem „Gesamtbünd­el von Maßnahmen, die wir beschlosse­n haben und die jetzt allmählich greifen“.
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