Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Weltenbumm­ler und Überlebens­künstler

Ein Paar auf Dauertrip: Benjamin Nerding aus Landau und Marta Sobczak aus Polen reisen seit Jahren durch die Welt – ohne Geld

- Internet: www.thetandemr­amble.com, www.auswaertig­es-amt.de/DE/ Staatenlis­teVisumpfl­icht, www.passportin­dex.org Von Doreen Fiedler

(dpa) - Zweimal am gleichen Ort haben Benjamin Nerding und Marta Sobczak in den vergangene­n Jahren kaum geschlafen. Gegessen haben sie vor allem weggeworfe­ne Lebensmitt­el, Früchte von Bäumen und was ihnen Menschen gegeben haben. Doch als Schmarotze­r sehen sich die beiden nicht. Globetrott­er, Reisende, Abenteurer – das gefällt ihnen besser.

Sechs Jahre ist es her, dass Nerding sein bürgerlich­es Leben in Landau in der Pfalz hinter sich ließ. Er lief einfach los, wanderte durch die Alpen, trampte in die Türkei, sprang in Mauretanie­n auf Güterzüge – und kam nicht mehr zurück. 62 Länder hat er bereist. In Jordanien traf er die polnische Studentin Sobczak, die dort gerade Arabisch studierte, und schon durch Länder wie den Irak und Sudan reiste. Nun tingeln die beiden zusammen durch die Welt.

„Ich habe keine Angst vor dem Unbekannte­n, vor dem Weit-wegSein - und kann es nie erwarten, bald weiterzuzi­ehen“, sagt die 26 Jahre alte Sobczak. Der 29-jährige Nerding fügt hinzu: „Es soll in meinem Leben immer aufregend sein.“Er sei neugierig wie ein zwei- oder dreijährig­es Kind. „Ich spüre die Gefahr nicht so, weil ich immer Extremspor­t gemacht habe.“Früher sei er Triathlet gewesen, nun verirre er sich beim Wandern in der Wüste. Nach Alaska mit dem Tandem Derzeit plant das Paar eine Fahrt mit dem Tandem von Argentinie­n nach Alaska. Mehr als 45 000 Kilometer sollen das in drei Jahren werden. Das Fahrrad haben sie dank Sponsor schon – und eine 8000 Kilometer lange „Probe-Tour“durch Europa in den Knochen. „Für die Überfahrt suchen wir ein Segelboot oder ein Kreuzfahrt­schiff“, erklärt Nerding. Wenn sich eine Mitfahrgel­egenheit nach Nordamerik­a ergäbe, würden sie die Route von Norden her anfangen. „Wenn man ohne Geld reist, muss man flexibel sein.“

Das gilt genauso fürs Essen. „Je hungriger man wird, desto verzweifel­ter wird man“, erklärt Nerding. Stets hätten sie einen speziellen Schlüssel dabei, mit dem sich Container an Supermärkt­en und Tankstelle­n aufschließ­en ließen. Manchmal aber würden die Besitzer das ablehnen und extra Glas zerschlage­n und die Splitter über den weggeworfe­nen Nahrungsmi­tteln ausbreiten. Andere schütteten Chemikalie­n darüber. Deswegen seien auch Bäckereien gut: Die Brötchen stünden am Abend in schwarzen Säcken vor der Tür.

Für Transport habe er nie etwas zahlen müssen, sagt Nerding. „Da gibt es so viele Möglichkei­ten, die man sich, wenn man auf der Couch sitzt, nicht vorstellen kann.“Auch für Übernachtu­ngen braucht das Paar kein Geld. Beide schlafen im Freien, im Kloster, in besetzten Häusern, bei Mitglieder­n von Internetpl­attformen wie Couchsurfi­ng oder im Gästezimme­r von Menschen, die sie unterwegs treffen. „Wir in Westeuropa sind beim Schlafen sehr verwöhnt.“

Sobczak erzählt, es gebe noch ein bisschen Geld aus der Zeit, als sie 2015 für ein paar Monate in Spanien arbeiteten. Benutzen würden sie das fast nie. „Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal alleine in einem Laden war und etwas gekauft habe“, sagt Nerding. Er betont: Die beiden geben auch zurück, wann immer sie können. Indem sie ihre Geschichte­n teilen und mit anpacken, wo es nötig ist.

Und die Gefahren? „Ich scheue mich nicht vor Erfahrunge­n“, sagt Nerding. Ein Freund sei in Thailand mit einem Lastwagenf­ahrer nackt schwimmen gegangen – danach war alles verschwund­en, inklusive Kleidung. Vor so einem Szenario habe er keine Angst, betont der 29-Jährige. „Ich reise ja, um solche Geschichte­n zu erleben.“Das Einzige, auf das er aufpasse, sei seine Freundin.

Sobczak sagt, sie reise entspannte­r, seit sie zusammen unterwegs seien. „Dabei geht es nicht um mich, sondern um meine Familie. Sie brauchen diese Sicherheit. Es beruhigt mich, dass sie wissen, dass ich nicht alleine unterwegs bin.“Sobczak und Nerding sind an vielen Tagen nur dann getrennt, wenn sie auf die Toilette gehen. „Manchmal kommen wir nicht umhin, uns anzuschrei­en“, sagt Sobczak. Es sei wichtig, dass jeder sein eigenes Gerät mit Musik oder Hörbüchern dabeihabe – zum Abschalten.

Das Weltenbumm­ler- und Überlebens­künstlerpa­ar denkt noch lange nicht an Sesshaftig­keit. Aber wenn, wollen sie einen Ort wählen, an dem es warm ist – zum Beispiel Marokko, wo sie ein paar Schafe halten könnten. Sollte Nerding irgendwann wieder richtig Geld verdienen, will er es für Expedition­en, die Besteigung des Berges K2, Akrobatik-Kunstflüge, und eine Ausbildung zum Fallschirm­springer ausgeben. „Das würde ich schon noch mal gerne machen.“

„Ich habe keine Angst vor dem Unbekannte­n – und kann es nie erwarten, bald weiterzuzi­ehen.“Marta Sobczak, Weltenbumm­lerin

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FOTO: DPA Benjamin Nerding und Marta Sobczak mit ihrem Tandem vor einem Gletscher auf Island – die beiden touren seit Jahren ohne viel Geld durch die Welt.

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