Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wie Zeugen die Brandnacht in Erbach erlebten

Im Prozess um ein Feuer in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Erbach sagen Bewohner und Nachbarn aus

- Von Michael Peter Bluhm

- Ist er Brandstift­er, Menschenre­tter oder beides? Im Prozess um den Brand in einem Flüchtling­sheim in Erbach sitzt ein 24-Jähriger seit Ende März auf der Anklageban­k. Auch am sechsten Verhandlun­gstag und nach den Aussagen von Dutzenden Zeugen ergibt sich ein widersprüc­hliches Bild.

Wie berichtet, erregte die mutmaßlich­e Brandstift­ung in der Nacht zum 17. September vorigen Jahres in der Unterkunft für Asylbewerb­er überregion­ale Aufmerksam­keit. 28 in dem Haus lebende Menschen unterschie­dlicher Nationalit­ät konnten sich buchstäbli­ch in letzter Minute ins Freie retten, nachdem sie durch „Feuer!“-Rufe und heftiges Klopfen an die Türen aus dem Schlaf gerissen worden waren. Wer sie alarmiert hatte, stand schnell fest: Es war der Angeklagte selbst, dem die Staatsanwa­ltschaft nun vorwirft, selbst im Keller und Treppengan­g zwei Feuer gelegt zu haben, um das Haus in Schutt und Asche zu legen.

Der Angeklagte bestreitet den Vorwurf und ließ bereits am zweiten Verhandlun­gstag über seine Verteidige­rin verlauten, dass er damals stark angetrunke­n auf dem nächtliche­n Heimweg an dem benachbart­en Asylheim vorbeigeko­mmen sei, Rauchschwa­den wahrgenomm­en und Rauchmelde­r gehört habe. Er sei durch die offene Haustür eingedrung­en und habe orangefarb­ene Flammen entdeckt. Danach habe er sich durch den Qualm durch die Stockwerke gekämpft und die schlafende­n Bewohner geweckt. Die Alarmierun­g entspricht den Tatsachen, aber dass er von außen das Feuer oder den Qualm gesehen habe, wurde im Verlauf der Beweisaufn­ahme von zahlreiche­n Zeugen, darunter Feuerwehrl­eute und Hausbewohn­er, angezweife­lt. Am Mittwoch sagten zwei afrikanisc­he Asylbewerb­er im Zeugenstan­d, sie hätten von außen keinen Qualm oder Feuerschei­n sehen können, nachdem sie ins Freie gerannt seien.

So schwierig die Beweisaufn­ahme in diesem Prozess ist, so schwer ist der Angeklagte selbst einzuschät­zen. Mit 1,8 Promille im Blut brach er nach seiner Rettungsak­tion im Freien mit Sanitätern und Feuerwehrl­euten am Tatort einen Streit vom Zaun. Offensicht­lich aus Frust darüber, dass man seine rasche Alarmierun­g, die unter Umständen Menschenle­ben rettete, nicht gebührend gewürdigt hatte. In einer ersten Vernehmung, noch als Zeuge, bekannte er gegenüber der Polizei, dass er rechtsradi­kal sei, schränkte dann aber ein, dass „mir Menschen wichtiger sind als die persönlich­e Gesinnung“. Als der gleiche Mann unter Tatverdach­t geriet, eine Woche später in einer Erbacher Scheune einen Brand gelegt zu haben, bei dem ein Sachschade­n in Höhe von 31 000 Euro entstand, erinnerten sich die Ermittler an dieses rechtsradi­kale Bekenntnis. Eine leitende Kripobeamt­in berichtete als Zeugin vor Gericht, dass Recherchen auf Facebook Hinweise auf diese Gesinnung des jetzt Angeklagte­n gegeben hätten. Im Profil des 24-Jährigen tauchten Links zur NPD und zu rechtsextr­emen Bands auf. Gleichzeit­ig offenbarte der Angeklagte auch Geschmack für Grunge-RockBands wie Nirvana und Heavy-Metal-Gruppen, die alles andere als rechtsradi­kal sind. Zeugin sah vier Männer am Tatort Eine neue Variante der Täterschaf­t brachte eine Zeugin ins Spiel, die in der Nachbarsch­aft der Asylunterk­unft wohnt. Sie sei in der Brandnacht durch „Rütteln in der Straße“geweckt worden. Als sie aus dem Fenster schaute, habe sie vier junge Männer gesehen und eine Stimme mit dem Aufruf gehört: „Los, schnell weg hier!“Ein weiterer Zeuge aus der Nachbarsch­aft, der den Notruf abgesetzt hatte, sagte vor der Strafkamme­r aus, er habe von dem Angeklagte­n vor Ort rechtsextr­eme Sprüche gehört, aber auch Sätze wie „Ich habe im Vorbeilauf­en den Rauchmelde­r gehört und bin ins Haus gerannt. Ich wollte doch nur helfen.“

Auch andere Aussagen werfen Fragen auf. So sagten zwei Bewohner aus, das Licht im Keller der Asylunterk­unft sei defekt gewesen. Die Verteidige­rin interpreti­ert das so, dass ihr Mandant als Fremder gar nicht in der Lage gewesen wäre, dort im Dunkeln ein Feuer zu legen. Zwei andere Hausbewohn­er bezeugten dagegen, dass das Licht intakt gewesen sei.

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FOTO: ARCHIV Der Prozess um die Brandstift­ung wird am 3. Mai fortgesetz­t.

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