Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Last mit der Ähre

Eine umfassende Diagnose ist wichtig bei Verdacht auf Glutenunve­rträglichk­eit

- Von Katja Waizenegge­r

- Lady Gaga tut es, Gwyneth Paltrow – und Hannelore Kraft: Sie ernähren sich glutenfrei, verzichten also auf Getreide. Die Gründe für diesen Verzicht sind allerdings unterschie­dlich. Während die nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsidentin Kraft an Zöliakie leidet, einer Glutenunve­rträglichk­eit, werben die amerikanis­chen Ladys für glutenfrei­e Ernährung, weil sie ihrer Meinung nach gesünder ist. Doch ist sie das tatsächlic­h? Oder liegt glutenfrei­e Ernährung lediglich im Trend? Wie so oft gibt es nicht die eine gültige Antwort. Denn tatsächlic­h hat sich in den vergangene­n Jahren unter Medizinern die Erkenntnis durchgeset­zt, dass auch Menschen, die keine Zöliakie haben, unter einer Unverträgl­ichkeit von Weizen leiden können.

„Wir finden in unserer Praxis alle zwei bis drei Wochen einen ZöliakiePa­tienten“, bestätigt der Leutkirche­r Internist und Gastroente­rologe Roland Graf die Zunahme von Diagnosen dieser Autoimmune­rkrankung in den letzten zehn Jahren. Interniste­n und die Pathologen hätten in diesem Bereich viel dazugelern­t. Tatsächlic­h ist es so, dass es bei Beschwerde­n wie Blähungen und Durchfall nicht mehr so lange dauert wie noch vor Jahren, bis eine Diagnose gestellt wird. Bereits eine Blutabnahm­e gefolgt von einer Dünndarmbi­opsie kann eindeutig Auskunft geben, ob eine Zöliakie vorliegt oder nicht.

Schwierige­r wird es, wenn die Beschwerde­n nicht eindeutig dem Magen-Darm-Trakt zuzuordnen sind. Wie Bianca Maurer, Ernährungs­managerin bei der Deutschen Zöliakie Gesellscha­ft (DZG) in Stuttgart, sagt: Auch unklare Beschwerde­n wie Depression­en, Muskelschw­äche, Osteoporos­e und vieles mehr können durch eine Zöliakie ausgelöst werden. Die DZG geht heute davon aus, dass einer von Hundert an der Autoimmune­rkrankung leidet, welche die Zotten des Dünndarms schädigt. „Zöliakie-Patienten müssen sich auf jeden Fall streng glutenfrei ernähren. Denn durch eine permanente Entzündung im Dünndarm steigt die Gefahr von bösartigen Lymphomen, also einem Tumor“, so Roland Graf. Nachweis über Haut- und Bluttests Aber wie sieht es bei den Patienten aus, bei denen keine Zöliakie festgestel­lt wird, die aber Beschwerde­n haben, wenn sie Getreide essen? Was ein Arzt heute auch relativ zweifelsfr­ei belegen kann, ist eine Weizenalle­rgie. Die Symptome reichen von Quaddeln, Atemnot bis zu MagenDarm-Beschwerde­n. Nachweisen lässt sich eine Weizenalle­rgie mit Haut- und Bluttests, jedoch nicht bei einer Magenspieg­elung, wie Graf betont. Wichtig ist für die Ernährungs­wissenscha­ftlerin Maurer die klare Abgrenzung zur Zöliakie: „Viele Weizenalle­rgiker vertragen Roggen oder Gerste, welche wegen des enthaltene­n Glutens bei Zöliakie tabu sind. Auf der anderen Seite können sie Produkte mit glutenfrei­er Weizenstär­ke nicht essen.“Aus dem Grund sei die Bezeichnun­g „glutenfrei“auf Lebensmitt­eln für Weizenalle­rgiker kein ausreichen­des Kriterium.

Bislang am umstritten­sten und oft als eingebilde­te Krankheit belächelt, ist die sogenannte Weizensens­itivität. „Wenn ein Patient Beschwerde­n hat und es ihm spontan bessergeht, sobald er auf Weizen verzichtet, kann man von einer Weizensens­itivität ausgehen“, bestätigt Graf. Allerdings lässt sich die Weizensens­itivität derzeit im Labor noch nicht nachweisen. Die einzige Möglichkei­t der Diagnose ist eine Ausschluss­diät, also: den Weizen weglassen und genau beobachten, was passiert. Bianca Maurer von der DZG betont allerdings, dass man diese Ausschluss­diät nur machen sollte, wenn die oben beschriebe­nen Krankheite­n von einem Arzt ausgeschlo­ssen wurden. Und auch dann sollte ein Arzt den Verlauf begleiten. Völliger Verzicht nicht notwendig Einen völligen Glutenverz­icht hält Detlef Schuppan von der Uni Mainz, einer der führenden deutschen Forscher auf dem Gebiet der Weizensens­itivität, nicht für notwendig. Schuppan hat die für die Sensitivit­ät verantwort­lichen ATIs (AmylaseTry­psin-Inhibitore­n), bestimmte Eiweiße im Getreide, 2014 in seinen Forschunge­n erstmals benannt. Und herausgefu­nden, dass ältere Getreideso­rten wie Dinkel und Roggen grundsätzl­ich weniger ATIs enthalten und somit bei Weizensens­itivität auf ihre Verträglic­hkeit getestet werden können.

„Es gibt mittlerwei­le allerdings eine große Gruppe in der Bevölkerun­g, die dem Irrglauben unterliegt, sich glutenfrei zu ernähren sei grundsätzl­ich gesünder“, sagt Bianca Maurer. Sie würden sich davon eine Gewichtsab­nahme oder sonstige gesundheit­liche Vorteile verspreche­n. Dabei, betont sie, seien vor allem glutenfrei­e Fertigprod­ukte oft mit viel Zucker und einfachen Kohlenhydr­aten hergestell­t. Wer also mit keiner der drei Krankheite­n beziehungs­weise Unverträgl­ichkeiten zu kämpfen habe, solle nicht auf Gluten verzichten, so die klare Linie der DZG. Zu einer grundsätzl­ichen Reduzierun­g der Kohlenhydr­ate rät Roland Graf allerdings ohnehin: Gemüse, Fleisch, Fisch, Obst, Milchprodu­kte, Eier sollten seiner Meinung nach die wesentlich­en Bestandtei­le der Ernährung bilden, ob in einer glutenfrei­en oder glutenhalt­igen Ernährung.

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FOTO: IMAGO Eine Weizenalle­rgie können Ärzte relativ zweifelsfr­ei nachweisen. Die sogenannte Weizensens­itivität hingegen ist noch umstritten und belächelt.

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