Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Versöhner und Mahner
Andreas Schockenhoff wurde in Straßburg posthum mit der Robert-Schuman-Medaille geehrt
- Wenn Michèle Alliot-Marie von ihrem alten Weggefährten Andreas Schockenhoff erzählt, fängt sie an zu strahlen. Es ist nicht bloß ein Lächeln, das man einem Gegenüber aus Höflichkeit entgegenbringt. Es ist ein Lächeln, aus dem sich viele gute Erinnerungen herauslesen lassen.
„Andreas hatte nicht nur ein politisches Programm, er hatte auch ein menschliches“, sagt die ehemalige französische Verteidigungsministerin auf einem Gang des Europäischen Parlaments vor dem Sitzungssaal der EVP-Fraktion. Dort haben die europäischen Christdemokraten den 2014 verstorbenen CDU-Bundespolitiker aus Ravensburg nun posthum mit der Robert-SchumanMedaille für seine Verdienste um die europäische Einigung geehrt. Die Auszeichnung entgegengenommen haben seine Kinder Theresa und Ferdinand und sein Bruder Martin, die für die Verleihung nach Straßburg gereist sind. „Für die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich hat Andreas eine Schlüsselrolle gespielt. Die Beziehung wäre ohne ihn eine andere“, sagt Alliot-Marie. Schockenhoff habe sogar jene überzeugen können, die der Idee der europäischen Einigung skeptisch gegenüberstanden. Begegnung mit de Gaulle Diese Idee hat Schockenhoff früh verinnerlicht. Die „Rede an die deutsche Jugend“Charles de Gaulle sei „Antrieb seiner politischen Ziele“gewesen, erzählt Sohn Ferdinand. Als Fünfjähriger sei Schockenhoff am 9. September 1962 in Ludwigsburg dabei gewesen, als der damalige französische Präsident eine Ansprache an seine jungen Zuhörer hielt. Diese hätte den Weg für sein späteres Französischstudium geebnet.
Als Lehrer war der promovierte Romanist Schockenhoff zunächst am Bildungszentrum St. Konrad in Ravensburg. Vier Jahre nach seiner Wahl in den Bundestag im Jahre 1990 wurde Schockenhoff Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Oft reiste er nach Frankreich, tauschte sich dort mit Kollegen aus – darunter mit Madame Alliot-Marie – und knüpfte ein dickes Band zu den Nachbarn im Westen.
Seinen Wahlkreis Ravensburg besuchte Schockenhoff, wann immer die deutsch-französische Partnerschaft gefeiert wurde. Als Amtzell und Cosne d’Allier, eine kleine Gemeinde im Herzen Frankreichs, 2013 ihre 40-jährige Partnerschaft zelebrierten, erinnerte er (in beiden Sprachen) an den Élysée-Vertrag von 1963, der „aus Feinden Freunden“machte. Als die Deutsch-Französische Gesellschaft Friedrichshafen 2007 einen Festakt zum 50-jährigen Bestehen ausrichtete, betonte Schockenhoff, dass beide Staaten für ein europäisches, vorbildliches Integrationsmodell stünden. „Europa ist nicht nur Frankreich und Deutschland, aber ohne die beiden ist Europa nichts“, sagte Schockenhoff 2014, als Isny und Notre-Dame-de-Gravenchon gemeinsam feierten. Mit dem Eifer eines Sammlers besuchte Schockenhoff viele dieser Veranstaltungen in der Region.
Für dieses Engagement ist er bereits ausgezeichnet worden, so wie 2005, als er das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt. 2000 wurde Schockenhoff zum französischen Ehrenlegionär ernannt. Bundespräsident Joachim Gauck reiste 2013 als erstes deutsches Staatsoberhaupt seit 17 Jahren nach Frankreich – gemeinsam mit Andreas Schockenhoff. So versöhnlich er gegenüber Frankreich war, so hart ging Schockenhoff mit Russland und mit Präsident Wladimir Putin ins Gericht. Als Koordinator für deutsch-russische Zusammenarbeit habe er seit 2006 „prophetisch die aggressive Natur“der russischen Regierung vorhergesehen, sagt Jacek Saryusz-Wolski, polnischer Europaabgeordneter der Partei „Platforma Obywatelska“.
Saryusz-Wolski war es auch, der Schockenhoff für die Robert-Schuman-Medaille vorgeschlagen hat. Früh habe Schockenhoff das Aufkommen der Ukraine-Krise erkannt, „viel früher als andere“. Schockenhoff habe die demokratischen, oppositionellen Kräfte in Russland und der Ukraine unterstützt und undemokratische Entwicklungen kritisiert – schon vor der Annexion der Krim in der Ostukraine durch prorussische Separatisten. „Er war ein wahrer ,Russland-Versteher’“, sagt Saryusz-Wolski. Die Regierung in Moskau hat das jedoch anders gesehen. In diesem Amt ist Schockenhoff von der russischen Führung zeitweise nicht mehr empfangen worden – ein diplomatischer Affront. Für diese frühe Analyse sei er „abgestraft und diszipliniert“worden, sagt Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis AalenHeidenheim und langjähriger Wegbegleiter Schockenhoffs. Sowohl CDU als auch SPD war Schockenhoff mit seiner scharfen Kritik damals zu unbequem. Sein sozialdemokratischer Nachfolger, Gernot Erler, verfasste 2013 einen Aufsatz mit dem Titel „Schluss mit dem Russland-Bashing!“, während Schockenhoff auf einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland beharrte.
„Es war beeindruckend, mit welcher Klarheit er die Missstände erklärt hat“, sagt Kiesewetter. Doch habe Schockenhoff es auch gewürdigt, wenn „Russland Verträge eingehalten hat“. Er habe nicht blind der russischen Opposition vertraut und der Regierung nicht stets misstraut. Ihm sei es immer um die Sache gegangen. „Schockenhoff hat nach seinem Tod ein Vakuum hinterlassen“, so Kiesewetter.