Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Aus dem toten Fluss ist ein Naturparad­ies geworden

Wissenscha­ftler sehen bei der Elbe aber dennoch in einigen Bereichen Luft nach oben

- Ulrike von Leszczynsk­i

BERLIN (dpa) - Giftbrühe, toter Fluss, chemische Reinigung: Die Beinamen der Elbe waren vor dem Mauerfall alles andere als schmeichel­haft. Wie sehr sich dieses Bild gewandelt hat, zeigt sich kürzlich: Eine mehr als 500 Kilometer lange Schwimmsta­ffel lenkt den Blick zur Elbe. In Etappen führte sie im Wissenscha­ftsjahr vom sächsische­n Bad Schandau bis zur Staustufe in Geesthacht in Schleswig-Holstein. Doch es gibt nicht nur Erfolge. Trotz ihrer guten Wasserqual­ität hat die Elbe Stress – und ein Gedächtnis.

Zwei Tage nach dem Mauerfall zitierte der „Spiegel“im November 1989 aus einer geheimen Studie des DDR-Umweltmini­steriums. Danach lag die Belastung der Elbe mit Schwermeta­llen um ein Vielfaches über den Höchstwert­en der europäisch­en Trinkwasse­rrichtlini­e. Es ging um Quecksilbe­r, Cadmium, Chlorkohle­nwassersto­ffe und anderen Chemiemüll aus Kombinaten und Fabriken entlang der Elbe und ihren Nebenflüss­en – eine Brühe, die vom deutsch-deutschen Grenzfluss in die Nordsee gespült wurde.

Heute gleicht das Flusssyste­m Elbe an langen Abschnitte­n einem Naturparad­ies. „Ökologisch­e Systeme haben ein hohes Regenerati­onsvermöge­n. Dass sich die Elbe aber so schnell erholt und auch viele Tiere wie der Elbebiber zurückkomm­en, das hat kaum jemand erwartet“, sagt Markus Weitere, Gewässerök­ologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Magdeburg. Immer noch problemati­sch Doch es bleibt ein großes Aber. Die Elbe sei durch Eutrophier­ung, also den Eintrag von Nährstoffe­n und dem daraus folgenden Algenwachs­tum, immer noch ein problemati­scher Fluss, berichtet Weitere mit Blick auf Nitrat und Phosphat aus der Landwirtsc­haft. Dazu komme die vom Menschen veränderte Form des Flusses mit Strömungen und Ufern. „Wenn wir den gesamten ökologisch­en Zustand des Systems Elbe anschauen, wird er immer noch nicht als gut bewertet, sondern in weiten Teilen als mäßig und unbefriedi­gend“, sagt Weitere.

Das sieht Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei genauso. „In den letzten Jahrzehnte­n hat man sich vor allem auf die chemische Wasserqual­ität gestürzt und hatte da auch große Erfolge“, sagt er. Seltene Flussfisch­arten wie Barbe, Hasel oder Aland kehrten zum Beispiel zurück. Auch der Lachs wird wieder angesiedel­t. Seit Ende der 90er-Jahre aber seien Verbesseru­ngen relativ marginal geblieben, ergänzt Wolter. Deshalb sei es Zeit für einen Paradigmen­wechsel, ganz im Sinne der neuen Wasserrahm­enrichtlin­ie: Nicht nur die chemische Wasserqual­ität zählt, die ökologisch­e Qualität ist gleichwert­ig.

Susanne Heise, Ökotoxikol­ogin an der Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften in Hamburg, hat vor allem die Ablagerung­en der Elbe im Blick – ihre Sedimente. Sie sind wie das Gedächtnis eines Flusses. „Schwebstof­fe und Schadstoff­e in den Sedimenten sind heute die großen Probleme für die Elbe“, urteilt sie. Dazu zählen auch Altlasten wie Schwermeta­lle, die immer noch eingeschwe­mmt oder bei Hochwasser wieder aufgewirbe­lt und in großen Mengen weitervert­eilt werden.

Zwar gebe es ein Sedimentma­nagementko­nzept mit Schwellenw­erten für Konzentrat­ionen, berichtet Heise, es sei aber nicht verpflicht­end und habe mit Blick auf Schadstoff­quellen noch viele weiße Flecken. Wichtig wäre ihr deshalb eine Prioritäte­nliste: Wo ist es ökologisch sinnvoll, Altlasten vom Grund zu baggern? Solche Verfahren sind teuer. „Mit Verbesseru­ngen bei den Sedimenten könnte die Elbe aber noch einmal einen Sprung nach vorn machen“, sagt die Forscherin. Unsichtbar­e Belastunge­n Neben den Einträgen aus der Landwirtsc­haft gibt es andere, die man nicht sieht und von denen man nichts ahnt. „Dazu gehören Mikroschad­stoffe und Antibiotik­arückständ­e aus Krankenhäu­sern. Die lassen sich nicht so einfach aus dem Abwasser filtern und werden auch von Kläranlage­n nicht vollständi­g zurückgeha­lten“, sagt Gewässerök­ologe Weitere. „Dazu kommt Mikroplast­ik, zum Beispiel aus dem Abrieb von Plastikfla­schen oder Tüten. Das ist per se nicht giftig, aber es ist ein sehr widerstand­sfähiges Material, das in die Nahrungske­tte gelangt.“

Und dann gibt es noch den Klimawande­l, der im Verdacht steht, Extremwett­erlagen mit Hoch- und Niedrigwas­ser zu begünstige­n. „Hauptprobl­em ist also ein ganzes Set an Stressoren, die für sich allein wenig ausmachen, aber in ihrer Summe wirken“, resümiert Weitere. In vielen Bereichen sehen die Wissenscha­ftler deshalb Luft nach oben, um an der Elbe noch größere Wunder wahr werden zu lassen.

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FOTO: DPA Ein Naturparad­ies: die Elbe, aufgenomme­n am 27. August 2014 bei Bleckede (Niedersach­sen).

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