Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Homosexuelle erhalten Entschädigung
Nach langem Hin und Her hat sich die Bundesregierung zur Rehabilitierung jener schwulen Männer durchgerungen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in beiden deutschen Staaten verurteilt worden waren. Das Bundeskabinett billigte am Mittwoch einen entsprechenden Entwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Danach sollen alle Strafurteile wegen homosexueller Handlungen aufgehoben werden.
Maas bezeichnete die strafrechtliche Rehabilitierung als überfällig. „Die alten Urteile sind aus heutiger Sicht eklatantes Unrecht. Sie verletzen jeden Verurteilten zutiefst in seiner Menschenwürde“, erklärte der SPD-Politiker. Diese „Schandtaten des Rechtsstaates“werde man niemals wieder ganz beseitigen können. Homosexuelle Handlungen waren bei der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 mit dem Paragrafen 175 unter Strafe gestellt worden. In der NS-Zeit wurden die Vorschriften noch einmal verschärft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestand der Paragraf in beiden deutschen Staaten fort, wenn auch in unterschiedlichen Versionen. 1994 wird Paragraf 175 abgeschafft In der DDR wurde das Gesetz 1968 abgeschafft. Dort galt fortan bis Ende der 1980-Jahre ein Strafgesetz, das homosexuelle Handlungen mit männlichen und weiblichen Jugendlichen unter Strafe stellte.
1969 und 1973 entschärfte die Bundesrepublik den Paragrafen 175. Seither standen nur noch homosexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter Strafe. Erst 1994 wurde der Paragraf 175 endgültig abgeschafft. In der NS-Zeit ergangene Urteile gegen Homosexuelle wurden 2002 aufgehoben.
Mit dem neuen Gesetz werden sämtliche Urteile nach den bis maximal 1994 bestehenden Paragrafen in beiden deutschen Staaten aufgehoben, sofern es nicht um sexuelle Handlungen mit Kindern ging. Ausgenommen sind auch Verurteilungen wegen Handlungen, die unter Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen und Zwangslagen oder unter Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung begangen wurden.
Schätzungen zufolge wurden in der alten Bundesrepublik zwischen 1949 und 1994 etwa 64 000 Männer verurteilt, davon allein 50 000 bis 1969. Für die DDR wird von 4300 Verurteilungen ausgegangen. Die Urteile werden pauschal durch Gesetz aufgehoben, eine Beantragung ist nicht erforderlich. Für das jeweilige Urteil werden zunächst 3000 Euro Entschädigung gezahlt, hinzu kommen 1500 Euro pro erlittenem Haftjahr. Der Anspruch kann innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes geltend gemacht werden.
Die meisten der einst verurteilten schwulen Männer sind jedoch längst tot, die noch lebenden sind sehr alt. Das Bundesjustizministerium geht in seinem Gesetzentwurf davon aus, dass höchstens 5000 Betroffene entschädigt werden. Die Unionsfraktion will sich daher dafür einsetzen, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Der Linksfraktion reicht die Höhe der Entschädigung nicht aus. Die Grünen begrüßten den Kabinettsbeschluss als historischen Schritt für mehr Gerechtigkeit, forderten aber Nachbesserungen. (AFP/epd)