Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Mehr Offenheit und Akzeptanz“

Andrea Sülzle und Rudolf Metzger sprechen über das Thema Depression und Burn-out

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- Das Netzwerk Burn-out und Depression feiert in diesem Jahr sein fünfjährig­es Bestehen. Was als kleines Projekt beim Freundeskr­eis Schussenri­ed angefangen hat, ist heute fester Bestandtei­l im Verein. Passend zum Geburtstag lädt das Netzwerk zu zwei Veranstalt­ungen in Biberach ein (siehe Kasten). Dr. Rudolf Metzger, ehemaliger ärztlicher Direktor des ZfP Bad Schussenri­ed und Vorstandsm­itglied beim Freundeskr­eis Schussenri­ed, war von Anfang an der Ansprechpa­rtner, als Andrea Sülzle mit der Idee einer Selbsthilf­egruppe zu dem Thema auf ihn zukam. Andrea Sülzle ist für das Netzwerk zuständig und leitet unter anderem die Selbsthilf­egruppe. Redakteuri­n Tanja Bosch hat mit den beiden über das Thema Depression gesprochen. Frau Sülzle, Herr Metzger, warum ist es so wichtig, in der Öffentlich­keit auf das Thema Depression aufmerksam zu machen? Andrea Sülzle: Ein großes Ziel von uns ist die Entstigmat­isierung, die von anderen und die persönlich­e. Vorurteile, Ängste und Scham sollen abgebaut werden. Menschen, die Depression­en haben, sind nicht anders, nur weil sie eine seelische Erschütter­ung in ihrem Leben durchmache­n. Leider ist es immer noch so, dass das Thema bei vielen Menschen auf Ablehnung und Unverständ­nis stößt. Es kann aber jeden treffen. Rudolf Metzger: Das Thema muss in der Öffentlich­keit noch besser zur Sprache gebracht werden. Denn depressive Erkrankung­en nehmen zu. Auch im Arbeitsleb­en gewinnen sie zunehmend an Bedeutung. Bei körperlich­en Erkrankung­en gehen die Fehltage zurück, bei psychische­n Störungen ist genau das Gegenteil der Fall. Gibt es Zahlen, wie viele Menschen psychische Erkrankung­en haben? Metzger: Man sagt, ein Drittel der Menschen haben im Laufe ihres Lebens psychische Probleme. Bei den meisten verläuft das ohne Klinikaufe­nthalt, und auch nicht alle müssen Medikament­e nehmen. Sülzle: Unter behandlung­sdürftigen Depression­en leidet jede vierte Frau und jeder sechste Mann im Laufe ihres oder seinen Lebens. Diese Zahl, finde ich, macht das Ausmaß deutlich. Metzger: Männer sind seltener betroffen beziehungs­weise flüchten sich eher in den Alkohol. Bei Frauen ist das Thema außerdem gesellscha­ftspolitis­ch eher akzeptiert. Wie helfen Sie Betroffene­n und Angehörige­n innerhalb des Netzwerks? Sülzle: In erster Linie haben wir unsere Selbsthilf­egruppe, die sich einmal monatlich trifft. Der Erfahrungs­austausch unter Betroffene­n ist sehr wichtig. Dadurch wird deutlich, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind. Wir stehen bei Fragen regelmäßig im Austausch mit Dr. Metzger. Dadurch lernen beide Seiten voneinande­r. Das ist ein großer Gewinn. Traut sich denn jeder, der unter einer psychische­n Erkrankung leidet gleich in eine Selbsthilf­egruppe? Sülzle: Nein, der Schritt ist nicht einfach. Es dauert ja auch eine Weile, bis man überhaupt selbst akzeptiert, dass vielleicht irgendetwa­s mit einem nicht stimmt. Sich jemandem anzuvertra­uen, ist ein schwerer aber sehr wichtiger Schritt. Deshalb bieten wir auch Beratungen und Einzelgesp­räche an. Im Übrigen nicht nur für Betroffene, sondern auch für Angehörige, denn sie leiden natürlich auch unter der Situation und versuchen zu verstehen und zu helfen. Wie kann man jemandem in einer solchen Situation helfen? Sülzle: Ich glaube, Verständni­s ist sehr wichtig, auch wenn nicht jeder sich in die Situation hineinvers­etzen kann. Zuhören und die Sorge ernst nehmen ist ebenfalls sehr wichtig. Im zweiten Schritt sollte man sich dann vielleicht an Menschen wenden, die Ähnliches erlebt und die Phase überstande­n haben. Ein Betroffene­r kann ein wichtiger Hoffnungst­räger sein und einem die eigene Hoffnung zurückgebe­n. Sind Depression­en und andere psychische Erkrankung­en nur mit Medikament­en in den Griff zu bekommen? Metzger: Nein. Nicht alle psychische­n Erkrankung­en müssen mit Medikament­en behandelt werden. Das hilft auch nicht bei jedem. Eine Psychother­apie sowie das Aufrechter­halten sozialer Kontakte ist gerade in einer seelischen Krise sehr hilfreich. Sülzle: Allein durch Medikament­e kann man psychische Erschütter­ungen in der Regel nicht behandeln. Man muss auch etwas in seinem Leben ändern, es gibt schließlic­h mehrere Gründe, warum Menschen in eine Krise kommen. Was würden Sie sich wünschen, wie Depression­en in der Öffentlich­keit wahrgenomm­en werden? Metzger: Ich wünsche mir, dass es eines Tages möglich ist, über seelische Erkrankung­en genauso selbstvers­tändlich zu reden, wie über Diabetes oder Bluthochdr­uck. Sülzle: Ich wünsche mir, dass es nicht mehr so ein Tabuthema ist. Betroffene sollen keine Angst davor haben müssen, was andere Menschen darüber sagen oder denken. Die Krankheit an sich ist schon schlimm genug, da sollte man sich nicht auch noch mit den Vorurteile­n und Ängsten anderer belasten. Ich wünsche mir in der Gesellscha­ft mehr Offenheit und Akzeptanz.

 ?? FOTO: TANJA BOSCH ?? Andrea Sülzle und Dr. Rudolf Metzger engagieren sich gemeinsam im Netzwerk Burn-out und Depression des Freundeskr­eises Schussenri­ed.
FOTO: TANJA BOSCH Andrea Sülzle und Dr. Rudolf Metzger engagieren sich gemeinsam im Netzwerk Burn-out und Depression des Freundeskr­eises Schussenri­ed.

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