Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Menschliche Abgründe
Gewaltverbrechen nehmen 2016 in Ravensburg und Umgebung drastisch zu
- Spektakuläre Gewaltverbrechen haben die Ravensburger Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr in Atem gehalten. Pressesprecher Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl sprach von einem „mörderischen Sommer“. Allein im Zeitraum vom 21. Juni bis 10. Juli haben fünf Menschen in Ravensburg, Weingarten und Berg gewaltsam ihr Leben verloren. Süden ist sicherer als Norden Obwohl die Kriminalitätsrate in der Region seit 2013 ansteigt, hält der Leiter der Ravensburger Strafverfolgungsbehörde, Alexander Boger, den Raum Bodensee-Oberschwaben immer noch für sehr sicher. „Württemberg ist sicherer als Baden, und der Süden ist sicherer als der Norden.“Dennoch gab es einen „eklatanten Anstieg an Kapitalverbrechen“. Nach 16 Fällen im Vorjahr gab es 2016 insgesamt 28 vollendete oder versuchte Mord- und Totschlagsdelikte.
Nur durch Glück überlebt hat ein 30-Jähriger, dem nach einem Bunten Abend in Meckenbeuren-Brochenzell von einem 22-Jährigen ein Messer mit 18 Zentimeter langer Klinge in den Hals gerammt wurde. Motiv des Täters, der 3,5 Promille Alkohol im Blut hatte, war die Vermutung, der andere habe seine Jacke gestohlen, was noch nicht einmal stimmte. Er wurde zu neun Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt.
Die „Abgründe menschlichen Handelns“haben sich laut Diehl beim Weingartener Kopfschussprozess aufgetan. Ohne jegliche Empathie habe ein Paar einen 49-Jährigen kaltblütig hingerichtet. „Absolut erschreckend war, mit welcher Routine die Tat ausgeführt wurde und welche Genugtuung der Haupttäter anschließend verspürt hat.“
Momente, die auch Staatsanwälte erschüttern: Der Dreifachmord von Ravensburg-Untereschach sei auch im Nachhinein nur schwer zu begreifen, sagte Diehl. Ein Familienvater hatte seine Frau und zwei Stieftöchter mit einem Beil und einem Messer in einem regelrechten Blutrausch getötet. Motiv war wohl Eifersucht: Die Frau hatte offenbar einen Freund und wollte ihren Mann möglicherweise verlassen. Der geständige Täter erhängte sich zwischenzeitlich im Gefängnis.
Obwohl die meisten Kriminellen zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, gilt das nicht für Beziehungstaten. Ein 82Jähriger versuchte in Bad Wurzach, seine 91 Jahre alte langjährige Geliebte durch einen Nackenschuss und mehrere Messerstiche zu töten. Ein zufällig vorbeikommender Polizist verhinderte das Schlimmste. Der Rentner wurde zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich aber selbstverständlich nicht nur mit Mord und Totschlag, wie Pressesprecherin Christine Weiss erläuterte. Ab kommender Woche muss sich der frühere Geschäftsführer des Bad Wurzacher Moorsanatoriums vor Gericht verantworten, der sich die Stelle durch gefälschte Titel erschlichen haben soll. Weder war er Diplomp-Psychologe noch Doktor der Wirtschaftswissenschaften, tatsächlich soll er gar keinen Studienabschluss haben. Die Stadt Bad Wurzach, die ein Jahr brauchte, um dem Mann auf die Schliche zu kommen, zahlte ihm in dieser Zeit 104 000 Euro Gehalt.
Immer häufiger müssen sich die Staatsanwälte mit Anzeigen von Querulanten beschäftigen. Dazu gehören Reichsbürger, aber nicht nur. „Das bindet schon eine Menge Arbeitskraft, weil sie ja alles lesen müssen“, sagt Karl-Josef Diehl. „Und wenn das Verfahren dann eingestellt wird, wird als Nächstes gleich der zuständige Staatsanwalt angezeigt.“ Sehen Sie auch einen Filmbeitrag von der Pressekonferenz unter www.schwaebische.de/staatsanwaltschaft2016.