Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Amazon als Alptraum der Lebensmittelhändler
Onlineriese will seinen Lieferdienst für frisches Essen auch in Deutschland starten
(dpa) - Die Nachricht dürfte bei vielen Lebensmittelhändlern in Deutschland am Mittwoch große Unruhe ausgelöst haben: Wie das „Handelsblatt“berichtete, will sich der Internetriese Amazon mit der Deutsche-Post-Tochter DHL verbünden, um künftig bundesweit auch frische Lebensmittel zu liefern. Losgehen soll es zunächst im April in Berlin. Wie auch die „Süddeutsche Zeitung“meldete, baut Amazon für den neuen Lieferdienst derzeit eine Logistikhalle in München mit Kühlräumen und insgesamt 15 000 Quadratmetern Fläche auf zwei Etagen. Die ersten frischen Lebensmittel könnten von dort aus demnach im Sommer oder Spätsommer versandt werden. Kommt es zu einem Marktstart von Amazon bei frischen Lebensmitteln, könnte das den Handel in Deutschland grundlegend verändern, glauben Experten. Fragen und Antworten zum Thema.
Welche Rolle spielt der Onlinehandel bisher bei Lebensmitteln? Die Bedeutung ist sehr gering. Während im Modehandel oder bei Elektroartikeln längst ein Großteil aller Verkäufe im Internet abgewickelt wird, werden Lebensmittel noch immer vor allem im Laden eingekauft. Gerade einmal ein Prozent der Branchenumsätze werden bisher online erzielt.
Warum sollte sich etwas daran ändern? Wegen der Bequemlichkeit der Konsumenten etwa – die bereits die Buchhändler und Schuhverkäufer das Fürchten gelehrt hat. Man braucht keine schweren Tüten mehr nach Hause schleppen, sondern bekommt die Einkäufe bequem an die Haustür geliefert. Größere Auswahl wäre ein anderer Grund. Wer Spezialitäten haben will, die es im heimischen Supermarkt nicht gibt, findet diese schon heute in aller Regel leichter im Internet als im Geschäft in der Nachbarschaft.
Was bremst bisher den Erfolg der Onlinehändler? Nicht zuletzt das niedrige Preisniveau im deutschen Lebensmittelhandel. In vielen Sparten – ob Textil oder Elektronik – konnten die Internethändler anfangs die Verbraucher vor allem mit einem Argument überzeugen: dem Preis. Wer im Internet einkaufte, konnte ziemlich sicher sein, weniger zu zahlen als im Laden. Das dürfte im Lebensmittelhandel kaum funktionieren. Denn dank der Marktmacht der großen Discounter gehören die Lebensmittelpreise in Deutschland zu den niedrigsten in Europa.
Was sind weitere Hürden für den Internetverkauf von Lebensmitteln? Die hohen Lieferkosten. Die Gewinnspannen bei Konsumgütern sind gering. Ein grundsätzlich kostenloser Versand wie ihn etwa der Modehändler Zalando bei Bestellungen anbietet, ist deshalb bei Lebensmitteln nicht machbar. Stattdessen experimentieren Anbieter wie Rewe oder die Post-Tochter Allyouneedfresh mit Liefergebühren, die erst ab einer Mindestbestellmenge entfallen.
Warum ist gerade Amazon so gefürchtet? Dafür gibt es einige gute Gründe: nicht zuletzt die Finanzkraft des Internetriesen und die Durchsetzungskraft, die er immer wieder bewiesen hat. Außerdem spekulieren Branchenkenner, dem US-Konzern könne es durch sein Abo-Modell Amazon Prime etwa für Filme und die Bündelung von Lebensmittellieferungen mit anderen Bestellungen besser als der Konkurrenz gelingen, das Kostenproblem in den Griff zu bekommen. Ein Bündnis mit dem LogistikMarktführer Deutsche Post/DHL dürfte diese Ängste noch verstärken.
Ist der deutsche Lebensmittelhandel auf eine Offensive vorbereitet? Teils, teils. Rewe bietet bereits in rund 75 Städten die Möglichkeit, auch frische Lebensmittel im Internet zu ordern und dann nach Hause geliefert zu bekommen. Deutlich zurückhaltender agiert der Konkurrent Edeka. Er ist bislang bei frischen Produkten vor allem über die Onlineangebote selbstständiger Händler im Netz präsent. Lidl beschränkt sich bislang im Internetverkauf auf haltbare Lebensmittel. Und Aldi verzichtet ganz auf Onlinehandel.
Sieht es also schlecht aus für den deutschen Handel? Das ist schwer zu sagen. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman erwartet, dass es bei einem Start von Amazon Fresh in den nächsten Jahren zu Umsatzverschiebungen von sechs bis acht Milliarden Euro kommen könnte. Jeder siebte Supermarkt in Deutschland könne dadurch in die roten Zahlen rutschen. Doch es gibt auch Stimmen, die solche Warnungen für überspitzt halten. StephanThomas Klose von der Drogeriemarktkette Rossmann ist überzeugt: „Bei der Dichte von Super- und Drogeriemärkten, Discountern und Großmärkten hat das Internet im deutschen Lebensmittelhandel keine Chance.“Sein Fazit aus mehreren Jahren Onlinehandel ist ernüchternd: „Zugespitzt kann man sagen: Die Kunden kaufen tatsächlich fast nur Katzenstreu, Hundefutter und Klopapier im Netz, weil sie den Kram nicht durch die Fußgängerzonen schleppen wollen.“Damit lasse sich kein Geld verdienen.