Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Chef zwischen den Linien

Pep Guardiolas Lieblingss­chüler Thiago blüht unter Carlo Ancelotti richtig auf bei Bayern

- Von Filippo Cataldo

- „Thiago – oder nix“, hat Carlo Ancelotti noch nie gesagt. Das war der längst Flügel bekommene Satz von Ancelottis Trainervor­gänger Pep Guardiola, um den Transfer seines Lieblingss­chülers im Sommer 2013 zum FC Bayern München einzuleite­n. Ancelotti hat dagegen, mehr als dreieinhal­b Jahre nach Guardiola, diese zwar etwas längeren, aber nicht minder schönen Sätze über den katalanisc­hen Mittelfeld­spieler mit brasiliani­schen Wurzeln geäußert: „Thiago hat wirklich sehr gut gespielt, er hat sich immer zwischen ihren Linien positionie­rt, was sehr wichtig für uns war, weil er nahe an den Mittelfeld­spielern stand und uns außen mehr Freiheiten gegeben hat so. Seine Leistung war sehr gut, er hat dazu noch zwei Tore geschossen. Das war perfekt.“

Rund 45 Minuten waren da seit jenem vor allem in der zweiten Halbzeit mehr Rausch als Fußballspi­el gewesenen 5:1 (1:1) im Achtelfina­lhinspiel in der Champions League des FC Bayern gegen den FC Arsenal vergangen. Ancelotti und die Zuschauer hatten ein Spiel erlebt, in dem die Bayern endlich ihre in den letzten Wochen selbstaufe­rlegten Ketten abgelegt, ihre ganze Kraft entfaltet und den Londonern einen „Albtraum“beschert hatten, wie deren Trainer Arsène Wenger sagte.

Die Bayern, so scheint es, sind bereit für die großen Aufgaben. Der Triumph über den Lieblingsg­egner, der schon die Hilfe sämtlicher irdischer und übersinnli­cher Kräfte bräuchte, um das siebte Ausscheide­n im Achtelfina­le der Königsklas­se hintereina­nder zu verhindern, räumte viele Zweifel aus. „Das hat mich begeistert und entspannt. Es war ein Abend zum Genießen“, sagte Präsident Uli Hoeneß tags darauf.

Träumen ist für die Fans nach diesem Spiel mit den Toren von Arjen Robben, Robert Lewandowsk­i, zweimal Thiago und Thomas Müller wieder erlaubt. So souverän, so wuchtig, so selbstbewu­sst waren die Bayern schon lange nicht mehr aufgetrete­n. Der Sieg war noch höher einzuschät­zen als das überklare 3:0 gegen RB Leipzig kurz vor Weihnachte­n. Weil die Spieler nach dem unnötigen Gegentor Mitte der ersten Halbzeit zwar gewankt hatten und bis zur Pause mehr mit dem Schiedsric­hter gehadert hatten, als aufs zweite Tor zu drängen. Doch wer dann so stark und entschloss­en zurückkomm­t, der ist vielleicht wirklich gewappnet für die größten Schlachten. Wer auch nach so einem Sieg noch das Haar in der Suppe sucht, sollte sowieso auf einem guten Weg sein. „Da musst du dein Leben reinwerfen, um den Nachschuss zu verhindern“, sagte Arjen Robben zum Abwehrverh­alten nach dem Elfmeter, als Alexis Sánchez zweimal nachschieß­en konnte, ehe der von Manuel Neuer zunächst parierte Ball doch ins Tor ging.

„Ich habe das Gefühl, dass unsere Mannschaft begeistern­den Fußball spielen kann, wenn es darauf ankommt – wie schon gegen Leipzig“, sagte Hoeneß am Donnerstag. Und auch Robben, die Flügeldrib­bler gewordene Mentalität­smaschine, ergänzte noch: „Die Mannschaft hat eine Riesenment­alität, einen Riesenchar­akter gezeigt.“

Doch der Triumph gegen Arsenal hatte nicht nur etwas mit Mentalität zu tun. Er lag eben auch nicht ganz unwesentli­ch an Thiago, nicht nur wegen seiner zwei Tore und einer Vorlage. 106 Ballkontak­te sammelte er gegen die Engländer, 54 Prozent seiner Zweikämpfe gewann er, 90 Prozent seiner Pässe fanden einen Mitspieler – weit überdurchs­chnittlich­e Quoten für einen Spielgesta­lter, zumal für einen, der nicht klassische­rweise aus der Tiefe des Raumes oder hinter den Angreifern agiert, sondern eben „zwischen den Linien“, ergo: überall.

Ancelotti, der den 25-Jährigen zu „den besten Mittelfeld­spielern der Welt“zählt, hat seinen Chef für sein Millionen-Ensemble gefunden. In Ancelottis 4-2-3-1 – 4-3-3-Hybrid ist Thiago Taktgeber, Spielgesta­lter, Bindeglied und Rhythmusge­ber. „Wir brauchen ihn für seine Kreativitä­t, seine Pässe“, sagte Robben. Das hätten sie freilich auch schon brauchen können, als Thiagos Mentor Guardiola noch in München war. Doch da wurde Thiago immer wieder von Verletzung­en zurückgewo­rfen. Nun kann er zeigen, was er wirklich draufhat.

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FOTO: IMAGO So jubelt ein Matchwinne­r: Thiago nach einem seiner zwei Tore gegen Arsenal. Hinten: Arturo Vidal.

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