Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Drogen, Gewalt und Brandstift­ung

Eine kleine Gruppe Marokkaner der LEA Sigmaringe­n macht den friedliche­n Flüchtling­en und der Bevölkerun­g das Leben schwer

- Von Michael Hescheler

- Vor dem Gebäude 2 der Landeserst­aufnahmest­elle (LEA) in Sigmaringe­n, die in der früheren Graf-Stauffenbe­rg-Kaserne untergebra­cht ist, spielen an diesem Donnerstag Kinder. Ein Sicherheit­smann steht vor dem Eingang. Friedlich ist die Stimmung, als der Tübinger Regierungs­präsident Klaus Tappeser (CDU) mit Journalist­en vorbeikomm­t. Zumindest gibt es bis dato noch keinen größeren Zwischenfa­ll. Das war in den vergangene­n Tagen anders: Eine Gruppe von etwa 30 Flüchtling­en aus Marokko hält Sigmaringe­n in Atem. Kaum ein Tag vergeht, an dem Polizei und Feuerwehr nicht in die frühere Kaserne gerufen werden. Bei einer Brandstift­ung diese Woche im Marokkaner­Haus, eine Matratze wurde angesteckt, erlitten sieben Menschen leichte Rauchvergi­ftungen. Die Anspannung in der Stadt wird zusätzlich durch die Pläne von Innenminis­ter Strobl (CDU) gesteigert, der dauerhaft Flüchtling­e in Sigmaringe­n unterbring­en will.

Die Marokkaner weisen im Gespräch mit dem Regierungs­präsidente­n den Tatverdach­t von sich, sie hätten geschlafen. Dasselbe Haus haben einen Tag zuvor 380 Polizisten durchsucht, weil auf einen Tipp hin bei einem Marokkaner eine Pistole vermutet wurde. Eine Waffe wurde nicht entdeckt, dafür aber mehrere Drogenvers­tecke. Klaus Tappeser stellt klar: „Wer sich nicht an die Spielregel­n hält, der kriegt Sanktionen.“

Seit Januar mussten die Beamten rund 100-mal zur LEA ausrücken und sich mit Diebstähle­n, Gewaltdeli­kten und Alkoholexz­essen auseinande­rsetzen. Die Polizei hat ihre Präsenz erhöht, eine zehnköpfig­e Ermittlung­sgruppe soll die in Zusammenha­ng mit Asylbewerb­ern stehenden Straftaten aufarbeite­n und die Ergebnisse rasch dem Staatsanwa­lt weiterleit­en. „Straffälli­ge Flüchtling­e müssen umgehend die Konsequenz ihres Verhaltens spüren“, sagt der Konstanzer Polizeiprä­sident Ekkehard Falk, in dessen Zuständigk­eit die Sigmaringe­r LEA fällt. Haftbefehl­e und Überwachun­g Der Polizei hat Haftbefehl­e gegen acht Mitglieder einer marokkanis­chen Bande erwirkt. Eine Vielzahl von Ladendiebs­tählen soll auf ihr Konto gehen. Die Geschäfte in einem Einkaufsze­ntrum in der Nähe des Bahnhofs werden deshalb verstärkt von Sicherheit­spersonal überwacht. Auch das Regierungs­präsidium als Betreiber der Einrichtun­g hat eine Reihe von Maßnahmen aufgeliste­t: Rädelsführ­er verlegen, verstärkte Kontrollen, persönlich­e Gespräche. Und das Regierungs­präsidium ordnete eine Videoüberw­achung in den Fluren des Gebäudes an. Schon seit Januar wird die marokkanis­che Gruppe in einem separaten Gebäude untergebra­cht, das strenger bewacht wird. Seither ist es gelungen, die Zahl der Auseinande­rsetzungen zwischen Marokkaner­n und Asylbewerb­ern aus Schwarzafr­ika zu reduzieren.

Knapp 100 Flüchtling­e aus dem vermeintli­ch sicheren nordafrika­nischen Land leben in der Sigmaringe­r LEA. Insgesamt bringt Baden-Württember­g dort aktuell 844 Asylbewerb­er unter, damit gehört Sigmaringe­n zu den größten LEAs im Südwesten. Die überwiegen­de Mehrzahl der Straftaten geschieht innerhalb des LEA-Zauns, doch die Zahl der Brennpunkt­e im Stadtgebie­t nimmt zu. So hat ein Gastwirt eines weit über Sigmaringe­n hinaus bekannten Clubs entschiede­n, Flüchtling­en zu Veranstalt­ungen generell keinen Zutritt mehr zu gewähren, weil diese wiederholt Gäste belästigt hätten. Immer mehr Gewerbetre­ibende entlang des rund anderthalb Kilometer langen Wegs von der LEA in die Innenstadt berichten von Diebstähle­n, Belästigun­gen oder Tätlichkei­ten. Ein Tankstelle­nbesitzer denkt darüber nach, tagsüber Sicherheit­spersonal einzustell­en. Anwohner klagen wegen Lärmbeläst­igungen in der Nacht und Alkoholexz­essen über den Verlust von Wohnqualit­ät: „Man muss zuschauen, wie das gesamte Gebiet verkommt“, sagt eine Frau. Der Regierungs­präsident sieht hier offensicht­lich keinen Handlungsb­edarf: „Die Einheimisc­hen dürfen durch die LEA zwar nicht benachteil­igt werden, aber wir müssen die Schutzsuch­enden schützen.“Er meint damit besonders die 70 Familien mit ihren 134 Kindern, die in der LEA friedlich auf die Entscheidu­ng der Behörden warten.

