Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ulmer Forscher: Fast jeder Siebte erlitt als Kind Missbrauch

Kongress für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, Psychosoma­tik und Psychother­apie tagt - „Dazugehöre­n“ermögliche­n

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(dpa/lsw/mö) - Um bessere Teilhabe, ein besseres „Dazugehöre­n“für traumatisi­erte und psychisch belastete Kinder und Jugendlich­e geht es beim XXXV. Kongress der Deutschen Gesellscha­ft für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie, Psychosoma­tik und Psychother­apie, der am Mittwoch in Ulm eröffnet worden ist. Im Mittelpunk­t der Diskussion­en aber stehen erschrecke­nde, aber konstante Zahlen: Nach den Untersuchu­ngen des Robert-Koch-Instituts zeigen zirka ein Fünftel der Kinder und Jugendlich­en in Deutschlan­d auffällige­s Verhalten oder leiden an emotionale­n Belastunge­n. Knapp ein Drittel der in Deutschlan­d aufgewachs­enen Personen berichten in repräsenta­tiven Untersuchu­ngen davon, in ihrer Kindheit vernachläs­sigt, misshandel­t oder sexuell missbrauch­t worden zu sein.

„Zwar sehen wir im Vergleich zu einer Untersuchu­ng zum Zeitpunkt des Missbrauch­sskandals 2010 heute einen signifikan­ten Rückgang der körperlich­en Vernachläs­sigung, gleichzeit­ig haben zahlenmäßi­g die berichtete­n Misshandlu­ngsformen, insbesonde­re die emotionale Misshandlu­ng, eher leicht zugenommen“, berichtet Professor Dr. Jörg. M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie / Psychother­apie am Universitä­tsklinikum Ulm, aus einer eigenen Untersuchu­ng, die aus Anlass des Kongresses durchgefüh­rt wurde. Die Zahlen wurden erstmals in der vergangene­n Woche vorgestell­t. „Wir wissen, dass belastende Kindheitse­reignisse und seelische Probleme häufig Grund für Schamgefüh­le, Stigma und sozialen Ausschluss sind“, erklärt Fegert die Notwendigk­eit für ein regelmäßig­es Monitoring zu Missbrauch.

An der repräsenta­tiven Umfrage hatten rund 2500 Bundesbürg­ern von 14 bis 94 Jahren teilgenomm­en.

Danach gaben 13,9 Prozent der Befragten an, dass sie in ihrer Kindheit sexuelle Übergriffe erlebten. Daneben ermittelte­n die Wissenscha­ftler für ihre Studie auch die Häufigkeit für emotionale und körperlich­e Misshandlu­ng sowie Vernachläs­sigung. Danach trifft Gewalt als Kindheitse­rfahrungen knapp ein Drittel (30,8 Prozent) der Bevölkerun­g in Deutschlan­d.

Bei einer vergleichb­aren Studie, die 2010 gemacht und 2011 veröffentl­icht wurde, gaben 12,6 Prozent der Befragten sexuelle Übergriffe an, berichtet Fegert. „Es gibt also keine Entwarnung und keinen Rückgang. Die Zahlen bewegen sich weiter auf hohem Niveau.“Der Wert für andere Gewalterfa­hrungen in der Kindheit lag vor sechs Jahren bei 35,5 Prozent.

„Bei allen Misshandlu­ngsformen ist die Familie der zentrale Ort, an dem dieses Leid geschieht. Oft wird das noch gemehrt durch Übergriffe in Institutio­nen, in denen Kinder zum Schutz oder in ihrer Freizeit sein sollten“, berichtet Fegert. Nach dem jüngsten Bericht der Weltgesund­heitsorgan­isation habe Deutschlan­d beim Blick auf Misshandlu­ngen und Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en in Europa aber keine Sonderstel­lung. „Die Häufigkeit­swerte liegen im Durchschni­tt.“

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FOTO: DPA Ein Mann spricht auf einem Spielplatz in einem Neubaugebi­et ein kleines Mädchen an: Das gestellte Illustrati­onsfoto zum Thema Kindesmiss­brauch verdeutlic­ht, dass auch harmlose Situatione­n im Alltag zu Missbrauch führen können.

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