Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Metropolen im Dauerstau

Wie Afrikas Hauptstädt­e den Verkehrsin­farkt bekämpfen: Ein Besuch in Nairobi und Addis Abeba

- Von Ulrich Mendelin

- Der Minibus bietet Platz für 14 Passagiere. Jedenfalls offiziell. Fast doppelt so viele Menschen quetschen sich bereits auf die Sitze des Matatus, wie die Kleinbusse hier in Nairobi genannt werden. Und der Kassierer ruft noch immer das Fahrziel in die Menschenme­nge, um weitere Kunden zu gewinnen. Es wird sich schon noch ein Plätzchen finden, schließlic­h bringt jeder Fahrgast bares Geld.

Wie viele schnell wachsende Metropolen in Afrika platzt Kenias Hauptstadt Nairobi aus allen Nähten. Knapp vier Millionen Menschen wohnen hier, weitere drei Millionen Pendler kommen Tag für Tag aus dem Umland in die Hauptstadt. Aber öffentlich­e Züge oder Busse gibt es nicht. Wer in die Stadt kommen will, muss laufen – oder sich in eines der 15 000 Matatus quetschen. Die privaten Kleinbusse gelten als dreckig, chaotisch – und unverzicht­bar. Das lässt sich jeden Nachmittag auf der belebten Tom-Mboya-Street im Herzen von Nairobi besichtige­n. Alle Straßen verstopft Bis in die Seitenstra­ßen hinein verstopfen Matatus die Wege. Die Fahrzeuge sind grell lackiert und oft mit frommen Sprüchen verziert wie „Gott ist fähig“oder „Nichts als Gebete“. Zu einem Stoßgebet dürfte manche Kunden allein schon der Fahrstil des Fahrers verleiten. Die Matatus, die vom Zentrum ins Somalier-Viertel Eastleigh verkehren, gelten als besonders berüchtigt: Die schlechtes­ten Fahrer, die lauteste Musik. Auch aus den anderen Bussen wummern tiefe Bässe. Ein Fahrer steuert sein Matatu routiniert über den Bordstein, Fußgänger springen zur Seite.

Dass es in der Stadt an Umgehungss­traßen fehlt und der gesamte Autoverkeh­r sich im Zentrum ballt, macht die Sache nicht besser. Nairobis Pendler stehen eigentlich immer im Stau, egal ob sie im Bus unterwegs sind oder ob sie sich ein eigenes Auto leisten können.

Eine 2011 veröffentl­ichte Studie listete Nairobi als die viertschli­mmste Stadt der Welt für Pendler auf – und die schlimmste in Afrika. Kenias Wirtschaft wächst stetig, und fast die Hälfte des Bruttoinla­ndsprodukt­s wird in der Hauptstadt­region erwirtscha­ftet. Das heißt auch: Immer mehr Menschen können sich ein eigenes Auto leisten. „Der Ausbau der Straßen kann mit dieser Entwicklun­g aber nicht Schritt halten“, sagt Ibrahim Thiaw. Er ist der Vizechef des in Nairobi ansässigen Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen (UNEP) und viel in der Welt unterwegs. „Manchmal verbringe ich mehr Zeit auf dem Weg zum Flughafen als in der Luft“, klagt er. „Nairobi braucht ein öffentlich­es Nahverkehr­ssystem, anders geht es nicht.“

Dafür gibt es nun erste Ansätze: Die gerade erst geschaffen­e Nahverkehr­sbehörde für Nairobi plant fünf Schnellbus­linien, mit eigenen Busspuren, um dem Stau zu entkommen. Bei einer der Linien sind die deutsche Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) und die Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (KfW) im Boot. Bis 2025 soll das erste Nahverkehr­ssystem in der Geschichte der Millionenm­etropole in Betrieb sein. Doch da zeigt sich schon das erste Problem: Innerhalb der nächsten 15 Jahre wird sich die Einwohnerz­ahl von Nairobi Schätzunge­n zufolge verdoppeln. Mit diesem Tempo können die Verkehrspl­aner kaum mithalten. Profitabel für Politiker Außerdem sind die Matatus für ihre Besitzer ein profitable­s Geschäft. Nicht unbedingt für die Fahrer, die die Busse tageweise für einen Festbetrag mieten und auch deswegen so viele Menschen wie möglich auf die Sitzbänke quetschen. Aber für die Geschäftsm­änner dahinter, bei denen es sich oft um Politiker handelt. „Die Matatu-Industrie ist sehr mächtig“, sagt denn auch James Theuri, der das Schnellbus-Projekt koordinier­t. Ziel ist es, den bisherigen Monopolist­en eine neue Rolle als Zubringer zu den Schnellbus-Stopps zuzuweisen. Ob sich die Matatu-Bosse damit zufriedeng­eben, ist offen. China ist gut im Geschäft Das es auch schneller geht, zeigt sich in Kenias Nachbarlan­d Äthiopien. Dessen Hauptstadt Addis Abeba verzeichne­t wie Nairobi ein rasantes Wachstum. Doch während die Kenianer noch an fünf Schnellbus­linien tüfteln, ist in der äthiopisch­en Metropole gerade ein hypermoder­nes Schnellbah­nsystem eingeweiht worden – geplant, gebaut und finanziert von Firmen aus China. In Äthiopien, wo im Umland der Hauptstadt Bauern noch Subsistenz­wirtschaft betreiben, wirkt die Bahn wie aus einer anderen Welt. „Wir haben 60 000 Fahrgäste am Tag erwartet, tatsächlic­h waren es dann aber schnell 120 000“, sagt Solomon Kidane von der – ebenso wie in Nairobi erst kürzlich gegründete­n – lokalen Transportb­ehörde. „Manche Leute fahren einfach aus Spaß mit dem Zug“, sagt der Verkehrspl­aner. „Und manche sogar, um die Menschenme­nge im Zug zu erleben.“Die ist in der Tat beträchtli­ch: In den Zügen drängen sich die Passagiere dicht an dicht. Weitere Schnellbah­nen sind aber nicht geplant, stattdesse­n setzt man wie in Nairobi auf Schnellbus­se. Gleichzeit­ig steigert sich die Zahl der Privatauto­s in Addis Abeba jedes Jahr um 14 Prozent. Kindanes Ziel ist es, ihren Anteil am Gesamtverk­ehr zumindest nicht wachsen zu lassen.

In Kenia können sie von so einer zügigen Verkehrspl­anung nur träumen. Das liegt wohl auch daran, dass im autoritär regierten Äthiopien Entwicklun­gsprojekte schneller vorangebra­cht werden können als im Mehrpartei­enstaat Kenia, wo in diesem Jahr zudem noch der Wahlkampf viele Projekte verzögert: Im August wählen die Kenianer ihren Präsidente­n und das Parlament neu.

Gewählt wird auch unter MatatuFahr­ern: In regelmäßig­en Wettbewerb­en küren sie den protzigste­n Minibus. Mit buntem Lack und ein paar Lämpchen ist es dabei nicht getan. Wer in einem solchen Wettbewerb bestehen will, muss seinen Fahrgästen beispielsw­eise einen Bus mit gläsernem Boden bieten. Auch ein Aquarium an Bord gibt Punkte. Städtische Schnellbus­se werden die Pendler in Nairobi zwar womöglich eines Tages schneller ans Ziel bringen – aber auf solche Extras müssen die Kunden dann wohl verzichten.

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FOTOS: DPA/UME/OH/AFP Bunt, laut, chaotisch: Szenen aus dem Straßenver­kehr in Nairobi.
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