Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Europol befürchtet Menschenhandel mit Flüchtlingskindern
10 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind laut der Polizeibehörde verschwunden – und vielleicht in der Hand von Kriminellen
- Es ist ein Horrorszenario, das die europäische Polizeibehörde Europol beschreibt. Minderjährige brechen ohne ihre Eltern aus Eritrea, Somalia oder Syrien auf, in der Hoffnung, sie irgendwann nachholen zu können. Auf dem Weg nach Europa fallen sie Kriminellen in die Hände, die sie versklaven oder gar in die Prostitution zwingen. Oft seien die Kinder illegal auf Zügen unterwegs nach Rom, manchmal werden sie von den Schleppern, die sie nach Europa gebracht haben, weitertransportiert. 10 000 Heranwachsende sind in den vergangenen zwei Jahren verschwunden, die meisten seien laut der Deutschen Presse-Agentur zwischen 15 und 17 Jahre alt. Die Hälfte davon sei in Italien verschwunden, 300 in Schweden.
60 000 heranwachsende Flüchtlinge ohne Eltern sind hierzulande in der Obhut der Jugendämter. Von 4718 registrierten Kindern und Jugendli- chen fehlte zum Stichtag 1. Januar 2016 jede Spur, wie eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) der „Schwäbischen Zeitung“sagte.
Es könne sein, dass die tatsächliche Anzahl niedriger sei. „Einige von ihnen wurden bereits registriert und den Jugendämtern übergeben. Sie sind dann weitergezogen und in einer anderer Stadt unter einem anderen Namen erneut erfasst worden.“Dann würden sie erneut in der Statis- tik aufgeführt. Das BKA habe indes keine Erkenntnisse darüber, dass die Kinder in die Hände von Kriminellen gefallen seien, erklärt die Sprecherin. „Sie agieren nicht planlos.“Sie kämen nach Deutschland, um zu Verwandten zu ziehen. Dort würden sie untertauchen.
„Dieses Problem kennen wir“, sagt auch Rudi Tarneden von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. „Die Heranwachsenden werden zunächst in Einrichtungen gebracht, versuchen dann aber zu Verwandten weiterzukommen.“Diese Kinder hätten auf Grund von negativen Erfahrungen in den Heimatländern ein „großes Misstrauen“gegenüber Behörden.
Gefährdete Kinder
Auch wenn es keine konkreten Erkenntnisse für Deutschland gebe, dass die verschwundenen Kinder Opfer von Kriminellen geworden seien, berge die unbegleitete Reise große Gefahren, wie Tarneden sagt. Grundsätzlich habe es Zwangsprostitution von Kindern, beispielsweise in Spanien und auch in Deutschland, aber schon immer gegeben. „Daher nehmen wir die Warnungen von Europol sehr ernst.
Gerade jetzt, wo viele Heranwachsende alleine unterwegs sind, ist die Wahrscheinlichkeit dafür einfach größer“, sagt der Unicef-Sprecher. Kinder und Jugendliche auf der Flucht seien besonders schutzbe- dürftig und gefährdet. „In Italien ist das Problem den Kollegen schon länger bekannt“, erzählt Claudia Kepp, Sprecherin von „Save the Children“. Die Mitarbeiter in dem südeuropäischen Land berichten von Menschenhandel, Kinderarbeit oder Prostitution. Verantwortlich dafür seien „international verbundene Organisationen“.
Vorstoß auf EU-Ebene
Im Europaparlament haben 46 Abgeordnete Auskunft über die verschollenen Flüchtlingskinder gefordert. Zu den Unterzeichnern der Anfrage gehört auch der Parlamentarier Michael Theurer, Vorsitzender der FDP Baden-Württembergs. „Eine Antwort gibt es noch nicht“, sagt er. „Es geht uns darum, das Thema auf die politische Agenda zu bringen.“Ziel sei es, die Betreuung von unbegleiteten Flüchtlingskindern zu verbessern, genauer hinzuschauen, wo diese hingehen und ein effektiveres Registrierungssystem zu schaffen.