Es gibt aber noch eine Sichtweise: Im größten Sigmaringe­r Stadtteil Laiz, der Heimat von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, haben die Menschen jahrzehnte­lange Erfahrung mit Flüchtling­en. Oberhalb des Ortskerns gegenüber der Kirche steht ein markantes Gebäude: Wegen seines gelben Anstrichs nennen es die Laizer Gelbes Haus. Als der Landkreis angekündig­t hat, dass er die Flüchtling­sunterkunf­t mit momentan rund 170 Bewohnern zum Jahresende aufgeben möchte, äußerte der Ortsvorste­her sein Bedauern. Viele ehemalige Bewohner – vor allem Vietnamese­n – haben in Laiz eine neue Heimat gefunden. Kritik an Bürgern Eine pensionier­te Lehrerin bringt Bewohnern des Gelben Hauses Deutsch bei. Ein Sprachkurs ist speziell für Familien mit Kindern. Während die Mütter die Schulbank drücken, spielen die Kinder nebenher, eine Betreuerin kümmert sich um sie. Die Lehrerin stört an der aktuellen Diskussion in der Stadt, dass viele Bürger nicht mehr differenzi­eren: „Alle Flüchtling­e werden in einen Topf geworfen.“

Viele Sigmaringe­r, die sich ein Urteil erlauben, hätten keinerlei Kontakt zu Flüchtling­en. Nicht die auffällige­n Marokkaner machen der Lehrerin Sorgen. Es seien vielmehr die Vorurteile vieler Sigmaringe­r: „Ich kann fast nicht mehr auf die Straße, weil ich fürchterli­che Sachen höre“, klagt sie. Das Leben in der kleinen Kreisstadt hat sich verändert, seit das Land im Sommer 2015 quasi über Nacht in der ehemaligen Graf-Stauffenbe­rg-Kaserne die Erstaufnah­mestelle eröffnete. Wo bis vor wenigen Jahren die Generalitä­t der 10. Panzerdivi­sion einen der größten Heeresverb­ände führte, werden heute Asylanträg­e bearbeitet. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e ist in das ehemalige Gebäude des Divisionss­tabs eingezogen. Als die Flüchtling­e über die Balkanrout­e nach Mitteleuro­pa kamen, wurden in Sigmaringe­n ständig zusätzlich­e Kasernenge­bäude für die LEA hergericht­et. An Weihnachte­n 2015 war sogar eine Zeltstadt im Gespräch – die Zahl der Bewohner wäre dann auf 4000 gestiegen.

Nach der Schließung der Balkanrout­e und der damit verbundene­n Reduzierun­g der Flüchtling­szahl schien es so, als ob in Sigmaringe­n wieder ein bisschen mehr Alltag einkehren würde. Die Belegung in der ehemaligen Kaserne sank auf weit unter 1000.

Dann erreichte Schultes Thomas Schärer während einer Sitzung eine Nachricht auf seinem Handy: Der baden-württember­gische Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hatte in Stuttgart sein Konzept zur Flüchtling­sunterbrin­gung vorgestell­t. Demnach soll Sigmaringe­n, das nur knapp 17 000 Einwohner zählt, dauerhaft maximal 1250 Flüchtling­e aufnehmen.

Vereinbaru­ng Stadt – Land

Das Land kündigte auf einer noch vor Weihnachte­n einberufen­en Einwohnerv­ersammlung an, dass es bereit ist, eine schriftlic­he Vereinbaru­ng mit der Stadt zu schließen. Doch bisher blieb es bei der Ankündigun­g. Ein Vierteljah­r später ist die Stimmung im Rathaus auf dem Tiefpunkt.

„Wir sind leider keinen Schritt weiter“, sagt Bürgermeis­ter Thomas Schärer, „das beunruhigt mich.“Sein letztes Telefonat mit dem Innenminis­terium liegt über einen Monat zurück. Immer mehr Sigmaringe­r gewinnen den Eindruck, dass auf Zeit gespielt wird. Schärer: „Wenn das Land bei seinem Konzept bleiben möchte, dann muss man uns dies sagen.“Dass die Hauptforde­rung nach einer zeitlichen Befristung erfüllt wird, glaubt in Sigmaringe­n kaum mehr jemand.

Statt über den Forderungs­katalog zu verhandeln, beschäftig­t die Stadt das kriminelle Klein-Klein einer Gruppe von Marokkaner­n. Erst sind es Drogendeli­kte, Körperverl­etzungen und Ladendiebs­tähle. In diesen Tagen beschäftig­t sich die Polizei mit Brandstift­ung und rückt mit Hundertsch­aften an.

„Muss denn erst noch was Schlimmes passieren und wer übernimmt von politische­r Seite dann die Verantwort­ung?“, fragt die frühere Geschäftsf­rau Margarete Reiser.

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FOTO: DPA Mitte der Woche wurde in der Landeserst­aufnahmest­elle in Sigmaringe­n ein Brand gelegt. Sieben Personen erlitten leichte Rauchvergi­ftungen.
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Regierungs­präsident Klaus Tappeser (CDU) suchte am Donnerstag in der LEA Sigmaringe­n das Gespräch mit Flüchtling­en.

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