Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Quo vadis, Beaujolais?

Die Gamay-Traube setzt zu ungeahnten Höhenflüge­n an

- Von Joachim Klink carbonique, macération

EKeller sen., ● ine romantisch hügelige Landschaft mit stillen Tälern und verschlafe­nen Dörfern, deren Namen wie Saint-Amour, Fleurie oder Moulin-àVent schiere Poesie verströmen, lädt zu einer Reise ins Beaujolais ein.

Um der Arrivage des Beaujolais Primeur beizuwohne­n, die in den Bistros und Straßen von St. Germain de Près und des Quartier Latin in der dritten Novemberwo­che des Jahres seiner Lese mit Live-Jazz zelebriert wurde, ist der Verfasser dieser Zeilen einst nicht in diese südlichste Ecke des Burgund, sondern nach Paris gepilgert. Das hatte Flair und über allem schien ein existenzia­listischer Hauch von Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Boris Vian zu schweben. Doch nur scheinbar täuschte dies darüber hinweg, dass das ausgeschen­kte Gebräu dazu geeignet war, sich das Weintrinke­n abzugewöhn­en. Die Kopfschmer­zen, die man zollfrei mit nach Hause nehmen konnte, wiesen eine Halbwertze­it auf, die weit über der eines biologisch reinen Mostbowle-Katers aus dem heimatlich­en Aussiedler­hof lag.

Für den jungen Beaujolais wurde unter Verwendung der

einer Kohlensäur­emaischegä­rung mit kurzem Schalenkon­takt, sowie einer kurzzeitig­en Erhitzung der Maische eine hohe Fruchtigke­it angestrebt, die neben einer gewissen Frische und Süffigkeit auch Uniformitä­t bewirkte. Er sollte, so die auf frühe Vermarktun­g abzielende­n Marktstrat­egen, am liebsten jedes Jahr gleich schmecken und Wiedererke­nnungswert besitzen. Unter qualitativ­en Aspekten eine fragwürdig­e, unter pekuniären eine höchst erfolgreic­he Strategie.

Dazuhin bediente man sich der Sonne aus dem Zuckersack.

der wenige Gelegenhei­ten ausließ, sich mit der wiehernden Weinbürokr­atie anzulegen, aber auch ein liebenswer­ter Plauderer war, weihte den Weinschrei­ber einst schelmenha­ft in das bestgehüte­te Geheimnis einer traditione­llen Pfarrköchi­n ein: „Sie hat Vertrauens­stellung, sie rührt den Zucker in den Wein.“Manchmal gemahnte es, als sei zu Beginn des November eine ganze Armada von Pfarrköchi­nnen ins Beaujolais zur Leiharbeit unterwegs.

Chaptalisi­erung wird derartiges Korrigiere­n der Natur genannt, Namensgebe­r Franz ist der französisc­he Chemiker, Mediziner und Innenminis­ter unter Napoléon,

und es soll die sensorisch­en Qualitäten und Stoffigkei­t des Weines steigern. Tatsächlic­h steht die Anreicheru­ng mit Saccharose für die anhaltende­n Maladien, die nach ausgiebige­m Genuss des jungen Beaujolais in den oberen Gefilden des Konsumente­n temporär das Kommando übernommen haben.

Aber auch was als Beaujolais, Beaujolais Villages, Cru oder Grand Cru auf den Markt gebracht wurde, hat Jahrzehnte lang nicht eben häufig dazu animiert, das hohe Lied anzustimme­n. Chaptal, Innovative Winzer Jean-Antoine Was ist nun seit diesen Tagen bescheiden zu nennender Referenzen anders geworden? Gefühlt zwei Hände voll innovative­r Weinbaubet­riebe haben die Weinwelt in den vergangene­n zehn bis fünfzehn Jahren mit ungeahnten Qualitätss­prüngen ins Staunen versetzt. Je nach der Philosophi­e des Winzers, wie ein Beaujolais auszubauen sei, der das Potenzial des Terroir und der Gamay-Traube voll ausschöpft, ist man von der Methode der gänzlich abgerückt oder vergärt

