Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Von der Liebe und ihrer Abwesenheit
Die Theaterwerkstatt Ulm zeigt zwei Einakter über das größte aller Gefühle – und fordert damit das Publikum
(köd) - Zwei Momente der Nähe, zwei Momente des Abschieds: Das ist die Klammer, die die beiden grundverschiedenen Einakter verbindet, die die Theaterwerkstatt unter dem Titel „Evol – Love – Liebe“in der Oberen Donaubastion auf die Bühne bringt. Das unter der Regie von Thomas Laengerer uraufgeführte kryptische „Irgendwann wird es von selber hell“schrieb der Neu-Ulmer Autor Jörg Neugebauer, der auch selbst in der männlichen Hauptrolle auf der Bühne steht, im Jahr 2014.
Pavel Kohout im ersten Teil: „Evol“verfasste der Prager 1972. Jörg Zenker versetzt die Ereignisse in das kühle Restaurant eines Hotels; alles – einschließlich Usambara-Veilchen auf dem Tisch und Alpen-Panorama an der Wand – ist nüchtern schwarz/ weiß, klar abgegrenzt, ohne Farbigkeit und ohne Zwischentöne. Hier urlauben der Arzt Peter (Jörg Neugebauer) und seine jüngere Frau Tina (Elvira Lauscher).
Ihre Beziehung erscheint makellos, niemals fällt der Schatten eines Widerwortes auf die von anderen Gästen bewunderte Beziehung. Doch dann taucht ein sehr lebendiger junger Mann auf (Patrick Steiner), der rückwärts liest und sich „Evol“nennt – die Liebe also.
Die Fragen, die er stellt, sind höchst persönlicher Natur. Warum Tina keinen Hund hat? Warum sie kein Kind hat? Wann sie zuletzt geweint hat? Evol wirkt ein bisschen wie die erwachsene Ausgabe des kleinen Prinzen: Hier ist einer, der die Fragen stellt, die andere nicht aussprechen würden. Die wichtigen Fragen, die Fragen, die „man“nicht stellt – und die Tina zurückführen an den Punkt, als das Leben Vernunft wurde und die eigene innere Stimme aufhörte.
Nein, ihr Glück ist ein vorgetäuschtes, und der Umstand, dass sie seit 22 Jahren nicht geweint hat, ist der Erstarrung und nicht dem Glück geschuldet. Als Tina bereit ist, mit Evol zu gehen, wird der in den Himmel gehobene Arzt zum brutalen Schläger. Zwei Pfleger holen Evol, der aus der Psychiatrie entkommen war. Und Tina? Nichts kann bleiben, wie es war. In welche Richtung Tina aber gehen wird, bleibt offen. Ein kluges Stück, dem jedoch ein etwas schnelleres Spiel gutgetan hätte.
Und „Irgendwann wird es von selber hell“? Neugebauer überlässt dem Zuschauer hier viel, verlangt aber auch viel von ihm. Die Worte, die sich ein Mann (Neugebauer selbst) und eine Frau (Bettina Maigler), beide nicht mehr ganz jung, im Stück zuspielen, deuten vieles an und legen bewusst nichts fest. Die Biografie von Mann und Frau, die aus den Worten zum Leben wird, entsteht im Kopf des Zuschauers, der sich seine Wahrheit denken muss. Wer sind dieser Mann und diese Frau, die gemeinsam auf einer Reise sind – einer realen oder einer der Fantasie? Sie kennen sich lange, sie spielen ein Spiel, und manche Worte deuten auf eine gemeinsame Geschichte, auf ein abgetriebenes Kind, auf ein Scheitern, auf die Sehnsucht, man hätte heiraten sollen. Wie viel davon Fantasie des Paares ist, wie viel gelebtes Leben?
„Irgendwann wird es von selber hell“klingt wie eine Erzählung von versäumten Chancen. Jörg Neugebauers Kunst besteht darin, die Fantasie des Zuschauers zu beschäftigen. Das tut sie – lange nach dem Schlussapplaus.