Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alle Griechen gegen Tsipras

- Von Takis Tsafos und Alexia Angelopoul­ou

eschlossen­e Geschäfte, von Traktoren blockierte Straßen, gestrichen­e Flüge und Massendemo­nstratione­n: Derart umfangreic­he Proteste hat Griechenla­nd seit Ausbruch der Krise nicht gesehen. Nach ersten Schätzunge­n der Gewerkscha­ften gingen am Donnerstag mehrere Hunderttau­send Menschen auf die Straßen, um gegen ein weiteres Reformprog­ramm der Links-Rechts-Regierung von Alexis Tsipras zu protestier­en.

Kaum ein Wirtschaft­sbereich, der nicht bestreikt wurde – in seltenem Einvernehm­en hatten Arbeitgebe­rund Arbeitnehm­erverbände ihre Mitglieder im Vorfeld des großen Streik-Tages gemeinsam zum Protest aufgerufen. Rechtsanwä­lte und Ärzte legten die Arbeit ebenso nieder wie Lehrer und Staatsdien­er. Selbst die gelben Taxis, die sonst das Athe- ner Stadtbild prägen, fuhren nicht. Auch die Pforten der Akropolis und des Archäologi­schen Museums von Athen blieben geschlosse­n.

Was all diese Menschen im Protest vereint, ist ein neues gewaltiges Sparpaket in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, zu dem Griechenla­nd sich gegenüber seinen Gläubigern verpflicht­et hat. Mit den vorgesehen­en Sparmaßnah­men sowie massiven Steuererhö­hungen und Rentenkürz­ungen soll das marode Rentensyst­em des Landes vor dem Zusammenbr­uch gerettet werden. Die Maßnahmen sind Voraussetz­ung für weitere finanziell­e Hilfen der Geldgeber.

„Dass Griechenla­nd so viel Geld zur Rettung seiner Rentenkass­en benötigt, ist rein rechnerisc­h Fakt“, erklärt Panagiotis Petrakis, Professor für Wirtschaft an der Universitä­t Athen. „Im Laufe der Krise haben die Menschen 25 Prozent ihrer Einkommen eingebüßt, hinzu kommt die hohe Arbeitslos­igkeit. So wird viel we- niger eingezahlt und es klaffen immer größere Löcher in den Rentenkass­en.“Der Teufelskre­is sei, dass die Menschen in der Krise noch höhere Steuern, Abgaben und auch Rentenbeit­räge zahlen sollten.

Im Teufelskre­is befindet sich auch die Wirtschaft. Die Arbeitslos­igkeit liegt bei rund 26 Prozent, die Jugendarbe­itslosigke­it beträgt sogar fast 49 Prozent. Dass nun ausgerechn­et Alexis Tsipras die Wut der Menschen zu spüren bekommt, darf nicht weiter verwundern. Zu gut sind etwa den Landwirten die Fernsehbil­der von vor zwei Jahren im Gedächtnis, als der linke Politiker sich auf einem Traktor präsentier­te und versprach, den Agrarsekto­r nicht zusätzlich zu belasten. Auch sein vollmundig­es Wahlkampfv­ersprechen, das Spardiktat der Troika zu beenden, klingt den Bürgern noch in den Ohren.

Dennoch muss das aktuelle Reformpake­t verabschie­det werden, wenn das Land weiterhin Unterstüt- zung erhalten soll. Hier aber steht Tsipras vor einem zusätzlich­en Problem: Im griechisch­en Parlament mit seinen 300 Sitzen verfügt er lediglich über die knappe Mehrheit von drei Mandaten. Je stärker die Proteste der Menschen, desto höher die Wahrschein­lichkeit, dass es bei der Abstimmung über die Reformen Abweichler geben wird.

Statt politische­r Stabilität, die das Land so dringend bräuchte, wird deshalb bereits spekuliert, dass der Regierungs­chef in solch einem Fall Neuwahlen ausrufen könnte. Eine weitere Option für Tsipras wäre, sich unter den kleinen Parteien im Parlament Verbündete zu suchen. Eine dritte Alternativ­e schließlic­h handeln Diplomaten in Athen unter der Hand als europäisch­es Wunschszen­ario: Dass man eine parteiüber­greifende „Regierung der nationalen Rettung“bilden möge, bei der auch die konservati­ve Partei Nea Dimokratia (ND) an Bord ist. (dpa)

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