Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wie Zeugen die Brandnacht in Erbach erlebten
Im Prozess um ein Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft in Erbach sagen Bewohner und Nachbarn aus
- Ist er Brandstifter, Menschenretter oder beides? Im Prozess um den Brand in einem Flüchtlingsheim in Erbach sitzt ein 24-Jähriger seit Ende März auf der Anklagebank. Auch am sechsten Verhandlungstag und nach den Aussagen von Dutzenden Zeugen ergibt sich ein widersprüchliches Bild.
Wie berichtet, erregte die mutmaßliche Brandstiftung in der Nacht zum 17. September vorigen Jahres in der Unterkunft für Asylbewerber überregionale Aufmerksamkeit. 28 in dem Haus lebende Menschen unterschiedlicher Nationalität konnten sich buchstäblich in letzter Minute ins Freie retten, nachdem sie durch „Feuer!“-Rufe und heftiges Klopfen an die Türen aus dem Schlaf gerissen worden waren. Wer sie alarmiert hatte, stand schnell fest: Es war der Angeklagte selbst, dem die Staatsanwaltschaft nun vorwirft, selbst im Keller und Treppengang zwei Feuer gelegt zu haben, um das Haus in Schutt und Asche zu legen.
Der Angeklagte bestreitet den Vorwurf und ließ bereits am zweiten Verhandlungstag über seine Verteidigerin verlauten, dass er damals stark angetrunken auf dem nächtlichen Heimweg an dem benachbarten Asylheim vorbeigekommen sei, Rauchschwaden wahrgenommen und Rauchmelder gehört habe. Er sei durch die offene Haustür eingedrungen und habe orangefarbene Flammen entdeckt. Danach habe er sich durch den Qualm durch die Stockwerke gekämpft und die schlafenden Bewohner geweckt. Die Alarmierung entspricht den Tatsachen, aber dass er von außen das Feuer oder den Qualm gesehen habe, wurde im Verlauf der Beweisaufnahme von zahlreichen Zeugen, darunter Feuerwehrleute und Hausbewohner, angezweifelt. Am Mittwoch sagten zwei afrikanische Asylbewerber im Zeugenstand, sie hätten von außen keinen Qualm oder Feuerschein sehen können, nachdem sie ins Freie gerannt seien.
So schwierig die Beweisaufnahme in diesem Prozess ist, so schwer ist der Angeklagte selbst einzuschätzen. Mit 1,8 Promille im Blut brach er nach seiner Rettungsaktion im Freien mit Sanitätern und Feuerwehrleuten am Tatort einen Streit vom Zaun. Offensichtlich aus Frust darüber, dass man seine rasche Alarmierung, die unter Umständen Menschenleben rettete, nicht gebührend gewürdigt hatte. In einer ersten Vernehmung, noch als Zeuge, bekannte er gegenüber der Polizei, dass er rechtsradikal sei, schränkte dann aber ein, dass „mir Menschen wichtiger sind als die persönliche Gesinnung“. Als der gleiche Mann unter Tatverdacht geriet, eine Woche später in einer Erbacher Scheune einen Brand gelegt zu haben, bei dem ein Sachschaden in Höhe von 31 000 Euro entstand, erinnerten sich die Ermittler an dieses rechtsradikale Bekenntnis. Eine leitende Kripobeamtin berichtete als Zeugin vor Gericht, dass Recherchen auf Facebook Hinweise auf diese Gesinnung des jetzt Angeklagten gegeben hätten. Im Profil des 24-Jährigen tauchten Links zur NPD und zu rechtsextremen Bands auf. Gleichzeitig offenbarte der Angeklagte auch Geschmack für Grunge-RockBands wie Nirvana und Heavy-Metal-Gruppen, die alles andere als rechtsradikal sind. Zeugin sah vier Männer am Tatort Eine neue Variante der Täterschaft brachte eine Zeugin ins Spiel, die in der Nachbarschaft der Asylunterkunft wohnt. Sie sei in der Brandnacht durch „Rütteln in der Straße“geweckt worden. Als sie aus dem Fenster schaute, habe sie vier junge Männer gesehen und eine Stimme mit dem Aufruf gehört: „Los, schnell weg hier!“Ein weiterer Zeuge aus der Nachbarschaft, der den Notruf abgesetzt hatte, sagte vor der Strafkammer aus, er habe von dem Angeklagten vor Ort rechtsextreme Sprüche gehört, aber auch Sätze wie „Ich habe im Vorbeilaufen den Rauchmelder gehört und bin ins Haus gerannt. Ich wollte doch nur helfen.“
Auch andere Aussagen werfen Fragen auf. So sagten zwei Bewohner aus, das Licht im Keller der Asylunterkunft sei defekt gewesen. Die Verteidigerin interpretiert das so, dass ihr Mandant als Fremder gar nicht in der Lage gewesen wäre, dort im Dunkeln ein Feuer zu legen. Zwei andere Hausbewohner bezeugten dagegen, dass das Licht intakt gewesen sei.