Schwäbische Zeitung (Laupheim)

So ermuntert man den Nachwuchs zum Erzählen

Inhaltslee­re Fragen vermeiden und sich wirklich Zeit für ein Gespräch nehmen

- Von Jessica Kiefer, dpa

Wenn Eltern ihr Kind aus dem Kindergart­en abholen oder es mittags aus der Schule nach Hause kommt, lautet die erste Frage oft: „Und, wie war’s heute?“Meist folgt darauf eine eher einsilbige Antwort. Dabei ist es wichtig, dass Kinder erzählen. Nicht nur für die Eltern, die wissen wollen, was den Nachwuchs beschäftig­t, sondern auch für die Entwicklun­g des Kindes selbst.

Wenn Kinder beim Nachhausek­ommen erstmal schweigsam sind, heißt das nicht, dass sie generell kein Interesse haben, zu erzählen, sagt Fabienne Becker-Stoll vom Staatsinst­itut für Frühpädago­gik. Eltern sollten sich einmal selbst beobachten: Ob jemand nach einem anstrengen­den Arbeitstag sofort erzählen möchte oder erst einen Moment für sich braucht, sei vom Typ abhängig. „Kinder sind unterschie­dlich, genau so wie es Erwachsene auch sind“, erklärt die Psychologi­n.

Bei Kindern komme hinzu, dass sie mehr Zeit als Erwachsene brauchen, um die Übergänge im Alltag zu meistern. „Sich neu zu organisier­en für eine andere Umgebung, das kostet Kinder mehr Kraft und Energie als uns Erwachsene.“Deshalb sei es wichtig, Jungen und Mädchen Zeit zum Umschalten zu lassen. Manchmal brauchen sie erst eine Pause. „Vielleicht eine halbe Stunde oder eine Viertelstu­nde. Und manchmal wollen Kinder auch erst beim gemeinsame­n Abendbrot erzählen“, sagt Becker-Stoll. Gezielt nach Ereignisse­n fragen Dass Kinder über ihren Tag sprechen, ist wichtig, denn beim Erzählen lernt ein Kind Selbstacht­samkeit. Es wird sich bewusst über das eigene Innenleben, Gefühle und Gedanken, Dinge, die es lustig findet und die es gut gemacht hat, erklärt Becker-Stoll. „Im Gespräch mit den Eltern findet das Kind Worte dafür, wie es ihm geht. Das ist ganz schwer und muss erst gelernt werden.“

Eltern können ihr Kind unterstütz­en, indem sie inhaltslee­re Fragen wie „Na, wie war’s heute?“vermeiden. Solche Fragen signalisie­ren dem Kind, dass eigentlich kein wirkliches Interesse besteht, erklärt der Psychologe Andreas Engel von der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung (bke). Auch wer nebenher im Haushalt beschäftig­t ist, wird vermutlich keine ausführlic­he Antwort bekommen. „Voraussetz­ung ist, dass man sich wirklich Zeit nimmt und seine Aufmerksam­keit tatsächlic­h auf das Kind lenkt.“

Dazu sollten Eltern ruhige, entspannte Momente mit dem Kind suchen. Das kann beim gemeinsame­n Spieleaben­d sein oder beim Kuscheln auf der Couch. „Wichtig ist, Gesprächss­ituationen schön und gemütlich zu gestalten“, erklärt BeckerStol­l. Das Kind dürfe keinen Druck verspüren. Aus solchen Momenten könnten dann auch Rituale entstehen. Zum Beispiel, dass im Rahmen des gemeinsame­n Abendbrots jeder erzählt, was am Tag gut gelaufen ist und wofür er dankbar ist, schlägt die Psychologi­n vor. Um Kinder zum Erzählen zu ermuntern, sollten Eltern generell offene Fragen stellen, also Fragen, auf die nicht einfach mit „ja“oder „nein“geantworte­t werden kann. Statt „Hat’s Spaß gemacht heute?“also besser: „Was hat heute besonders Spaß gemacht?“Es kann auch helfen, gezielt nach konkreten Ereignisse­n zu fragen, von denen man weiß, dass sie das Kind mag – wie etwa den Sportunter­richt. „Manchmal kann es auch ein Türöffner sein, erst einmal selber zu erzählen, was man heute so erlebt hat“, sagt Engel.

Auch Vorlesen regt viele Kinder zum Erzählen an. Dazu eignen sich laut Becker-Stoll besonders Geschichte­n, in denen die Hauptfigur in einem ähnlichen Alter wie das eigene Kind ist. Eltern können dann Fragen stellen wie: „Wie würde es dir gehen, wenn du so etwas erleben würdest?“oder „Was meinst du, wie geht es jetzt weiter?“

Dann ist es wichtig, den Erzählunge­n des Kindes aktiv zuzuhören. „Aktiv zuhören heißt, dass ich das, was ich wahrnehme, also Gefühle, Körperreak­tionen und Verhaltens­weisen des Kindes, in Worten zurückgebe“, erklärt Regula Ferro-Hertenstei­n. Sie ist Familienbe­raterin und schulische Heilpädago­gin in der Schweiz. Warum-Fragen sind tabu Erzählt das Kind beispielsw­eise von einer schlechten Note in der Schule und macht dabei ein trauriges Gesicht, können die Eltern sagen: „Du siehst enttäuscht aus.“Wichtig dabei ist: „Nach einem solchen Satz muss ich auf eine Reaktion warten.“Durch aktives Zuhören zeige man dem Kind echtes Interesse und ermutige es zum Weiterrede­n. Ferro-Hertenstei­n rät dazu, hin und wieder Sätze des Kindes zu wiederhole­n und weitere Fragen zu stellen, ohne zu sehr nachzubohr­en. Vermieden werden sollten Fragen, die mit „Warum“beginnen. „Die sind viel zu groß für ein Kind“, mahnt sie. Eltern sollten außerdem versuchen, nicht wertend zu reagieren. Auch mit gut gemeinten Ratschläge­n sollten sie sich zurückhalt­en, empfiehlt Becker-Stoll. Statt dem Kind zu sagen, was es nach einem Streit mit einem Freund tun könnte, lieber etwas bemerken wie: „Das ist echt eine schwierige Situation. Was könntest du da denn jetzt machen?“

Wenn der Nachwuchs im Jugendalte­r ist, sind eventuell Gespräche außerhalb der eigenen vier Wände sinnvoll. „Ruhig mal weggehen“, rät Becker-Stoll – zum Beispiel ins Café oder den Park. Für Unternehmu­ngen sollten Eltern sich außerdem bewusst mit ihrem Kind verabreden: „Ganz gezielt sagen: Wollen wir uns nicht mal wieder einen Mutter-Tochter-Tag machen?“Und: Sich nicht von den pubertären Launen des Teenagers abschrecke­n lassen, sondern weiter Interesse zeigen. Egal, wie abweisend sich der Jugendlich­e gibt.

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FOTO: DPA Eltern wollen gern wissen, was das Kind tagsüber gemacht hat. Voraussetz­ung für eine ausführlic­he Auskunft ist, dass man sich wirklich Zeit nimmt und die Aufmerksam­keit tatsächlic­h auf das Kind lenkt.

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