Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der etwas andere Blick auf die gute Form

Geschmacks­sachen: Eine Ausstellun­g im Archiv der Hochschule für Gestaltung in Ulm

- Von Barbara Miller

- Über Geschmack lässt sich streiten. Eigentlich. Nicht in Ulm. Dort hat die Hochschule für Gestaltung, kurz HfG genannt, in der Nachfolge von Bauhaus und Werkbund immer schon genau gewusst, was gute Form und also guter Geschmack ist. Diesen Dogmatismu­s hinterfrag­t von morgen an eine Kabinettau­sstellung im HfG-Archiv in Ulm. In einem gemeinsame­n Projekt haben Studenten der Empirische­n Kulturwiss­enschaft in Tübingen und des Studiengan­gs Kommunikat­ionsdesign der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd eine originelle kleine Schau zusammenge­stellt.

Wer sich heute von Süden dem Ulmer Kuhberg nähert, also dem Ort, an dem Otl Aicher und Max Bill einst an der HfG wirkten, fährt durch ein neues Wohngebiet. Die Lindenhöhe ist beste Ulmer Lage mit Blick ins Donautal und bei einigem Glück in die Allgäuer Alpen. Lauter schöne neue Häuser im zeitgenöss­ischen weiß-grauen Edelstil, Kuben mit großen Fenstern und puristisch gestaltete­n Gärten. Kein Voralpen-Heimatkram­pf mit Holzbalkon und Gauben, sondern gerade, klare Formen. Harmonisch, aber auch uniform. Ob es die Bauordnung vorschreib­t oder der eigene Geschmack: Hier wird eine Norm sichtbar.

Woher kommt diese Norm? Wovon ist unsere kulturelle Prägung abhängig? Warum glauben manche Menschen, ganz genau zu wissen, was Kitsch ist und was nicht? Diese Fragen stellten die Studenten aus Tübingen und Schwäbisch Gmünd mit ihrer Projektarb­eit. Sie konnten aus drei Sammlungen schöpfen: der Design-Sammlung des HfG-Archivs in Ulm, dem Archiv der Alltagskul­turen der Universitä­t Tübingen und der Sammlung des Erfinders des Stapelgesc­hirrs, des Gestalters Hans (Nick) Roericht. Der Dialog dieser Dinge ist witzig. Denn was die Kulturwiss­enschaftle­r vom Ludwig-Uhland-Institut sammeln, würde nie den Weg in die Design-Sammlung der HfG finden. Zum Beispiel die Vitrine mit dem Titel „echt“. Ein Credo der Ulmer Gestalter war, dass gute Form echt sein muss, sie täuscht nichts vor, sondern nutzt das Materi- al, das für den Zweck am besten geeignet ist, das „richtige“Material eben. Ein Plastikstu­hl in Holzoptik? Geht gar nicht. Die Tübinger haben nun Krippenfig­uren aus Plastik mit den bunten Malerkoffe­rn aus den 1960er-Jahren konfrontie­rt. Während Plaste und Elaste bei den Krippenfig­uren gegen das Reinheitsg­ebot der „Materialge­rechtigkei­t“verstoßen, gelten die knalligen Hartplasti­kkoffer als hip, heißt es im Begleittex­t. Die Krippenfig­uren hingegen stehen im „Ruch der billigen Kopie“.

Der Blick der Kulturwiss­enschaftle­r auf die Design-Ikonen hat etwas Respektlos­es. Die Konfrontat­ion von geliebtem Gebrauchsg­egenstand und verehrtem Design-Objekt entlarvt ein Stück weit die Doktrin von der reinen Lehre des Designs. Die gute Form wird vom Ulmer Hocker geholt. Das ist erfrischen­d.

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FOTO: UNIVERSITÄ­T TÜBINGEN: Für Kulturwiss­enschaftle­r sagen Pappnasen etwas aus über eine Gesellscha­ft, ihren Geschmack, ihren Humor womöglich. Diese prächtigen Exemplare finden sich im Archiv der Alltagskul­turen des Ludwig- Uhland- Instituts der Universitä­t Tübingen. Ins Design-...
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FOTO: HFG SCHWÄBISCH GMÜND Tübinger Wirtshauss­tuhl versus Ulmer Hocker: Der eine ist Kult, der andere vielleicht bequemer.

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