Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Wir dachten, jetzt erschießt er den Vater“
Als die Franzosen Laupheim einnahmen: Hiltrud Staudt und Robert Merk erinnern sich
- Am 8. Mai 1945, heute vor 70 Jahren, endete für Deutschland mit der bedingungslosen Kapitulation der Zweite Weltkrieg. Es war auch ein Tag der Befreiung vom mörderischen NS-Regime.
Für die Laupheimer ist der Krieg bereits am 23. April 1945 gegen 18 Uhr zu Ende gewesen – mit dem Einmarsch der französischen Besatzungstruppen vom bereits besetzten Flugplatz her. Frieden bedeutet das für die Einwohner der Stadt allerdings noch nicht. Eine Zeit der Unsicherheit beginnt, die Soldaten des 6. Regiments der Chasseurs d’Afrique verbreiten zunächst Angst und Schrecken. Die Menschen schließen sich in ihren Häusern ein, verstecken sich in den Kellern. Kriegsende in
Laupheim
Stadt wird nicht mehr verteidigt
Noch am Morgen des 23. April sollte Laupheim zur Festung ausgebaut werden. „Ein Amtmann ging mit seiner Glocke durch die Straße und verkündete, dass Laupheim verteidigt werden soll. An der Leonhardskapelle wurden Panzersperren aufgestellt, weil man vermutete, dass die Franzosen aus Richtung Ehingen kommen würden“, erzählt Hiltrud Staudt. Sie war damals zehn Jahre alt und erinnert sich vage an die Geschehnisse.
Dann habe es geheißen, dass doch kein Widerstand geleistet werden solle. Die Panzersperren wurden abgebaut, im Keller der Nachbarn in der Adolf-Gröber-Straße harrte Hiltrud Staudts Familie der Dinge, die kommen sollten.
Die Kellererfahrungen der letzten Kriegstage haben sich auch Robert Merk ins Gedächtnis gebrannt. Bei Kriegsende war auch er noch ein Kind, knapp sechs Jahre alt. Mit seinen Eltern und zwei Schwestern wohnte er auf dem Judenberg im Haus der Familie Lemmermeyer. In dessen Gewölbekeller hatten die Eltern kleine, einfache Betten eingebaut, in die sie die Kinder bei nächtlichem Fliegeralarm brachten. Nach dem Krieg dienten sie als Obst- und Gemüsekisten.
Einen Moment kurz nach Kriegsende vergesse er nie, sagt Merk. Sein Vater, Wehrmachtssoldat und „nur noch a Dergele“, habe sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg mit seiner Familie in besagtem Keller versteckt. Bei einer Kontrolle habe ihn ein französischer Soldat dort herausgeholt und mit dem Gewehr bedroht. „Wir Kinder haben die Hände vors Gesicht gehalten und gedacht, jetzt erschießt er den Vater“, erzählt Merk auch nach Jahrzehnten noch sichtlich berührt. Dann habe der Franzose die Familie aber gewähren lassen.
Quartier genommen hatten die Besatzer in Privathäusern. Der erste Kommandant residierte in der Bergmann-Villa, der heutigen Musikschule Gregorianum. Hiltrud Staudts Onkel, Adolf Scheffold, berief er zum ersten Laupheimer Bürgermeister nach dem Krieg. Nicht ganz freiwillig, wie seine Nichte aus den Erzählungen ihrer Eltern weiß: „Er war ja Ingenieur, kein Verwaltungsfachmann.“
Aus Adolf-Hitler- wird Mittelstraße
Seine oberste Aufgabe sei es, „für die Aufrechterhaltung von Ruhe, Sicherheit, Ordnung und Disziplin in meiner Heimatstadt zu sorgen“, schreibt Scheffold im ersten Amtsblatt der Stadt Laupheim vom 19. Mai 1945. Dazu gehörten die Umbenennung der Adolf-Hitler-Straße zurück in Mittelstraße, eine Ausgangssperre für die Bevölkerung zwischen 19 Uhr abends und 6 Uhr morgens und so kurios anmutende Anordnungen wie die Straßen- und Gehwegreinigung jeden Mittwoch und Samstag. Kirchliche Veranstaltungen waren erlaubt, nicht aber sonstige Zusammenkünfte.
Am 28. April zogen die Franzosen nach Vorarlberg ab, bis zum 7. Juli übernahmen die Amerikaner das Kommando in Laupheim. Dann wurde die Stadt wieder der französischen Besatzungszone zugeschlagen. Die Zonengrenze, die nur mit einem Passierschein überquert werden durfte, verlief bei Achstetten.