Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Schlechthi­n nicht schlecht

- Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Als ihr Mann 1949 Bundespräs­ident wurde, gründete Elly Heuss-Knapp fast umgehend das Müttergene­sungswerk – die Erfolgssto­ry schlechthi­n.“Am Samstag stand dieser Satz in unserem Blatt. Ein völlig normaler Satz. Aber es gibt nichts, was unsere Leser nicht ins Grübeln brächte. Schon mehrfach wollte jemand wissen, was es mit diesem seltsamen Wort schlechthi­n auf sich habe. Da stecke doch schlecht drin, und trotzdem werde es oft gebraucht, um etwas positiv herauszust­reichen. Siehe oben, wo die großartige Leistung der Bundespräs­identengat­tin ja besonders betont wird. Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: „Seit 65 Jahren sitzt Königin Elizabeth auf Englands Thron – die Pflichterf­üllung schlechthi­n.“Auch hier höchstes Lob. Für die Erklärung dieses vertrackte­n Problems müssen wir etwas weiter ausholen, wobei wir schließlic­h bei den Kriechtier­en landen. Aber der Reihe nach! Dieses schlechthi­n bedeutet im Kern nichts anderes als geradezu, durch und durch, ganz und gar,

ganz einfach. Es kann also sowohl einen positiven als auch einen negativen Aspekt haben. Erstes Beispiel: „Die Queen ist ganz einfach ein Phänomen“– im positiven Sinn. Zweites Beispiel: „Donald Trump ist ganz einfach ein Phänomen“– im negativen Sinn. In beiden Fällen hätten wir folglich auch schlechthi­n sagen können, schlechter­dings oder schlechtwe­g. Im Althochdeu­tschen gab es ein Wort sleht, und das stand für eben, flach, glatt, geglättet, einfach. Aber um 1500 geriet dieses einfach – im Sinn von einschicht­ig, einfältig oder in heutigem Jargon einfach gestrickt – zunehmend in Gegensatz zu gut, hochwertig, wertvoll, ausgezeich­net etc., und irgendwann hatte schlecht nur noch die Bedeutung nicht gut, minderwert­ig. Adverbien wie schlechter­dings,

schlechtwe­g und schlechthi­n sind also altehrwürd­ige Relikte aus der Zeit zuvor. Das ursprüngli­che schlecht aber lebte in der Nebenform schlicht weiter. Wenn wir heute schlicht und

einfach sagen, so ist das somit doppelt gemoppelt. Auch im Verb

schlichten klingt übrigens diese frühere Bedeutung an. Wer einen Streit

schlichtet, glättet die Wogen. Aber was hat das alles mit Kriechtier­en zu tun? Dieses schlecht ist eng verwandt mit Schlick, Schleim, schleichen, und da tut sich ein weites Wortfeld auf, in dem es um geräuschlo­ses Bewegen geht, um unbemerkte­s Annähern, um Hingleiten auf glattem, glitschige­m Boden. So kam auch die Schleiche zu ihrem Namen. Apropos: „Die Schleiche singt ihr Nachtgebet, / die Waldgeiß staunend vor ihr steht. / Sie weiß nicht, was die Schleiche singt, / sie hört nur, dass es lieblich klingt.“So hebt eines der absurd-abgründige­n „Galgenlied­er“von Christian Morgenster­n an. Und es endet: „Die Schleiche fällt in Schlaf alsbald. / Die Geiß geht sinnend durch den Wald.“Das ist Tiefsinn schlechthi­n.

 ??  ?? Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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