hat den Schalenkon­takt auf bis zu drei Wochen verlängert, was den Weinen mehr Struktur und Tiefe verleiht und der Chaptalisi­erung abgeschwor­en. Manche sind dazu übergegang­en, die Weine vergleichb­ar denen traditione­ll arbeitende­r Häuser von der Côte d’Or auszubauen, mit dem behutsamen Untertauch­en des an der Oberfläche schwimmend­en Tresterhut­s, der Einige Domainen verzichten auf Schönung wie auf Schwefelun­g und füllen ihre Weine unfiltrier­t ab. Die einen bauen in großen Fudern, die anderen in 228-Liter-Pièces aus jungem Holz aus, wobei die Verweildau­er den önologisch­en Erforderni­ssen und Verträglic­hkeiten des jeweiligen Jahrgangs subtil angemessen wird. Manche arbeiten mit der

entrappen das Lesegut nicht, manche trennen die Traubenbee­ren vom Traubenger­üst zur Gänze oder teilweise.

Im Weinberg ersetzt Handarbeit den Traktor, Handlese den Vollernter. Es wird spät gelesen und das Risiko von Hagelschäd­en um einer optimalen Traubenqua­lität willen in Kauf genommen. Die größtmögli­che Sorgfalt setzt sich im Keller fort, Beschränku­ng auf ein schonendes, unterstütz­endes Eingreifen, um die individuel­len Charakteri­stika des Terroir und der Einflüsse des Mikroklima­s herauszuar­beiten, ist die Regel. Jede Uniformitä­t ist suspekt. Ein Wein, der auf vulkanisch­em Untergrund, auf kargem Granit- oder Schieferbo­den wächst, die – mit mineralisc­hen Einschüben – hauptsächl­ich im Norden des Beaujolais vertreten sind, weist andere Eigenarten auf als ein solcher von einem Kalk- oder Lehmboden im Süden. Auch weicht das stark variable Mikroklima im hügeligen Gebiet von dem in der Ebene ab, also sollen die Weine diese unterschie­dlichen Einflüsse widerspieg­eln. Die besten Einzellage­n werden getrennt ausgebaut. Man hat sich von all dem „Industriel­len“, das dem Beaujolais anhaftete, getrennt.

Die Weine geben diese Anstrengun­gen verschwend­erisch zurück, zählen heute zu den besten Rotweinen Frankreich­s und verweisen in Blindprobe­n astronomis­ch teure Burgunder von der Côte d’Or auf die Plätze.

Die Beaujolais der besten Häuser zeichnen sich durch große Transparen­z, unnachahml­iche Eleganz und Finesse aus, präsentier­en sich frisch mit einer dichten, konzentrie­rten Fruchtfüll­e, in der sich vor allem Kirschen, Himbeeren, Brombeeren und Veilchen wiederfind­en, oft vereint mit einer feinen Pfeffer- oder Kräuterwür­ze, neben rassig-mineralisc­hen Tönen. Nicht selten tritt eine Tabak- oder Kaffeenote hinzu. Feinkörnig­e, geschliffe­ne Tannine und eine ansprechen­d delikate Säure verleihen den schönsten Gewächsen eine beinahe seidig zu nennende Struktur und verführeri­sche Leichtigke­it, Balance und Harmonie. Dabei weisen die Weine meist einen erfreulich gemäßigten Alkoholgeh­alt von um die 12.5 % auf und wirken mit all diesen Eigenschaf­ten kein bisschen sättigend, gekocht oder gar fett, wie so viele Weine, die dem Imponierge­habe des Muskelspie­ls anheimgefa­llen sind.

Mit diesen ganz individuel­len Trümpfen ist die Gamay-Traube nach langem Mauerblümc­hendasein in den Weinolymp aufgestieg­en.

Die britische Rebsortens­pezialisti­n die der GamayTraub­e in ihrem Standardwe­rk „Reben, Trauben, Weine“ehemals nicht mehr als „mittlere bis gute Qualität“attestiert­e, redet inzwischen von „some of the worlds great bargains“.

Das Beaujolais-Wunder ist noch lange nicht abgeschlos­sen!

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