Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Geheimnis von Saddlewort­h

Ein Todesfall in einem Moor bei Manchester beschäftig­t die Briten

- Von Sebastian Borger

Der Tote sah friedlich aus. Ausgestrec­kt auf dem feuchten Boden, der Körper unversehrt, den Blick in den Himmel gerichtet, so fand ein Radfahrer den weißen Mann im Rentenalte­r auf dem berühmten Saddlewort­h Moor beim nordenglis­chen Oldham (Greater Manchester). Seither ist es um den Frieden der dortigen Kriminalpo­lizei geschehen: Mit akribische­r Kleinarbei­t versuchen die Beamten vom Kommissari­at Todesermit­tlungen die Identität des Toten zu klären, Spuren führten nach London und sogar nach Nordirland. Die Ermittlung­en haben landesweit­es Aufsehen erregt – und bei mindestens zwei Familien schmerzhaf­te Erinnerung­en geweckt.

Mag Saddlewort­h vielen Menschen im Großraum Manchester als Naherholun­gsgebiet dienen – vielen älteren Briten läuft bei der Erwähnung des düsteren Moorgebiet­s ein Schauer den Rücken hinunter. Sie denken an die Moor-Morde. Benannt sind diese nach einem jungen Pärchen, Ian Brady und Myra Hindley, das von 1963 bis 1965 fünf Kinder und Jugendlich­e zwischen zehn und 17 Jahren ermordete und im Saddlewort­h-Moor vergrub. Eine Leiche ist bis heute verschwund­en. Hindley starb hinter Gittern, der 78-jährige Brady sitzt bis heute in Haft.

Was den am 12. Dezember gefundenen Toten mit Saddlewort­h verbindet, ist bisher unklar. In den Ta- schen des ordentlich und dem Winterwett­er entspreche­nd gekleidete­n Mannes fand die Polizei 130 Pfund (171 Euro) in bar, den leeren Behälter für ein Schilddrüs­en-Medikament sowie drei Bahnfahrka­rten. Daraus ließ sich rekonstrui­eren: Der Unbekannte war am Morgen des Vortages im West-Londoner Vorort Ealing aufgebroch­en und hatte am Bahnhof Euston den Zug nach Manchester bestiegen mit Rückfahrti­cket in der Tasche. Am frühen Nachmittag erkundigte er sich bei der Wirtin des Clarence-Pubs im Weiler Greenfield, am Rand des Moores, nach dem besten Weg zur 457 Meter hoch gelegenen Erhebung Indian’s Head (Indianerko­pf). Warnungen wegen schwierige­n Terrains und unfreundli­chen Wetters ignorierte der Mann, Wanderer sahen ihn zuletzt lebend bei Einbruch der Dunkelheit gegen 16.30 Uhr. Die Obduktion erbrachte keine eindeutige Todesursac­he und keine Anzeichen von Fremdversc­hulden.

Spur führte nach Nordirland

Hatte der Unbekannte dennoch bewusst den Tod gesucht, wenige Hundert Meter vom Schauplatz einer anderen Tragödie entfernt? Im August 1949 stürzte im dichten Nebel eine zweimotori­ge Douglas-Dakota auf dem Flug von Belfast nach Manchester über Saddlewort­h ab. 24 Menschen starben, acht überlebten, darunter auch zwei Buben, zwei und fünf Jahre. Hatte sich einer dieser Überlebend­en auf eine Pilgerfahr­t begeben und die Nähe von damals umgekommen­en Verwandten gesucht? Neue Arbeit für die Kripo von Oldham.

Schnell stand fest: Der damals zweijährig­e Michael Prestwich war schon als Jugendlich­er bei einem Zugunglück ums Leben gekommen. Blieb Stephen Evans übrig, der beim Absturz seinen jüngeren Bruder verloren hatte. Ein Anruf aus Southampto­n an der englischen Südküste beendete die Spekulatio­n: Evans lebt als Pharmakolo­gie-Professor im Ruhestand, vom Oldhamer Leichenfun­d hatte er in der Zeitung gelesen.

Zwischenze­itlich setzte die Kripo Oldham auf eine Spur, die nach Nordirland führte. Dort war im Februar 1994 der Bauarbeite­r Hugh Toner, 56, barfuß und im Pyjama aus einer psychiatri­schen Klinik verschwund­en. In der britischen Unruheprov­inz tobte damals noch der Bürgerkrie­g, der Fall des Verschwund­enen geriet rasch in Vergessenh­eit. Nur nicht bei Toners einzigem Sohn Sean, heute 49.

Als Toner aus den Medien von dem ungeklärte­n Todesfall hörte, stieg seine Hoffnung. Denn das Aussehen des Toten stimmte mit alten Fotos von Toner überein, auch das Alter hätte gepaßt. Von einer Verbindung zu Saddlewort­h wusste niemand. Eine DNA-Probe brachte die ernüchtern­de Erkenntnis: Auch Hugh Toner ist nicht der Tote von Saddlewort­h. Für die Kripo geht die mühsame Kleinarbei­t weiter.

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FOTO: AFP Immer wieder suchen Ermittler im Moor von Saddlewort­h nach Spuren, wie hier 2008: Dort haben sich bereits etliche Kriminalfä­lle ereignet.

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