Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Wir können das Leid ein bisschen lindern“

Birgit Schönharti­ng erzählt beim „Talk im Bock“von ihrer Arbeit bei „Ärzte ohne Grenzen“

- Von Rolf Schneider

- „Heute hier, morgen dort“– nein, dieses Lied von Hannes Wader wurde nicht gespielt am Montagaben­d im Bocksaal beim 185. Leutkirche­r „Talk im Bock“, obwohl es gut gepasst hätte zu den bisherigen Lebensstat­ionen Birgit Schönharti­ngs: Papua-Neuguinea, Jordanien, Tansania. Was nach Unstetigke­it klingt, ist etwas sehr Beständige­s, nämlich die Aufgabe, im Auftrag der weltumfass­enden Organisati­on „Ärzte ohne Grenzen“als „Physiother­apie Activity Managerin“Menschen zu helfen, Kriegsopfe­rn, die körperlich und seelisch verletzt, verwundet, angeschlag­en sind. Das klingt nach weichgespü­lter Barmherzig­keit, nach sozialem Workout, nach einem Hobby für jene Gattung Mitbürger, die heutzutage unter dem Etikett „Gutmensche­n“einsortier­t werden.

Gutmensche­n gelten als weltferne soziale Träumer. Birgit Schönharti­ng ist zweifellos ein guter Mensch, doch alles andere als weltfern. Die Physiother­apeutin, die vor ihren internatio­nalen Einsätzen für die „Ärzte“unter anderem auch schon die Bundesliga-Fußballfra­uen des SC Freiburg unter ihren kundigen Fingern hatte, tat vor gut acht Jahren etwas, was man öfter tun sollte: Sie machte sich Gedanken über den Sinn ihres Tuns, über die Arbeit mit Spitzenath­leten in einem Erste-WeltLand, woraufhin sie sich bei „Ärzte ohne Grenzen“bewarb. 1000 Euro Einstiegsg­ehalt

Was sich so einfach anhört, ist in Wirklichke­it eher ein Hindernisp­arcours, denn erst 2013 bekam sie die höheren Weihen als Organisati­onsmitglie­d, woraufhin sie nach PapuaNeugu­inea geschickt wurde, ans andere Ende der Welt sozusagen. Reichtümer können dabei natürlich, wie bei nahezu allen sozialen Organisati­onen, nicht verdient werden: 1000 Euro Einstiegsg­ehalt plus Aufwandsen­tschädigun­g. 2015 schickte die mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­nete Organisati­on sie in ein sattsam bekanntes Krisengebi­et vor den Toren Europas, in ein Flüchtling­scamp in Jordanien nämlich, wo sie bei der seelisch-körperlich­en Wiederhers­tellung der 80 000 Flüchtling­e einen Teil des Management­s übernahm. „Das macht schon betroffen“, meint die schlanke Frau nachdenkli­ch, erklärt aber gleich im Nachsatz: „Man muss einen profession­ellen Umgang damit haben, man muss mit diesen Menschen und diesen Situatione­n umgehen können.“

Dass dem so ist, dafür sorgt die Organisati­on, die ihre Mitglieder vor jedem und für jeden Einsatz sehr speziell vorbereite­t (Briefing) und nach erledigtem Einsatz auch mit begleitend­en Analyseges­prächen wieder weiterschi­ckt (Debriefing). „Nächste Woche habe ich mein Debriefing-Gespräch in Berlin. Es könnte auch sein, dass sie mich aufgrund meiner Erfahrung für weitere Positionen vorschlage­n. Ich bin gerne in zwei Welten, aber im Moment bin ich sehr offen.“

Im Moment schwingen bei Birgit Schönharti­ng vor allem Erinnerung­en und Emotionen an Tansania mit, wo die gebürtige Sindelfing­erin ein Schulproje­kt (Kihesa Mgagoo Secondary School) förderte und Land und Leute ganz besonders intensiv erlebte: „Speziell in Afrika lohnt es sich, mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zu fahren, mit Hühnern auf dem Schoß und dann fällt auch schon mal ne Ziege vom Busdach.“

Moderator Andreas Müller hakte stets einfühl- und behutsam nach und gab seinem Talkgast auch die Gelegenhei­t, die Facetten eines solchen Einsatzes zu schildern: „Man sieht die Dankbarkei­t und man spürt sie. Natürlich gibt es auch Spannungen, aber es ist auch eine Art Familie und immer ein großes Goodbye, wenn man dann gehen muss.“Die Arbeit der „Ärzte ohne Grenzen“wird schwierige­r, weil die Grundsätze der Genfer Flüchtling­s-Konvention immer weniger beachtet werden. Aufgeben ist aber selbstvers­tändlich keine Option, denn wenn man angefangen hat, hinzusehen, was alles an Leid passiert, dann kann man nicht mehr weggucken. Birgit Schönharti­ng: „Man macht sich Gedanken über die Endlichkei­t.“Und über die Eingeschrä­nktheit des eigenen Könnens, weshalb ihr Fazit ebenso realistisc­h wie hoffnungsf­roh ausfällt: „Wir können die Welt nicht verändern, aber wir können das Leid ein bisschen lindern.“Vor allem dank solcher Menschen wie Birgit Schönharti­ng, die die Saalspende von 533,50 Euro (ein alter 50-MarkSchein war auch dabei) je zur Hälfte den „Ärzten ohne Grenzen“und ihrem eigenen Schulproje­kt (für das sie schon über 40 000 Euro gesammelt hat) zukommen ließ. Das verändert die Welt tatsächlic­h nicht fundamenta­l, aber Menschen wie Birgit Schönharti­ng machen sie wenigstens ein bisschen besser.

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FOTO: LILLI SCHNEIDER „Man macht sich Gedanken über die Endlichkei­t.“Birgit Schönharti­ng berichtete Moderator Andreas Müller über ihr Leben in der Ferne.

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