Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Amazon als Alptraum der Lebensmitt­elhändler

Onlineries­e will seinen Lieferdien­st für frisches Essen auch in Deutschlan­d starten

- Von Erich Reimann

(dpa) - Die Nachricht dürfte bei vielen Lebensmitt­elhändlern in Deutschlan­d am Mittwoch große Unruhe ausgelöst haben: Wie das „Handelsbla­tt“berichtete, will sich der Internetri­ese Amazon mit der Deutsche-Post-Tochter DHL verbünden, um künftig bundesweit auch frische Lebensmitt­el zu liefern. Losgehen soll es zunächst im April in Berlin. Wie auch die „Süddeutsch­e Zeitung“meldete, baut Amazon für den neuen Lieferdien­st derzeit eine Logistikha­lle in München mit Kühlräumen und insgesamt 15 000 Quadratmet­ern Fläche auf zwei Etagen. Die ersten frischen Lebensmitt­el könnten von dort aus demnach im Sommer oder Spätsommer versandt werden. Kommt es zu einem Marktstart von Amazon bei frischen Lebensmitt­eln, könnte das den Handel in Deutschlan­d grundlegen­d verändern, glauben Experten. Fragen und Antworten zum Thema.

Welche Rolle spielt der Onlinehand­el bisher bei Lebensmitt­eln? Die Bedeutung ist sehr gering. Während im Modehandel oder bei Elektroart­ikeln längst ein Großteil aller Verkäufe im Internet abgewickel­t wird, werden Lebensmitt­el noch immer vor allem im Laden eingekauft. Gerade einmal ein Prozent der Branchenum­sätze werden bisher online erzielt.

Warum sollte sich etwas daran ändern? Wegen der Bequemlich­keit der Konsumente­n etwa – die bereits die Buchhändle­r und Schuhverkä­ufer das Fürchten gelehrt hat. Man braucht keine schweren Tüten mehr nach Hause schleppen, sondern bekommt die Einkäufe bequem an die Haustür geliefert. Größere Auswahl wäre ein anderer Grund. Wer Spezialitä­ten haben will, die es im heimischen Supermarkt nicht gibt, findet diese schon heute in aller Regel leichter im Internet als im Geschäft in der Nachbarsch­aft.

Was bremst bisher den Erfolg der Onlinehänd­ler? Nicht zuletzt das niedrige Preisnivea­u im deutschen Lebensmitt­elhandel. In vielen Sparten – ob Textil oder Elektronik – konnten die Internethä­ndler anfangs die Verbrauche­r vor allem mit einem Argument überzeugen: dem Preis. Wer im Internet einkaufte, konnte ziemlich sicher sein, weniger zu zahlen als im Laden. Das dürfte im Lebensmitt­elhandel kaum funktionie­ren. Denn dank der Marktmacht der großen Discounter gehören die Lebensmitt­elpreise in Deutschlan­d zu den niedrigste­n in Europa.

Was sind weitere Hürden für den Internetve­rkauf von Lebensmitt­eln? Die hohen Lieferkost­en. Die Gewinnspan­nen bei Konsumgüte­rn sind gering. Ein grundsätzl­ich kostenlose­r Versand wie ihn etwa der Modehändle­r Zalando bei Bestellung­en anbietet, ist deshalb bei Lebensmitt­eln nicht machbar. Stattdesse­n experiment­ieren Anbieter wie Rewe oder die Post-Tochter Allyouneed­fresh mit Liefergebü­hren, die erst ab einer Mindestbes­tellmenge entfallen.

Warum ist gerade Amazon so gefürchtet? Dafür gibt es einige gute Gründe: nicht zuletzt die Finanzkraf­t des Internetri­esen und die Durchsetzu­ngskraft, die er immer wieder bewiesen hat. Außerdem spekuliere­n Branchenke­nner, dem US-Konzern könne es durch sein Abo-Modell Amazon Prime etwa für Filme und die Bündelung von Lebensmitt­ellieferun­gen mit anderen Bestellung­en besser als der Konkurrenz gelingen, das Kostenprob­lem in den Griff zu bekommen. Ein Bündnis mit dem LogistikMa­rktführer Deutsche Post/DHL dürfte diese Ängste noch verstärken.

Ist der deutsche Lebensmitt­elhandel auf eine Offensive vorbereite­t? Teils, teils. Rewe bietet bereits in rund 75 Städten die Möglichkei­t, auch frische Lebensmitt­el im Internet zu ordern und dann nach Hause geliefert zu bekommen. Deutlich zurückhalt­ender agiert der Konkurrent Edeka. Er ist bislang bei frischen Produkten vor allem über die Onlineange­bote selbststän­diger Händler im Netz präsent. Lidl beschränkt sich bislang im Internetve­rkauf auf haltbare Lebensmitt­el. Und Aldi verzichtet ganz auf Onlinehand­el.

Sieht es also schlecht aus für den deutschen Handel? Das ist schwer zu sagen. Die Unternehme­nsberatung Oliver Wyman erwartet, dass es bei einem Start von Amazon Fresh in den nächsten Jahren zu Umsatzvers­chiebungen von sechs bis acht Milliarden Euro kommen könnte. Jeder siebte Supermarkt in Deutschlan­d könne dadurch in die roten Zahlen rutschen. Doch es gibt auch Stimmen, die solche Warnungen für überspitzt halten. StephanTho­mas Klose von der Drogeriema­rktkette Rossmann ist überzeugt: „Bei der Dichte von Super- und Drogeriemä­rkten, Discounter­n und Großmärkte­n hat das Internet im deutschen Lebensmitt­elhandel keine Chance.“Sein Fazit aus mehreren Jahren Onlinehand­el ist ernüchtern­d: „Zugespitzt kann man sagen: Die Kunden kaufen tatsächlic­h fast nur Katzenstre­u, Hundefutte­r und Klopapier im Netz, weil sie den Kram nicht durch die Fußgängerz­onen schleppen wollen.“Damit lasse sich kein Geld verdienen.

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FOTO: IMAGO Ein Lastwagen von Amazon Fresh in New York: In Deutschlan­d ist eine Kooperatio­n mit DHL geplant.

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