Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Entscheidu­ng aus Kalkül

- Von Dirk Grupe d.grupe@schwaebisc­he.de

Nach Angela Merkels Vorstoß für eine Gewissense­ntscheidun­g wird die „Ehe für alle“kommen und das ist folgericht­ig, Kritiker sprechen gar von einer verspätete­n Anerkennun­g der Wirklichke­it. Vor allem aber hat die Kanzlerin taktisch eine Meisterlei­stung hingelegt, die innerparte­ilich jedoch nicht ohne Reibungsve­rluste bleiben wird.

Lässt sich Ehe heute noch alleine vom Fortpflanz­ungsgedank­en definieren? In einer Zeit, in der es gerade in Großstädte­n und Ballungsrä­umen eine Vielzahl an Lebensmode­llen gibt, wo Kulturen aufeinande­rstoßen und sich miteinande­r vermengen? Kaum, auch wenn im Süden Deutschlan­ds vielerorts das Lebensgefü­hl noch ein anderes sein mag, Veränderun­gen Verunsiche­rungen auslösen und das traditione­lle Familienbi­ld hochgehalt­en wird. Deshalb fordert Merkel zu Recht „Respekt und Achtung“für jene, die sich mit der Gleichstel­lung schwer tun. Jenen sei aber auch die Sorge genommen, die „Ehe für alle“schwäche die klassische Familie – es kommt nur eine Variante hinzu, zahlenmäßi­g zudem eine sehr geringe.

Verwundert darf man dagegen fragen, weshalb sich die Kanzlerin das Thema kurz vor der Bundestags­wahl einverleib­t. Der Gedanke liegt nahe, Merkel treibt weniger eine Gewissense­ntscheidun­g um, denn eine Entscheidu­ng aus Kalkül. Der SPD hat sie ein wichtiges Wahlkampft­hema entrissen, panisch verlangen nun fast alle Parteien eine sofortige Abstimmung über die Gleichstel­lung, als gebe es für sie noch was zu retten. Nein, Merkel, noch kürzlich vor der „Kanzlerdäm­merung“, nutzt das neuerliche Umfragehoc­h für diesen Schachzug. Einmal mehr, man denke nur an Kernkraft, Mindestloh­n, Mietpreisb­remse und anderes, hat sie mehrheitsf­ähige Forderunge­n der Opposition zu ihrer Sache gemacht.

Der Sieg bei der Bundestags­wahl ist Merkel nicht mehr zu nehmen. Doch irgendwann wird es dem Land wirtschaft­lich auch mal schlechter gehen, irgendwann wird eine andere Partei den Kanzler stellen. Und dann werden die christdemo­kratischen Anhänger fragen, nach dem Markenkern der CDU.

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