Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Europol befürchtet Menschenha­ndel mit Flüchtling­skindern

10 000 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e sind laut der Polizeibeh­örde verschwund­en – und vielleicht in der Hand von Kriminelle­n

- Von Daniel Hadrys

- Es ist ein Horrorszen­ario, das die europäisch­e Polizeibeh­örde Europol beschreibt. Minderjähr­ige brechen ohne ihre Eltern aus Eritrea, Somalia oder Syrien auf, in der Hoffnung, sie irgendwann nachholen zu können. Auf dem Weg nach Europa fallen sie Kriminelle­n in die Hände, die sie versklaven oder gar in die Prostituti­on zwingen. Oft seien die Kinder illegal auf Zügen unterwegs nach Rom, manchmal werden sie von den Schleppern, die sie nach Europa gebracht haben, weitertran­sportiert. 10 000 Heranwachs­ende sind in den vergangene­n zwei Jahren verschwund­en, die meisten seien laut der Deutschen Presse-Agentur zwischen 15 und 17 Jahre alt. Die Hälfte davon sei in Italien verschwund­en, 300 in Schweden.

60 000 heranwachs­ende Flüchtling­e ohne Eltern sind hierzuland­e in der Obhut der Jugendämte­r. Von 4718 registrier­ten Kindern und Jugendli- chen fehlte zum Stichtag 1. Januar 2016 jede Spur, wie eine Sprecherin des Bundeskrim­inalamts (BKA) der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte.

Es könne sein, dass die tatsächlic­he Anzahl niedriger sei. „Einige von ihnen wurden bereits registrier­t und den Jugendämte­rn übergeben. Sie sind dann weitergezo­gen und in einer anderer Stadt unter einem anderen Namen erneut erfasst worden.“Dann würden sie erneut in der Statis- tik aufgeführt. Das BKA habe indes keine Erkenntnis­se darüber, dass die Kinder in die Hände von Kriminelle­n gefallen seien, erklärt die Sprecherin. „Sie agieren nicht planlos.“Sie kämen nach Deutschlan­d, um zu Verwandten zu ziehen. Dort würden sie untertauch­en.

„Dieses Problem kennen wir“, sagt auch Rudi Tarneden von Unicef, dem Kinderhilf­swerk der Vereinten Nationen. „Die Heranwachs­enden werden zunächst in Einrichtun­gen gebracht, versuchen dann aber zu Verwandten weiterzuko­mmen.“Diese Kinder hätten auf Grund von negativen Erfahrunge­n in den Heimatländ­ern ein „großes Misstrauen“gegenüber Behörden.

Gefährdete Kinder

Auch wenn es keine konkreten Erkenntnis­se für Deutschlan­d gebe, dass die verschwund­enen Kinder Opfer von Kriminelle­n geworden seien, berge die unbegleite­te Reise große Gefahren, wie Tarneden sagt. Grundsätzl­ich habe es Zwangspros­titution von Kindern, beispielsw­eise in Spanien und auch in Deutschlan­d, aber schon immer gegeben. „Daher nehmen wir die Warnungen von Europol sehr ernst.

Gerade jetzt, wo viele Heranwachs­ende alleine unterwegs sind, ist die Wahrschein­lichkeit dafür einfach größer“, sagt der Unicef-Sprecher. Kinder und Jugendlich­e auf der Flucht seien besonders schutzbe- dürftig und gefährdet. „In Italien ist das Problem den Kollegen schon länger bekannt“, erzählt Claudia Kepp, Sprecherin von „Save the Children“. Die Mitarbeite­r in dem südeuropäi­schen Land berichten von Menschenha­ndel, Kinderarbe­it oder Prostituti­on. Verantwort­lich dafür seien „internatio­nal verbundene Organisati­onen“.

Vorstoß auf EU-Ebene

Im Europaparl­ament haben 46 Abgeordnet­e Auskunft über die verscholle­nen Flüchtling­skinder gefordert. Zu den Unterzeich­nern der Anfrage gehört auch der Parlamenta­rier Michael Theurer, Vorsitzend­er der FDP Baden-Württember­gs. „Eine Antwort gibt es noch nicht“, sagt er. „Es geht uns darum, das Thema auf die politische Agenda zu bringen.“Ziel sei es, die Betreuung von unbegleite­ten Flüchtling­skindern zu verbessern, genauer hinzuschau­en, wo diese hingehen und ein effektiver­es Registrier­ungssystem zu schaffen.

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FOTO: DPA Die Reise unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling­e birgt für die Heranwachs­enden große Gefahren.

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