Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Drogen, Gewalt und Brandstiftung
Eine kleine Gruppe Marokkaner der LEA Sigmaringen macht den friedlichen Flüchtlingen und der Bevölkerung das Leben schwer
- Vor dem Gebäude 2 der Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Sigmaringen, die in der früheren Graf-Stauffenberg-Kaserne untergebracht ist, spielen an diesem Donnerstag Kinder. Ein Sicherheitsmann steht vor dem Eingang. Friedlich ist die Stimmung, als der Tübinger Regierungspräsident Klaus Tappeser (CDU) mit Journalisten vorbeikommt. Zumindest gibt es bis dato noch keinen größeren Zwischenfall. Das war in den vergangenen Tagen anders: Eine Gruppe von etwa 30 Flüchtlingen aus Marokko hält Sigmaringen in Atem. Kaum ein Tag vergeht, an dem Polizei und Feuerwehr nicht in die frühere Kaserne gerufen werden. Bei einer Brandstiftung diese Woche im MarokkanerHaus, eine Matratze wurde angesteckt, erlitten sieben Menschen leichte Rauchvergiftungen. Die Anspannung in der Stadt wird zusätzlich durch die Pläne von Innenminister Strobl (CDU) gesteigert, der dauerhaft Flüchtlinge in Sigmaringen unterbringen will.
Die Marokkaner weisen im Gespräch mit dem Regierungspräsidenten den Tatverdacht von sich, sie hätten geschlafen. Dasselbe Haus haben einen Tag zuvor 380 Polizisten durchsucht, weil auf einen Tipp hin bei einem Marokkaner eine Pistole vermutet wurde. Eine Waffe wurde nicht entdeckt, dafür aber mehrere Drogenverstecke. Klaus Tappeser stellt klar: „Wer sich nicht an die Spielregeln hält, der kriegt Sanktionen.“
Seit Januar mussten die Beamten rund 100-mal zur LEA ausrücken und sich mit Diebstählen, Gewaltdelikten und Alkoholexzessen auseinandersetzen. Die Polizei hat ihre Präsenz erhöht, eine zehnköpfige Ermittlungsgruppe soll die in Zusammenhang mit Asylbewerbern stehenden Straftaten aufarbeiten und die Ergebnisse rasch dem Staatsanwalt weiterleiten. „Straffällige Flüchtlinge müssen umgehend die Konsequenz ihres Verhaltens spüren“, sagt der Konstanzer Polizeipräsident Ekkehard Falk, in dessen Zuständigkeit die Sigmaringer LEA fällt. Haftbefehle und Überwachung Der Polizei hat Haftbefehle gegen acht Mitglieder einer marokkanischen Bande erwirkt. Eine Vielzahl von Ladendiebstählen soll auf ihr Konto gehen. Die Geschäfte in einem Einkaufszentrum in der Nähe des Bahnhofs werden deshalb verstärkt von Sicherheitspersonal überwacht. Auch das Regierungspräsidium als Betreiber der Einrichtung hat eine Reihe von Maßnahmen aufgelistet: Rädelsführer verlegen, verstärkte Kontrollen, persönliche Gespräche. Und das Regierungspräsidium ordnete eine Videoüberwachung in den Fluren des Gebäudes an. Schon seit Januar wird die marokkanische Gruppe in einem separaten Gebäude untergebracht, das strenger bewacht wird. Seither ist es gelungen, die Zahl der Auseinandersetzungen zwischen Marokkanern und Asylbewerbern aus Schwarzafrika zu reduzieren.
Knapp 100 Flüchtlinge aus dem vermeintlich sicheren nordafrikanischen Land leben in der Sigmaringer LEA. Insgesamt bringt Baden-Württemberg dort aktuell 844 Asylbewerber unter, damit gehört Sigmaringen zu den größten LEAs im Südwesten. Die überwiegende Mehrzahl der Straftaten geschieht innerhalb des LEA-Zauns, doch die Zahl der Brennpunkte im Stadtgebiet nimmt zu. So hat ein Gastwirt eines weit über Sigmaringen hinaus bekannten Clubs entschieden, Flüchtlingen zu Veranstaltungen generell keinen Zutritt mehr zu gewähren, weil diese wiederholt Gäste belästigt hätten. Immer mehr Gewerbetreibende entlang des rund anderthalb Kilometer langen Wegs von der LEA in die Innenstadt berichten von Diebstählen, Belästigungen oder Tätlichkeiten. Ein Tankstellenbesitzer denkt darüber nach, tagsüber Sicherheitspersonal einzustellen. Anwohner klagen wegen Lärmbelästigungen in der Nacht und Alkoholexzessen über den Verlust von Wohnqualität: „Man muss zuschauen, wie das gesamte Gebiet verkommt“, sagt eine Frau. Der Regierungspräsident sieht hier offensichtlich keinen Handlungsbedarf: „Die Einheimischen dürfen durch die LEA zwar nicht benachteiligt werden, aber wir müssen die Schutzsuchenden schützen.“Er meint damit besonders die 70 Familien mit ihren 134 Kindern, die in der LEA friedlich auf die Entscheidung der Behörden warten.
