Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der etwas andere Blick auf die gute Form
Geschmackssachen: Eine Ausstellung im Archiv der Hochschule für Gestaltung in Ulm
- Über Geschmack lässt sich streiten. Eigentlich. Nicht in Ulm. Dort hat die Hochschule für Gestaltung, kurz HfG genannt, in der Nachfolge von Bauhaus und Werkbund immer schon genau gewusst, was gute Form und also guter Geschmack ist. Diesen Dogmatismus hinterfragt von morgen an eine Kabinettausstellung im HfG-Archiv in Ulm. In einem gemeinsamen Projekt haben Studenten der Empirischen Kulturwissenschaft in Tübingen und des Studiengangs Kommunikationsdesign der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd eine originelle kleine Schau zusammengestellt.
Wer sich heute von Süden dem Ulmer Kuhberg nähert, also dem Ort, an dem Otl Aicher und Max Bill einst an der HfG wirkten, fährt durch ein neues Wohngebiet. Die Lindenhöhe ist beste Ulmer Lage mit Blick ins Donautal und bei einigem Glück in die Allgäuer Alpen. Lauter schöne neue Häuser im zeitgenössischen weiß-grauen Edelstil, Kuben mit großen Fenstern und puristisch gestalteten Gärten. Kein Voralpen-Heimatkrampf mit Holzbalkon und Gauben, sondern gerade, klare Formen. Harmonisch, aber auch uniform. Ob es die Bauordnung vorschreibt oder der eigene Geschmack: Hier wird eine Norm sichtbar.
Woher kommt diese Norm? Wovon ist unsere kulturelle Prägung abhängig? Warum glauben manche Menschen, ganz genau zu wissen, was Kitsch ist und was nicht? Diese Fragen stellten die Studenten aus Tübingen und Schwäbisch Gmünd mit ihrer Projektarbeit. Sie konnten aus drei Sammlungen schöpfen: der Design-Sammlung des HfG-Archivs in Ulm, dem Archiv der Alltagskulturen der Universität Tübingen und der Sammlung des Erfinders des Stapelgeschirrs, des Gestalters Hans (Nick) Roericht. Der Dialog dieser Dinge ist witzig. Denn was die Kulturwissenschaftler vom Ludwig-Uhland-Institut sammeln, würde nie den Weg in die Design-Sammlung der HfG finden. Zum Beispiel die Vitrine mit dem Titel „echt“. Ein Credo der Ulmer Gestalter war, dass gute Form echt sein muss, sie täuscht nichts vor, sondern nutzt das Materi- al, das für den Zweck am besten geeignet ist, das „richtige“Material eben. Ein Plastikstuhl in Holzoptik? Geht gar nicht. Die Tübinger haben nun Krippenfiguren aus Plastik mit den bunten Malerkoffern aus den 1960er-Jahren konfrontiert. Während Plaste und Elaste bei den Krippenfiguren gegen das Reinheitsgebot der „Materialgerechtigkeit“verstoßen, gelten die knalligen Hartplastikkoffer als hip, heißt es im Begleittext. Die Krippenfiguren hingegen stehen im „Ruch der billigen Kopie“.
Der Blick der Kulturwissenschaftler auf die Design-Ikonen hat etwas Respektloses. Die Konfrontation von geliebtem Gebrauchsgegenstand und verehrtem Design-Objekt entlarvt ein Stück weit die Doktrin von der reinen Lehre des Designs. Die gute Form wird vom Ulmer Hocker geholt. Das ist erfrischend.