Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Schnell aggressiv geworden“
Im Steinewerfer-Prozess sagen Zeugen zur Person des Angeklagten aus
– Die Persönlichkeit des mutmaßlichen Steinewerfers von Giengen hat am Donnerstag im Zentrum der Aufmerksamkeit des Schwurgerichts gestanden. Durch Zeugenaussagen wurden Details des Gemütszustands des Angeklagten deutlich, der nach seiner Verhaftung gestanden hat, den Betonpflasterstein auf die A7 geworfen zu haben, der die vierköpfige Familie Öztürk aus Laupheim um ein Haar in den Tod gerissen hätte.
Ist er ein zwar merkwürdiger, aber harmloser Einzelgänger, ein Spinner, „neben der Kapp“? Oder, wie es ein Polizeibeamter formulierte, ein robuster Naturbursche, der sich gern im Freien aufhält und rabiat wird, wenn man ihm zu nahe kommt? Ein in seiner Persönlichkeitsentwicklung steckengebliebenes, kindlich-naives Gemüt? Oder ein gefährlicher Waffennarr, ein Grenzgänger, der hinter Schloss und Riegel gehört?
Fest steht nach der Beweisaufnahme, dass der Angeklagte nicht nur im Heidenheimer Schwesternwohnheim, in dem er eine Zeitlang lebte, unliebsam auffiel. Eine angehende Krankenschwester fühlte sich gestalkt: „Er ging ständig an der Krankenpflegeschule vorbei und grinste durchs Fenster.“Als sie sich in ihr Auto flüchtete, versuchte er, die Scheiben einzuschlagen. Aus Angst zog die junge Frau weg. „Alles Paranoia. Des kann gar net sein, du bischt gar net mein Typ“, tönte es von der Anklagebank. Noch duldet die Kammer die Zwischenrufe des 37-Jährigen. „Es ist, ich gebe es zu, eine unkonventionelle Verhandlungsführung“, so der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg.
Ein wohlmeinender Altenpfleger, an dessen Hauskreis der Angeklagte zweimal teilnahm, schilderte ihn als großes Kind, als Angeber, der eine zweite Chance verdiene. Seine Äußerung „Ich will euch alle erschießen“sei nicht ernst zu nehmen. Allerdings bestätigte der Zeuge nicht, ihn in der Unfallnacht gegen 1.30 Uhr im Wohnheim gesehen zu haben.
Andere Zeugen berichteten, der 37-Jährige habe ihnen aufgelauert. Sie fühlten sich bedroht: „Er ist schnell aggressiv geworden.“Bei einem heftigen Disput ging im November 2015 im Schwesternwohnheim eine Glasscheibe zu Bruch. Der Angeklagte suchte das Weite: „Ich habe mich gefühlt wie Soldaten in Afghanistan“, sagte er gestern. Ein martialisches Sonderkommando sei angerückt. Er habe sich auf dem Gartengrundstück versteckt und sich mit Waffen „für den Notfall“ausgerüstet. „Man hat auch schon mal hinter mir her geschossen“, erklärte er. Auf die Frage des Vorsitzenden, wer, sagte er kurz angebunden: „Kein Kommentar.“Auf dem Grundstück lebte er in seinem „Mikro-Wohnmobil“mit Zelt, wie er sagte, weitgehend autark.
Zeugen bescheinigten ihm handwerkliches und technisches Geschick. Gegenüber einem Zeugen prahlte er, er habe beim Waffenhersteller Heckler & Koch gearbeitet.
Nach der Verhaftung des Heidenheimers wurden beim Steinbruch Mergelstetten in einem gut gesicherten Versteck nahe der Abbruchkante durch Zufall eine zur scharfen Waffe umgebaute Pistole, eine mit Patronenmunition bestückte Schreckschusswaffe und ein selbstgebauter Revolver mit selbstgegossenen Projektilen entdeckt, die ihm zugeordnet werden konnten. Wie der Schusswaffenexperte des Landeskriminalamts erläuterte, funktionsfähig und auf kurze Distanz treffsicher. Der Angeklagte nannte der Polizei weitere Waffenverstecke. Dort wurde trotz akribischer Suche nichts gefunden.
Es bleiben Fragen. Zum Beispiel, ob er sich mit den selbstgebauten Waffen bei der Rockergang Black Jackets „einkaufen“wollte. Schwerer wiegt die Überlegung, ob die verhängnisvolle Tat hätte verhindert werden können. Ein Zeuge, der vor Jahren neben dem Angeklagten wohnte, berichtete, die Nachbarn hätten ihn mehrfach bei der Polizei angezeigt und Unterschriften gesammelt: „Man hat uns gesagt, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.“Seine Mutter, die manches aufklären könnte und unter deren gesetzlicher Betreuung er steht, sagt vor Gericht nicht aus.
Die Verhandlung wird am 30. März fortgesetzt. Nach Abschluss der Beweisaufnahme wird das psychiatrische Gutachten, das für das Urteil entscheidend sein dürfte, erwartet.