Es gibt aber noch eine Sichtweise: Im größten Sigmaringer Stadtteil Laiz, der Heimat von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, haben die Menschen jahrzehntelange Erfahrung mit Flüchtlingen. Oberhalb des Ortskerns gegenüber der Kirche steht ein markantes Gebäude: Wegen seines gelben Anstrichs nennen es die Laizer Gelbes Haus. Als der Landkreis angekündigt hat, dass er die Flüchtlingsunterkunft mit momentan rund 170 Bewohnern zum Jahresende aufgeben möchte, äußerte der Ortsvorsteher sein Bedauern. Viele ehemalige Bewohner – vor allem Vietnamesen – haben in Laiz eine neue Heimat gefunden. Kritik an Bürgern Eine pensionierte Lehrerin bringt Bewohnern des Gelben Hauses Deutsch bei. Ein Sprachkurs ist speziell für Familien mit Kindern. Während die Mütter die Schulbank drücken, spielen die Kinder nebenher, eine Betreuerin kümmert sich um sie. Die Lehrerin stört an der aktuellen Diskussion in der Stadt, dass viele Bürger nicht mehr differenzieren: „Alle Flüchtlinge werden in einen Topf geworfen.“
Viele Sigmaringer, die sich ein Urteil erlauben, hätten keinerlei Kontakt zu Flüchtlingen. Nicht die auffälligen Marokkaner machen der Lehrerin Sorgen. Es seien vielmehr die Vorurteile vieler Sigmaringer: „Ich kann fast nicht mehr auf die Straße, weil ich fürchterliche Sachen höre“, klagt sie. Das Leben in der kleinen Kreisstadt hat sich verändert, seit das Land im Sommer 2015 quasi über Nacht in der ehemaligen Graf-Stauffenberg-Kaserne die Erstaufnahmestelle eröffnete. Wo bis vor wenigen Jahren die Generalität der 10. Panzerdivision einen der größten Heeresverbände führte, werden heute Asylanträge bearbeitet. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist in das ehemalige Gebäude des Divisionsstabs eingezogen. Als die Flüchtlinge über die Balkanroute nach Mitteleuropa kamen, wurden in Sigmaringen ständig zusätzliche Kasernengebäude für die LEA hergerichtet. An Weihnachten 2015 war sogar eine Zeltstadt im Gespräch – die Zahl der Bewohner wäre dann auf 4000 gestiegen.
Nach der Schließung der Balkanroute und der damit verbundenen Reduzierung der Flüchtlingszahl schien es so, als ob in Sigmaringen wieder ein bisschen mehr Alltag einkehren würde. Die Belegung in der ehemaligen Kaserne sank auf weit unter 1000.
Dann erreichte Schultes Thomas Schärer während einer Sitzung eine Nachricht auf seinem Handy: Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte in Stuttgart sein Konzept zur Flüchtlingsunterbringung vorgestellt. Demnach soll Sigmaringen, das nur knapp 17 000 Einwohner zählt, dauerhaft maximal 1250 Flüchtlinge aufnehmen.
Vereinbarung Stadt – Land
Das Land kündigte auf einer noch vor Weihnachten einberufenen Einwohnerversammlung an, dass es bereit ist, eine schriftliche Vereinbarung mit der Stadt zu schließen. Doch bisher blieb es bei der Ankündigung. Ein Vierteljahr später ist die Stimmung im Rathaus auf dem Tiefpunkt.
„Wir sind leider keinen Schritt weiter“, sagt Bürgermeister Thomas Schärer, „das beunruhigt mich.“Sein letztes Telefonat mit dem Innenministerium liegt über einen Monat zurück. Immer mehr Sigmaringer gewinnen den Eindruck, dass auf Zeit gespielt wird. Schärer: „Wenn das Land bei seinem Konzept bleiben möchte, dann muss man uns dies sagen.“Dass die Hauptforderung nach einer zeitlichen Befristung erfüllt wird, glaubt in Sigmaringen kaum mehr jemand.
Statt über den Forderungskatalog zu verhandeln, beschäftigt die Stadt das kriminelle Klein-Klein einer Gruppe von Marokkanern. Erst sind es Drogendelikte, Körperverletzungen und Ladendiebstähle. In diesen Tagen beschäftigt sich die Polizei mit Brandstiftung und rückt mit Hundertschaften an.
„Muss denn erst noch was Schlimmes passieren und wer übernimmt von politischer Seite dann die Verantwortung?“, fragt die frühere Geschäftsfrau Margarete Reiser.