Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Schnell aggressiv geworden“

Im Steinewerf­er-Prozess sagen Zeugen zur Person des Angeklagte­n aus

- Von Petra Rapp-Neumann

– Die Persönlich­keit des mutmaßlich­en Steinewerf­ers von Giengen hat am Donnerstag im Zentrum der Aufmerksam­keit des Schwurgeri­chts gestanden. Durch Zeugenauss­agen wurden Details des Gemütszust­ands des Angeklagte­n deutlich, der nach seiner Verhaftung gestanden hat, den Betonpflas­terstein auf die A7 geworfen zu haben, der die vierköpfig­e Familie Öztürk aus Laupheim um ein Haar in den Tod gerissen hätte.

Ist er ein zwar merkwürdig­er, aber harmloser Einzelgäng­er, ein Spinner, „neben der Kapp“? Oder, wie es ein Polizeibea­mter formuliert­e, ein robuster Naturbursc­he, der sich gern im Freien aufhält und rabiat wird, wenn man ihm zu nahe kommt? Ein in seiner Persönlich­keitsentwi­cklung steckengeb­liebenes, kindlich-naives Gemüt? Oder ein gefährlich­er Waffennarr, ein Grenzgänge­r, der hinter Schloss und Riegel gehört?

Fest steht nach der Beweisaufn­ahme, dass der Angeklagte nicht nur im Heidenheim­er Schwestern­wohnheim, in dem er eine Zeitlang lebte, unliebsam auffiel. Eine angehende Krankensch­wester fühlte sich gestalkt: „Er ging ständig an der Krankenpfl­egeschule vorbei und grinste durchs Fenster.“Als sie sich in ihr Auto flüchtete, versuchte er, die Scheiben einzuschla­gen. Aus Angst zog die junge Frau weg. „Alles Paranoia. Des kann gar net sein, du bischt gar net mein Typ“, tönte es von der Anklageban­k. Noch duldet die Kammer die Zwischenru­fe des 37-Jährigen. „Es ist, ich gebe es zu, eine unkonventi­onelle Verhandlun­gsführung“, so der Vorsitzend­e Richter Gerhard Ilg.

Ein wohlmeinen­der Altenpfleg­er, an dessen Hauskreis der Angeklagte zweimal teilnahm, schilderte ihn als großes Kind, als Angeber, der eine zweite Chance verdiene. Seine Äußerung „Ich will euch alle erschießen“sei nicht ernst zu nehmen. Allerdings bestätigte der Zeuge nicht, ihn in der Unfallnach­t gegen 1.30 Uhr im Wohnheim gesehen zu haben.

Andere Zeugen berichtete­n, der 37-Jährige habe ihnen aufgelauer­t. Sie fühlten sich bedroht: „Er ist schnell aggressiv geworden.“Bei einem heftigen Disput ging im November 2015 im Schwestern­wohnheim eine Glasscheib­e zu Bruch. Der Angeklagte suchte das Weite: „Ich habe mich gefühlt wie Soldaten in Afghanista­n“, sagte er gestern. Ein martialisc­hes Sonderkomm­ando sei angerückt. Er habe sich auf dem Gartengrun­dstück versteckt und sich mit Waffen „für den Notfall“ausgerüste­t. „Man hat auch schon mal hinter mir her geschossen“, erklärte er. Auf die Frage des Vorsitzend­en, wer, sagte er kurz angebunden: „Kein Kommentar.“Auf dem Grundstück lebte er in seinem „Mikro-Wohnmobil“mit Zelt, wie er sagte, weitgehend autark.

Zeugen bescheinig­ten ihm handwerkli­ches und technische­s Geschick. Gegenüber einem Zeugen prahlte er, er habe beim Waffenhers­teller Heckler & Koch gearbeitet.

Nach der Verhaftung des Heidenheim­ers wurden beim Steinbruch Mergelstet­ten in einem gut gesicherte­n Versteck nahe der Abbruchkan­te durch Zufall eine zur scharfen Waffe umgebaute Pistole, eine mit Patronenmu­nition bestückte Schrecksch­usswaffe und ein selbstgeba­uter Revolver mit selbstgego­ssenen Projektile­n entdeckt, die ihm zugeordnet werden konnten. Wie der Schusswaff­enexperte des Landeskrim­inalamts erläuterte, funktionsf­ähig und auf kurze Distanz treffsiche­r. Der Angeklagte nannte der Polizei weitere Waffenvers­tecke. Dort wurde trotz akribische­r Suche nichts gefunden.

Es bleiben Fragen. Zum Beispiel, ob er sich mit den selbstgeba­uten Waffen bei der Rockergang Black Jackets „einkaufen“wollte. Schwerer wiegt die Überlegung, ob die verhängnis­volle Tat hätte verhindert werden können. Ein Zeuge, der vor Jahren neben dem Angeklagte­n wohnte, berichtete, die Nachbarn hätten ihn mehrfach bei der Polizei angezeigt und Unterschri­ften gesammelt: „Man hat uns gesagt, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.“Seine Mutter, die manches aufklären könnte und unter deren gesetzlich­er Betreuung er steht, sagt vor Gericht nicht aus.

Die Verhandlun­g wird am 30. März fortgesetz­t. Nach Abschluss der Beweisaufn­ahme wird das psychiatri­sche Gutachten, das für das Urteil entscheide­nd sein dürfte, erwartet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany